2 Einträge
2 Bewertungen
82.5% Bewertung
  • Bewertung

    Königliches Kino-Vergnügen

    Ich bin versucht zu sagen, dass sie es können, die Briten, nämlich großes Kino mit den Geschichten kleiner Leute machen. „The Lost King“ ist wieder einmal so Film, der die Heldenreise einer dem Anschein nach unbedeutenden Frau auf unterhaltsame Art und Weise nachzeichnet. Stephen Frears‘ neuestes Werk beruht wie etwa „Philomena“ und „Florence Foster Jenkins“ auf einer wahren Begebenheit. Auf einem Stück Geschichte mit Geschichte sogar. „The Lost King“ erzählt von der Suche nach den sterblichen Überresten von König Richard III., der als buckeliger, grausamer Bösewicht verrufen ist. Und das vor allem dank Shakespeare.
     
    Eine Aufführung des nach diesem berüchtigten König benannten Stückes löst in Philippa etwas aus. Selbst gerade aufgrund ihres Alters von einer jüngeren, hübscheren Kollegin im Job ausgebootet, fühlt sie die Ungerechtigkeit der Verknüpfung von Hässlichkeit und Bosheit. Ihre Verbundenheit zum angeblich deformierten Herrscher beziehungsweise Thronräuber basiert ebenso auf ihren eigenen Erfahrungen von Benachteiligung aufgrund ihres Gesundheitszustandes. Die Kämpferin in Philippa, die von Sally Hawkins verkörpert wird, erwacht. Sie beginnt heimlich zu recherchieren, möchte das Image des von Shakespeare verunglimpften Richard III. zum Besseren verändern. An ihrer Seite ist der König selbst, anfangs als stummer Begleiter, bald als Mutmacher.

    Philippa entwickelt eine regelrechte Besessenheit, kümmert sich kaum noch um Haushalt und Kinder, verlässt sich auf ihren Ex-Ehemann. Dem sie somit so manches Date versaut. Eine Frau, die, wenn es im Job nicht so gut klappt, nicht ins Heim oder die Mutterrolle flüchtet, sondern sich ein eigenes Projekt sucht. Eines, bei dem sie gegen den akademischen Apparat kämpfen muss. Historiker wollen die Amateurin abwimmeln. Allerdings braucht einer von ihnen dann doch Geld. Also kann die Suche nach Sponsoren und die nach den Überresten des Königs losgehen.

    Das Ende ist bekannt, wenn man die Suche in den Medien verfolgt hat. Der Weg dorthin, wenn man kein allzu hohes Tempo erwartet, ist recht spannend inszeniert. „The Lost King“ funktioniert als Heldengeschichte der schwachen Frau, die Mut und Stärke finden muss, um im konkreten Fall einen König und Gerechtigkeit für ihn zu finden. Von allen Seiten wird sie belächelt, wie das oft so ist, wenn Laien und / oder Frauen, etwas wagen wollen, was vom Establishment nicht als wichtig erachtet wird.

    Der Film ist ebenso ein fast satirischer Blick auf die Wissenschaft, deren Aushöhlung durch wirtschaftliche Interessen und die Dominanz (alter) weißer Männer. Es ist an einer Frau, das System gehörig aufzumischen. Ihr dabei zuzusehen, macht Spaß. (Und im nächsten Augenblick wird einem die Bitterkeit dieses Systems bewusst, das von Gleichberechtigung weit entfernt ist.)

    Schauspielerisch unterstützt wird Sally Hawkins in „The Lost King“ von einem eingespielten Ensemble rund um Steve Coogan, Mark Addy und Harry Lloyd. Dabei stimmt das komödiantische Timing, was die Geschichte mit viel britischem Humor auflockert, die sonst vielleicht allzu trocken daherkäme. Die Musik fügt sich nahtlos ein, dient immer der Erzählung. Eine genussvolle Untermalung, die nicht unerwähnt bleiben soll.

    Ohne zu viel verraten zu wollen: Richard bekommt im Laufe der Geschichte sein Pferd aus Shakespeares bekanntem Zitat.

    „The Lost King“ hält jedenfalls, was er verspricht. Beste Unterhaltung in britischer Manier.
    img20220906174347_4f70242d41.jpg
    18.10.2023
    20:46 Uhr
  • Bewertung

