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    Die Tränen der Androiden

    Künstliche Intelligenz ist in aller Munde, in allen Zeitungen und, weil es so einfach geht, auf sehr vielen elektronischen Geräten. Als App, die sich ungeniert der lizenzfreien Datenaneignung hingibt, um mehr zu wissen als der User mit seinen unzureichend ausformulierten Prompts. Künstliche Intelligenz treibt uns alle um, macht Angst und schafft gleichermaßen Freizeit, wenn die Dinge an die Technik delegiert werden können. Dafür sind KIs schließlich da, und nicht dafür, sich als neue Spezies zu etablieren, auf einem Planeten, der ohnehin schon kaum mehr Ressourcen hat. Gareth Edwards, Held der Star Wars-Franchise und Virtuose im Schaffen von Bildern, die das Phantastische in natürliche Settings integrieren, hätte sein Roboterdrama nicht punktgenauer ins Kino bringen können. The Creator gibt sich schließlich der großen Frage hin, was wohl aus unserer Welt werden könnte, wenn künstliche Intelligenz mit eigenem Bewusstsein auf ein Daseinsrecht pocht und zum Teil einer rätselhaften Evolution wird, die Homo sapiens immer mehr den Rang abläuft.

    Das sind prinzipiell mal, ohne viel nachzudenken, interessante Überlegungen. In einem schönen Film, der an die postmodernen (ich will nicht sagen: postapokalyptischen) Welten eines Simon Stålenhag (The Electric Dreams) erinnert. Bizarrer architektonischer High-Tech-Gigantismus zwischen naturbelassenen Landschaften überwiegend der asiatischen Hemisphäre – alles getaucht in mal zu-, mal abnehmendes Tageslicht; mal grobkörnig, mal leicht verwaschen. Es ist, als wären diese Gebilde wirklich da. Es ist, als wären diese Androiden, Simulants genannt, mit dem täuschend echten Antlitz diverser Gesichts-Sponsoren niemals weggewesen. Betrachtet man sie im Profil, erkennt man sie leicht an diesem Hohlraum zwischen Kiefer und Wirbelsäule, die eigentlich gar nicht mehr vorhanden ist. Diese Androiden könnten die Vorstufe zu den Replikanten sein, mit welchen sich der Blade Runner zeitlich eigentlich früher, aber angepasst an The Creator viele Jahrzehnte später herumschlagen wird. Bei Gareth Edwards ist es das Jahr 2065. KI in jedweder Form hat bei den Westmächten längst seine Chance verspielt, nochmal groß rauszukommen. Aufgrund eines nicht näher definierten atomaren Zwischenfalls, welcher die Zerstörung von Los Angeles zur Folge hatte, ist in den USA der Geist aus dem Computer persona non grata – anders als im Osten, denn dort ist die Koexistenz zwischen Mensch und Maschine zum wahrgewordenen Wunschtraum eines John Connor geworden, der sich in der Welt des Terminators mit einer ganz anders gearteten, menschenfeindlichen KI namens Skynet herumschlagen musste. Im Osten schließlich wäre alles eitel Wonne und selbst Androiden würden den Weltreligionen wie dem Buddhismus folgen, würden sich die Westmächte nicht, was plausibel scheint, als Weltpolizei aufspielen und dem Fortschritt dank einer monströsen, im Orbit stationierten Waffe namens Nomad, den Krieg erklären. In diesem Tauziehen zwischen Ost und West sucht ein amerikanischer Ex-Agent namens Joshua Taylor (John David Washington) seine bei einem Anschlag vermeintlich draufgegangene Geliebte, die Teil eines Rebellenrings rund um den KI-Entwickler Nirmata gewesen ist und von Joshuas Doppelleben nichts wusste. Im Zuge seiner Bestrebungen fällt ihm auch noch die Roboter-Superwaffe Alpha O in die Hände – ein junges Androidenmädchen, das womöglich weiß, wo Joshuas Geliebte steckt, und wo auch Nirmata zu finden ist, dem alle habhaft werden wollen.

