3 Einträge
4 Bewertungen
81.3% Bewertung
  • Bewertung

    Vor den Pforten der Hölle

    Des Nazideutschen Paradies liegt vor den Pforten der Hölle. Dieser Umstand alleine spricht schon dafür, dass sich eine derartige Weltsicht so sehr ihren destruktiven Abnormen anbiedert, dass diese wie selbstverständlich hinnimmt, Mauer an Mauer mit Tod und Verderben zu leben und dabei noch den Wohlstand zu genießen, den sich diese Familie, namentlich Höß, auf Kosten der anderen angeeignet hat. Einer wie Jonathan Glazer macht daraus garantiert keinen herkömmlichen Film. Das weiß man spätestens, seit man Under the Skin gesehen hat. Glazer ist ein Künstler der suggestiven, indirekten Bildsprache, der Präzision und der audiovisuellen Synergien. Nicht zu vergessen: er ist ein Mann der Extreme. Extreme aber auf eine Art, die nicht darauf aus ist, entweder einen Drogenrausch auszuleben oder um des Effektes willen den Vorschlaghammer des Radikalen ins Gesicht des Zusehers zu schmettern. Extreme können allein schon dadurch entstehen, dass die Möglichkeit außen vorgelassen wird, Identifikationsfiguren zu finden. In diesem widerlichen, von krankhaften Ideologien durchdrungenen Diesseits, dass sich so anfühlt, als wäre man mit der großmütterlichen Liebe-Familie-Nostalgie längst vertraut und vereint, liegt der Albtraum in einer banalen Normalität, in der augenscheinlich alles seine perfekt Ordnung hat, in der aber, bei genauerem Hinsehen und im Beachten der Details, einiges nicht stimmt und ein Unwohlsein erzeugt, das man hat, wenn man einen Traum träumt, der in den letzten Sekunden seines Bestehens zum Schreckensbildnis mutiert, bevor man schweißgebadet hochschreckt.

    Jonathan Glazer schafft in seinem Film im farbenstrahlenden Sommer rund um den Geburtstag des Lagerkommandanten des KZ Auschwitz, Rudolf Höß, penibel aufgeräumte Tableaus, in denen alles seine perfekte Ordnung hat und keines der Requisiten nur zufällig herumsteht. Oft sind es wortlose Beobachtungen eines Herumtreibens glattgebügelter Uniformträger und aufgeföhnter Kaffeetrinkerinnen, prachtvoller Kinderchen in Lederhosen und geblümten Sommerkleidchen. Ein Kitsch ist das, wie aus altbackenen Werbungen. Wie aus den Filmen eines Jaques Tati, der die bürgerliche Ordnung anders als hier im lakonischen Slapstick durch den Fleischwolf dreht. Und dann ist da dieses gewisse Etwas: Die Mauer, der Stacheldraht, der über allem aufragende Schlot, aus dem Feuer und Rauch quillt. Jeder weiß, was das bedeutet, ohne es beim Namen nennen zu müssen. Es ist das Schrecklichste, was Menschen anderen Menschen jemals angetan haben. Und dennoch wird es in The Zone of Interest zur erschütternden Beiläufigkeit, zur geduldeten Hinnahme einer Notwendigkeit, weil die Wahrheit erfunden werden kann.

    Filme über die Gräuel des Holocaust gibt es viele, sogar im Genre der Komödie unter der Regie von Roberto Benigni fand der Schrecken seinen Ausdruck. Glazer hingegen entwickelt eine filmische Installation. Ein selbsterklärendes Understatement, bei dem nichts gesagt werden muss, in dem jedes zweite Wort überflüssig, jede Neugier auf die blanke Gewalt zu obszön wäre, um ihr nachzugeben. The Zone of Interest ist eine Anordnung aus assoziativen Bildern und unmissverständlichen Geräuschen – es ist das Grauen im Hintergrund, dass das Harmlose im Vordergrund ins Monströse verzerrt. Glazers Film könnte im Endlosloop auf einer KZ-Mauer projiziert werden, als eindrückliche Ergänzung durch einen Blickwinkel, mit dem sich unsere heutige Generation vielleicht näher fühlt als mit jenem der Leidenden. Wer die Filme des Schweden Roy Andersson kennt, findet in diesem Arrangement aus Alltagsszenen und Aphorismen so manche Ähnlichkeiten wieder, die Absurdität einer Koexistenz aus Horror und Komfortzonen-Arroganz, aus Verdrängung und schluchttiefer Diskrepanz. Diese Widernatürlichkeit bringt Glazer zusammen und möchte wie absurdes Theater erscheinen. In Wahrheit aber ist es die Realität, die uns aufgetischt wird, und die Blindheit vor der eigenen Mitschuld, die uns, so schnell können wir gar nicht schauen, in ein neues Desaster hineinreiten kann.

    Hut ab vor Sandra Hüller, die sich mit einer Figur auseinandersetzen muss, die in so abartiger Selbstverständlichkeit den Pelz von Anne Franks Mutter trägt, Hut ab vor Christian Friedel, der in arbeitsmüder Nüchternheit viel mehr Leute vergast sehen möchte als ohnehin. Mit solchen Rollen muss man als Künstler erstmal klarkommen. Mit dieser Widerlichkeit, die sogar auf Pferd und Hund überschwappt, sieht man sich in The Zone of Interest konfrontiert, und man kann gar nicht anders, als sich in die Geborgenheit einer Beschaulichkeit zu flüchten. In eine Blase, in eine Zone des Eigeninteresses, um nicht Schaden zu nehmen, Denn den haben die anderen. Das Grollen aus der Tiefe des Tartaros, das Glazer ertönen lässt, macht uns aber letztlich bewusst, dabei vom Nachtmahr heimgesucht worden zu sein.



    Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
    filmgenuss_logo_quadrat_2a3baf4bcc.jpg
    16.03.2024
    18:54 Uhr
  • Bewertung

    Das Böse ist banal

    Man muss sich zwingen den Film auszuhalten!
    Diesen Titel hat Regisseur Glazer wörtlich von der Romanvorlage von Martin Amis übernommen und der erinnert an Putins Formulierung einer ‘Spezialoperation‘ für seinen Überfall auf die Ukraine.
    Der Film trifft mit seinem Ambiente, eine von einer Mauer umgebene Villa, der Diktion der Akteure, in der ihre Einsamkeit und innere Kälte offenbar werden. Das Ehepaar Höss z.B.: Rudolf (Christian Friedel) und Hedwig (Sandra Hüller) schläft in zwei getrennt stehenden Betten, und der Lacher ihres Gesprächs ist ein abwechselndes, schweinisches Grunzen. Kindisch!

    Die ganze Atmo enthält viele subtile Andeutungen: Rauch, roter Horizont, Schwieger/Mutter (Imogen Kogge) verlässt ohne Kommentar das Glückliche Heim und getopft wird der Plot durch minutenlange dunkle Leinwand oder ganz in schwarz oder rot. Das wird unterlegt mit gelegentlichen Schüssen oder Schreien, die man auch überhören könnte, nicht aber das sirenenartige Geheule dazu, das einer akustischen Folter gleichkommt.
    Das Drehbuch des Regisseurs vernachlässigt auch keineswegs die Tatsache, dass es sich hier für die Herrschenden äußerst komfortabel leben lässt. Auch wenn die Kinder im Fluss Überreste von menschlichen Knochen finden oder mit Goldprothesen im Bett spielen. Ehefrau Hedwig posiert im Pelzmantel und schminkt sich – nur für kurze Zeit.

    Die subtilen Andeutungen sind nur für die, die sie sehen wollen. Das Entscheidende an Glazers Geniestreich ist aber der intermediale Austausch zwischen dem Plot auf der Leinwand, also dem was man sieht und der Möglichkeit der direkten, qualvollen Einflussnahme, dem was man hören muss – und das tut weh…Da kann man nicht wegsehen oder weghören. Selbst wenn man die Augen schließt und sich die Ohren zuhält.
    8martin_ea7f49f0f3.jpg
    03.03.2024
    10:40 Uhr
  • Bewertung

    Das Böse ist banal

    Exklusiv für Uncut
    Dieses für fünf Oscars nominierte Drama, das auf dem gleichnamigen Roman von Martin Amis basiert, erzählt die NS-Gräuel um 1940 in Auschwitz, ohne explizit den Horror der Vernichtungsmaschinerie zu zeigen. Der Fokus liegt auf dem Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß (Christian Friedel), seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und seiner Familie bestehend aus fünf Kindern, die angrenzend an das Konzentrationslager in einem Einfamilienhaus mitsamt Kleingarten wohnen, wo sie ein geregeltes Leben führen. Hedwigs Aufgabe liegt auf der Erziehung der Kinder, dem Haushalt und der Pflege des Gartens, der beinahe unerträglich lange gefilmt wird, während das Morden im benachbarten Konzentrationslager Auschwitz sich nur auf einer imaginativen Ebene abspielt. Blind ist die Familie des Massenmörders Rudolf Höß für den Horror und das Leid, das sie als Täter(innen) Nationalsozialismus verursachten. Das macht den Film so beklemmend, indem er unkommentiert die klaren Alltags-Abläufe in diesem Haus zeigt. Nur Geschrei, Schüsse und aufsteigende Rauchschwaden deuten auf die Geschehnisse im Lager nebenan hin. Langandauernde schwarze Filmsequenzen und die eindrucksvolle Filmmusik generieren diese schwer erträglichen Situationen eingebettet in einem traditionellen, scheinbaren „Familienidyll“, das aber immer wieder gebrochen wird, als z.B. Hedwig mit ihrem Ehemann nicht nach Oranienburg umsiedeln will, wohin dieser versetzt wird. Als ob eine Zeit gezeigt wird, in der Frauen so etwas bereits selbständig und frei entscheiden konnten, abseits des Willen des männlichen Familienoberhaupts, ob sie mit oder andernorts von ihm leben wollen, und nicht im 2.Weltkrieg, in dem der Film handelt. Das verwunderte mich, dass dies in einer nationalsozialistischen, faschistischen Familienstruktur möglich war.

    Verstörend auch gegen Filmende, als es Rudolf Höß in einsamen Gängen reckt und er erbrechen muss. Dieses Ende lehnt sich nicht an die realen Biografien von Rudolf Höß an, der 1947 vor Gericht zum Tod verurteilt wurde und Hedwig Höß die nach den Holocaust-Massenmorden bis zu ihrem Tod im 90. Lebensjahr unbescholten in den USA weiterlebte. Niemals vergessen und nie wieder Faschismus, weiß ich nach diesem Film!
    02.03.2024
    18:32 Uhr