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86% Bewertung
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    Geh, aber geh mit Gott

    Dieses Jahr könnte das Jahr des österreichischen Films sein. Nach Adrian Goigingers Austropop-Lokalaugenschein Rickerl, der sehr zu Herzen ging und die Wiener Seele wie kaum ein anderes aktuelles Werk so gut verstanden hat, legt nun das Regieduo Veronika Franz und Severin Fiala, geübt im Understatement-Horror mit Kloß im Hals, einen Einblick in die Volksseele des 18. Jahrhunderts vor, der alle Stücke spielt. Man darf getrost und völlig bedingungslos vom besten Film sprechen, den die beiden bislang auf die Leinwand brachten.

    Des Teufels Bad ist eine Zeitreise. Nicht nur ins provinzielle Oberösterreich des Jahres 1750, zu einer Zeit, als Mozart gerade mal sechs Lenze zählt und bereits das Establishment mit seinem Naturtalent begeistert. Es ist vor allem auch ein Exkurs in die Psyche eines vom religiösen Glaubenseifer eingenommenen Menschenschlags, ins verschwurbelte Gemüt am Rande der Armut stehender Subsistenzwirtschafter, die in heruntergekommenen Bauernhäusern mitten oder am Rande des Waldes ein zwar gottgegebenes, aber karges und entbehrungsreiches Leben in der Monotonie eines immer gleichen Alltags aus Erwirtschaftung, Erschöpfung und kargen Gesprächen führen, in dem brauchtümliche Vergnügungen zu Dorfhochzeiten oder Hinrichtungen die einzigen Highlights waren. Dieses penibel recherchierte und detailgenau rekonstruierte, vergangene Oberösterreich fasziniert alleine schon dadurch, in notwendiger Entschleunigung und in einer damit einhergehenden immensen Konzentration auf das Gezeigte eine Zeit nachgestellt zu haben, die vor gerade mal 274 Jahren durchdrungen war von Aberglauben, kuriosen Riten und bizarren Heilmethoden. Es ist verblüffend, was Franz & Fiala hier zutage befördern. Basierend auf authentischen Aufzeichnungen und gebettet auf einer so glaubwürdigen wie ungemein realitätsnahen Gesamtbetrachtung einer ländlichen Welt aus Gottesfurcht und erdgrauem Naturalismus rückt eine Frau namens Agnes in den Mittelpunkt. Sie wird zur Leidtragenden in einem so wuchtigen wie wichtigen Opus Magnum über Leid und Untröstlichkeit, über psychische Erkrankung und verzweifeltem Escape-World-Kreuzweg.

    Agnes, historisch dokumentiert als tatsächlich gelebte Person, ist zu anfangs noch glückselig und verspürt, was junge Frauen eben verspüren, wenn sie sich vermählen und ihr neues Leben beginnen. Wenn alles gut geht, ruft die Mutterschaft; ein kleiner Mensch will großgezogen werden. Das Paradies in einem wenig paradiesischen Umfeld weckt letzte Hoffnungen, bevor die Fakten auf dem irdenen Präsentierteller womöglich Anderes verheißen. Die noch so lebensfrohe und von der Natur faszinierte Agnes sieht sich nach anfänglicher Begeisterung alsbald in einem düsteren Eigenheim wieder, wo Ehegatte und Karpfenfischer Wolf nicht daran denkt, seinen „ehelichen Pflichten“ nachzugehen. Darüber hinaus schlägt die Schwiegermutter ständig auf und belehrt Agnes ungefragt in allen Lebenslagen. Als dieser klar wird, dass nichts so ist, wie sie es sich erträumt hat, fällt sie in Des Teufels Bad – die damalige Umschreibung einer Depression. Psychisches Leiden ist damals weder greif- noch ergründbar – den Leibhaftigen zu bemühen, eine willkommene Bequemlichkeit. Alles sei entweder von Gott gewollt oder vom Teufel, ein Sigmund Freud ist undenkbar, und man darf davon ausgehen, dass seelische Resilienz angesichts so schlechter Zeiten damals noch viel weniger vorhanden war als heute.

    Nun aber kommt eine paradoxe Denkweise ins Spiel, die von jenen, die so wie Agnes daran dachten, sich das Leben zu nehmen, als letzte Instanz angewandt wurde: Selbstmord führt zu ewiger Verdammnis, für Mord gibt’s immer noch die Chance zur Absolution. Was also tun? Töten, um hingerichtet zu werden, damit sich der Wille erfüllt? Klingt ganz schön verzweifelt. Franz und Fiala gelingt es dabei, ihrem Psychodrama emotionales Gewicht zu geben, ohne sich überschwer und prätentiös in einer Finsternis zu suhlen. Deren Betrachtung wahrt eine gewisse symptombeobachtende Distanz – jedoch nie so weit, um nicht doch, wie Agnes selbst, den Blick in den Abgrund zu wagen. Des Teufels Bad erinnert an Robert Eggers The Witch, bezieht aber, anders als dieser, keinerlei Position. Mit Motiven von allerlei Vergänglichem beladen und einer autoaggressiven Lust am Ekel läuft der Film auch nicht Gefahr, zu romantisieren oder gar Kompromisse einzugehen. Der Horror, wenn es denn einer ist, liegt in den herbstdunklen Fakten, die staunend machen und so faszinieren, als wäre das Werk eine semidokumentarische Rekonstruktion. Man fühlt, man schmeckt, man riecht diesen Film, man erschrickt, man ist verstört, man leidet mit. Nicht nur die phänomenale Anja Plaschg, die wieder mal zeigt, dass fehlende schauspielerische Ausbildung ohne Regelkorsett darstellendes Talent erst so richtig zur Entfaltung bringt – auch Komiker David Scheid tut instintkiv das Richtige und erdet sich als sperriger Landmensch. Und bei Maria Hofstätter ist es, als wäre sie niemals etwas anderes gewesen als Fischerin im Hinterland der Donau.