    Die abenteuerliche Odyssee quer durch eine atemberaubend arrangierte Zukunft mit Robotern und Vehikeln, die frappant an Star Wars und eben Rogue One – A Star Wars Story erinnern, ist eine Sache. Die andere ist Gareth Edwards‘ und Chris Weitz‘ erschreckend naiver Zugang zur Materie. The Creator ist ein Film, der vor allem den Filmemachern gefällt, der sich selbst gefällt und, um diese Harmonie aus Natur und High-Tech nicht zu stören, allerlei Kompromisse für seinen Plot einzugehen bereit ist. Alles soll gut ins Konzept passen, passt aber nicht zu dieser übergeordneten Vision einer – ich sag‘s mal so – völlig unmöglichen Zukunft, die an so vielen Ecken und Enden so viele Fragen aufwirft, das man gar nicht mal anfangen will, diese – zumindest mal für sich selbst– zu beantworten.

    Das fängt allein schon damit an, dass The Creator völlig ignoriert, dass die Welt, in der wir womöglich leben werden, sowohl an Überbevölkerung als auch unter Ressourcenknappheit leidet. Ist sowieso schon alles dicht gedrängt und die Existenz am Kippen, braucht es zu allem Überfluss Maschinenmenschen, die uns ersetzen. Diese zu bauen, kostet Geld. Wer finanziert das? Wieviel kostet ein Android? Können sich diese bereits selbst herstellen? Was sollen diese Streifzüge durch heruntergekommene Fabrikhallen, an denen „echte“ Menschen werkeln, während das, was vom Fließband steigt, das Nonplusultra eines High-Tech-Endprodukts darstellt?

    Nichts ist in einer Welt wie dieser umsonst. Womit zahlen Androiden ihren Strom, den sie abzapfen? Menschliche Profitgier ist plötzlich kein Thema mehr, Landfraß nicht der Rede wert. Wo Gareth Edwards hinblickt, führen Androiden-Bauern ihre Wasserbüffel übers Feld. Hinken Androiden, nur weil sie die Gesichter alter Menschen haben, den lehmigen Dorfweg entlang. Menschenleere Strände, Inseln in der Andamenensee, idyllische Ja natürlich!-Wirtschaft inmitten eines Techno-Krieges? Das ist Kitsch, der ohne Kontext vielleicht funtkionieren würde. Die Welt dieser Zukunft seufzt in entrückter Melancholie vor lauter Science-Fiction-Romantik, als wäre Caspar David Friedrich im Roboterzeitalter wiedergeboren. Nur passt diese pittoreske Fiktion nirgendwohin, sie ist die gefällige Momentvorstellung eines Visionärs, der schöne Bilder liebt, schluchzende KI-Kinder und letzte Küsse vor dem Supergau, wie Felicity Jones und Diego Luna, kurz bevor der Todesstern den Palmenplaneten Scarif in Schutt und Asche verwandeln wird.

    The Creator ist ein Bilderbuch aus einer irrealen Zukunft. Eines, das man gerne durchblättert, wovon man aber die rundum verfasste Geschichte nicht unbedingt mitlesen muss, denn dann könnte man Gefahr laufen, festzustellen, dass Edwards Film in ereiferndem Glauben an das Erstarken künstlicher Lebensformen dem Fortschritt der KI Tür und Tor öffnen will. Eine Conclusio, die mir nicht ganz schmeckt.



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    08.10.2023
    17:39 Uhr
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    Von Menschen, Maschinen und Perspektivwechseln

    Exklusiv für Uncut
    „Die Minderung des Risikos für eine Auslöschung der Menschheit durch künstliche Intelligenz sollte neben anderen Risiken wie Pandemien und Nuklearkrieg eine globale Priorität haben.“ Trivial, ein banaler Spruch? Mitnichten! Über 100 weltbekannte KI-Forschende unterzeichneten den Satz und warnten sogleich. Tatsache ist: Nicht erst seit ChatGPT sind Künstliche Intelligenzen (KI) vermehrt im öffentlichen Diskurs vertreten. In der Science-Fiction-Literatur gibt es apokalyptische Geschichten über zerstörerische Maschinen seit über 300 Jahren, lange vor der Erfindung des Computers. Dem Medium Film und seiner Geschichte drückten Sci-Fi-Filme gar einflussreich ihren Stempel auf: „2001: A Space Odyssey“ und „Blade Runner“ gelten als Meisterwerke. „The Creator“ setzt diese Tradition fort, bricht aber mit üblichen Narrativen. Wer ist gut, wer ist böse? Der sehenswerte Film berührt und begeistert.