    Der König und ich

    Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd! Es wird wohl kaum jemanden geben, bei dem es da nicht klingelt. Ein Zitat, das bereits die Jahrhunderte überdauert hat und weitere überdauern wird, aus einem Theaterstück, dem es ebenso ergeht: Richard III. William Shakespeare hat den letzten Plantagenet-Monarchen als buckligen, ekelhaften Thronräuber hingestellt, der die Nachkommen seines Bruders – zwei Prinzen – in den Tower schloss. War dem wirklich so? War Richard III. wirklich bucklig, wirklich so grausam zu seinen Neffen, und wirklich ein Thronräuber? Vieles, so denkt sich die in einem Callcenter arbeitende und unter ME leidende Philippa Langley nach dem Besuch einer Aufführung besagten Stückes, könnte auch nur die hetzerische Darstellung der Tudors gewesen sein, die für etwas mehr als ein Jahrhundert den Thron besteigen werden. Vieles mag vielleicht nur eine subjektive Schlussfolgerung ob eines nicht ganz gefälligen Äußeren gewesen sein. So, wie Philippa selbst stets übervorteilt wird, da sie in Stresssituationen Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren oder meist übermüdet zur Arbeit kommt. Dabei steckt so viel mehr in ihr selbst als von allen anderen angenommen. Es steckt die plötzliche Mission in ihr, die sterblichen Überreste eines verunglimpften Herrschers zu finden, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Der Ex-Ehemann, Steve Coogan, hält das für einen schlechten Scherz. Die Fangemeinde um King Richard, zu welcher Philippa bald zählen wird, begegnet diesem Enthusiasmus zwar mit Wohlwollen, aber aus der Distanz. Denn so ein irres Vorhaben, das kann niemals Früchte tragen.

    Und dennoch ist es so passiert. Im Jahre 2012 wurden auf dem Parkplatz eines Sozialzentrums irgendwo in Leicester der Leichnam des verlorenen Königs gefunden, und das nur, weil Philippa Langley in selten gesehener Beharrlichkeit sämtliche Hürden zu überwinden imstande war. Als Durchschnittskonsument(in) ohne akademischen Abschluss, wenig Einfluss und schon gar keinem elitären Netzwerk bis in die höheren Kreise von Wissenschaft und Politik wird man wohl sehr schnell das Handtuch werfen – oder solch eine Schnapsidee, vernüftig, wie man ist, vom Tisch wischen. Doch wo ein Wille, da ein Weg, das zeigt Stephen Frears in seiner neuen True Story mit erfrischender Begeisterung für seine zerbrechlich scheinende Heldin, die allerdings so viel Power in sich trägt, um die gesellschaftliche Ordnung umzukehren. Akademiker und Universitäts-Kapazunder sehen sich bald in einer Philippa untergeordneten Rolle. Sally Hawkins verkörpert die treibende Kraft hinter dem Abenteuer Archäologie nicht, als wäre sie ein weiblicher Indiana Jones mit der für Harrison Ford so typischen unverhohlenen Dreistigkeit, sondern wie jemand, der sich von seiner Intuition leiten lässt. Demotivierende Niederlagen sind der Nährboden für neue Ideen. Improvisation, Flexibilität und vor allem Ehrlichkeit führen Philippa bis jenseits der Grenzen des Möglichen. Verletzlich und doch unerschütterlich hetzt Sally Hawkins als unscheinbare, kleine Amateurin von Pontius zu Pilatus, strahlt mitunter natürlich so einige Verbissenheit aus, die man ihr am liebsten ausreden würde – doch dieses Abenteuer eines weiblichen „Bilbo Beutlins“, der auf dieser unerwarteten Reise über sich hinauswächst, ist so packend erzählt und dabei noch so wahrhaftig, dass man am liebsten selbst gleich mit anpacken würde, um den Asphalt schneller aufzureißen als es letztlich geschieht.

    Mit dabei und nur für Hawkins Charakter sichtbar: Richard III. himself als junger König, meist wortlos, aber für Fragen offen. Ob diese Visionen Philippa tatsächlich heimgesucht haben, wage ich zu bezweifeln. Um die Gedankenwelt der zweifachen Mutter aber entsprechend zu illustrieren, ist dieses Stilmittel tatsächlich eines, das tiefer in die Materie hineinführt, das den verschollenen König nicht auf einen Haufen Knochen oder Shakespeares Interpretation reduziert, sondern eine die Geschichte beeinflussende Person daraus macht, die vielleicht ganz anders war als in unserer Wahrnehmung verankert.

    Mit The Lost King entsteht die völlig unprätentiöse, unkitschige und aus ganzem Herzen rekapitulierende Chronik einer unglaublichen Geschichte. Eine, für die Professor Jones wohl alles geben würde. Eine, die aber kein draufgängerischer Akademiker, sondern die gute Seele aus der Nachbarschaft erzählen darf. Weil die Kraft des Willens zwar schwer, aber doch, so laut nach einem König rufen kann, bis dieser sich bequemt, unter all den Erdschichten hindurch die Hand zu heben. Frears begeistert sich selbst für seinen Film und begeistert auch sein Publikum, indem er zwischen Biografie, hautnaher Geschichte und gelebter Archäologie fürs Volk selbst Shakespeare-Banausen in seinen Bann ziehen kann. Weil es um mehr geht als nur um erdverkrustete Gebeine. Es geht um Respekt, Vorurteile und dem Kampf gegen die Arroganz der Privilegierten.



    Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
    filmgenuss_logo_quadrat_2a3baf4bcc.jpg
    17.10.2023
    18:45 Uhr