    Des Teufels Bad ist ein großer, grimmiger Wurf im Schaffen des österreichischen Films. Packend und befreiend, knochenhart und in manchen Szenen kaum zu ertragen, mit der Schwere des Lebens hadernd und in der Erlösung von selbigem die wahre Glückseligkeit findend. Natürlich ist das alles schwerer Stoff. Aber einer, der in eine entrückte, karge Welt eintaucht, die sich zum Greifen nah aus dem Dunkel der Geschichte schält. Und den Namenlosen, Verzweifelten und Verlassenen von damals ein Gesicht gibt.



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    18.03.2024
    18:00 Uhr
  • Bewertung

    The Devil's Own

    Eine Frau ohne Ausweg.
    Ein Drama mit fatalen Konsequenzen.
    Verständnis und Hilfe? Fehlanzeige.
    Obwohl DES TEUFELS BAD im 17./18.Jahrhundert in Wäldern Oberösterreichs spielt, glaube ich, dass der Film in einigen Teilen dieser Welt auch im 21. Jahrhundert leider aktuell ist.
    Als mitfühlender Zuschauer leidet man bis zur letzten Sekunde dieses schockierenden Albtraums.
    Totenstille im Kinosaal beim Abspann.
    Welcome to Heaven?
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    14.03.2024
    11:22 Uhr
  • Bewertung

    Der Hölle auf Erden entkommen

    Mit ihrer dritten gemeinsamen Spielfilmarbeit setzen die Austro-Horrorexperten Veronika Franz und Severin Fiala zum ersten Mal auf historische Akkuratesse. Basierend auf Verhörsprotokollen aus dem 18. Jahrhundert widmet sich das atmosphärische Psychodrama einer frisch vermählten jungen Frau, die unter den gesellschaftlichen Erwartungen ihrer Zeitperiode zusammenzubrechen droht. Der unerfüllte Kinderwunsch sollte sie noch zu einer Wahnsinnstat treiben. Mit großem Feingefühl und weniger genretypischen Elementen als gewohnt erzählt der Film von weiblicher Depression in einer Zeit, als man diese noch nicht anerkannter. In der Suizid als größere Sünde galt als vorsetzlicher Mord- und Totschlag. Ein tief fesselndes, virtuos bebildertes Psychogramm mit folkloristischen Horrorelementen. Hauptdarstellerin Anja Plaschg, als Musikerin unter dem Pseudonym Soap&Skin bekannt, hätte sich für diesen körperlichen wie mentalen Kraftakt den Berlinale-Schauspielpreis verdient gehabt.
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    29.02.2024
    17:02 Uhr
  • Bewertung

    Der Teufel im Detail

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Nach den Horrorerfolgen „Ich seh, ich seh“ und „The Lodge“ präsentieren Severin Fiala und Veronika Franz nun ihren ersten Historienfilm, mit nicht minder trostloser Stimmung. Die Geschichte basiert auf Gerichtsprotokollen aus Oberösterreich von 1750. Bei der intensiven Recherche half ihnen eine Historikern, das Resultat wirkt extrem authentisch. Vom „Bader“ mit seinen Heilpraktiken (die möglicherweise alles nur noch schlimmer machen) bis zur Karpfenfischerei, die Akkuratesse zahlt sich aus. Letztere hat sich in Jahrhunderten kein bisschen verändert; ebenso wenig wie scheinbar der Umgang mit Depressionen, und dem Stellenwert der Frau.

    Traurige Realität

    „In Teufels Bad“ ist ein veralteter Ausdruck für etwas, das damals auch gemeinhin als Melancholie bekannt war. In die verfällt die strengkatholische Agnes nach und nach, verkörpert von der unglaublichen Anja Plaschg alias Soap&Skin. Aber weder der frisch gebackene Ehegatte Wolf (ORF-Comedian David „Dave“ Scheid in einer mal etwas ernsteren Rolle), noch erst Recht die werte Schwiegermutter (Schauspielhoheit Maria Hofstätter) interessieren sich irgendwie für ihre Gefühle oder Wünsche. Sie soll sich gefälligst nicht so anstellen, zu Mittag soll ein Essen am Tisch stehen und möglichst bald Nachwuchs her, für mehr ist sie eh nicht zu gebrauchen. Ein Ausweg wäre schnell gefunden, aber Selbstmörder kommen nicht in den Himmel. Und so bewegt ihr Leid Agnes schließlich zu einer unvorstellbaren Tat.

    Unheimliche Geschichte

    Komplett löst sich das Regieduo nämlich nicht von seinen Wurzeln im Genrekino los. Der Film geizt nicht mit Blut und jeder Menge drastischen Bildern; die Vergangenheit wird ungeschönt dargestellt, aber umso schöner in Szene gesetzt von Erfolgskameramann Martin Gschlacht. Bereits der Prolog setzt in Rekordgeschwindigkeit die düstere Tonalität fest, alles schaurig-schiach untermalt von der beunruhigenden Musik, die dazu noch aus der Feder der Hauptdarstellerin stammt. Menschliche Abgründe werden erneut Übernatürlichem vorgezogen. Interessanterweise bleibt meiner Meinung nach aber Raum für Interpretation offen, irgendwo zwischen Fluch und Aberglauben. Eine sehr stimmige Balance, die den Film zu einer unglaublichen Erfahrung macht.
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    24.02.2024
    09:44 Uhr