    Vor uns wird die Welt im Jahr 2065 ausgebreitet. Seit Jahren tobt ein Krieg zwischen der mit der KI kooperierenden östlichen Welt und der westlichen Welt, die die KI nach einem Atombombenschlag bekämpft. Moderne Geopolitik in der Glaskugelprognose. Joshua, ein Ex-Spezialagent, erhält fünf Jahre nach dem Verschwinden seiner schwangeren Frau (Gemma Chan) von einer strengen US-Army-Teamleiterin (Allison Janney) den Auftrag, „Nirmata“ mitsamt neuartiger Waffe zu finden – Ursprung und Schöpferin der KI. John David Washington („Tenet“) als Joshua zeigt sich in formidabler Verfassung. Denzel Washingtons Sohn fällt nicht in das Klischee des gnadenlosen Soldaten, sondern transportiert Empathie von Beginn an. Trauer, Verwirrung und Mut sehen wir durch seine Augen. Zu seiner Überraschung (und schon bekannt im Trailer) stellt sich die Waffe als humanoides Kind namens Alphie heraus, das den Krieg für die KI-Seite gewinnen kann. Ein spannender Wettlauf rund um die Suche nach Joshuas Frau und der Wahrheit um Alphie beginnt. Gerade die teils humorvolle, aber moralisch schwierige Dynamik rund um Joshua und Alphie trägt den Film. Klassisches Dilemma: Einzelschicksal oder Rettung der Welt.

    Dass Regisseur Gareth Edwards dem Genre gewachsen ist, zeigte schon „Rogue One: A Star Wars Story“. Einer der wenigen neuen Filme der Saga, die nicht von Kritik und Publikum zerpflückt wurden. In seinem neuen Streifen versammelt der bekennende Fan nostalgischer Sci-Fi-Filme bekannte Handlungselemente - traumatisierter Spezialagent auf der Suche nach verschwundener Frau, der durch die kindliche Unschuld seine Prinzipien überdenkt. Und schafft dennoch etwas Neues, ein Umdenken, einen Perspektivwechsel. Ein Werk, mit dem er sich in die vordere Riege der interessantesten, aktuellen Blockbuster-Regisseure einreiht.

    Das präsentierte Soziotop im Jahr 2065 spielt sich vorwiegend im südostasiatischen Raum ab. Wirkt trotz klarer Sci-Fi-Linie nicht hyperartifiziell, sondern authentisch und dreckig. Teils urban, teils landschaftlich. Teils maschinell, teils organisch, tierisch, menschlich. Greig Fraser („Dune“) hinter der Kamera kontrastiert Technologien der Zukunft mit atemberaubenden, weiten Natur-Bildern und einer auffallenden Grobkörnigkeit, die an Retro-Futurismus erinnert. Landschaften an Original-Drehorten in Thailand und Vietnam treffen auf dezente visuelle Effekte. Im Vordergrund Reisfelder, im Hintergrund türmen sich gewaltige Gebäude. Sets und Settings überzeugen durch Echtheit. Szenenbild und Produktionsdesign dokumentieren auf eindrucksvolle Weise die Koexistenz auf der Erde: Menschen brauchen Tiere und Maschinen zum Überleben. Und Menschen wiederum sind für Maschinen die Existenzbedingung. Ein Kreislauf.

    Zwischendurch saugt der Film durch großartige Action-Szenen und wechselhaften Rhythmus in einen Bann. Brachiale Explosionen brechen mit ruhigen, intensiven Momenten, die sich insbesondere in Rückblenden, in Joshuas Erinnerungen an seine Frau zeigen. Hans Zimmers Score prägt gewohnt gewaltig-gefühlvoll den musikalischen Hintergrund. Doch Edwards inszeniert nicht nur, er schrieb auch am Drehbuch mit und entfaltet einen Film mit vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten. Genuin philosophische Themen werden verhandelt. Was ist der Mensch? Was hebt ihn von anderen Spezies ab? Häufige Aufnahmen von Tieren unterstreichen die Koexistenz der Menschen mit anderen Gattungen. Worin unterscheidet er sich von Maschinen? Ist es das Aussehen? In „The Creator“ entwickelt die KI Androiden mit menschlichen Gesichtern, die Äußerlichkeit fällt also Kriterium raus. Womöglich Gefühle? Diese seien in der KI nur programmiert, meint Joshua. Doch am Ende weint mit kindlichem Blick auch Android Alphie, der dennoch von sich sagt „I am not a person“. Was ist eine Person? Selbst Joshua lebt mit einer Armprothese. Menschliches und Nicht-Menschliches gehen Hand in Hand, wo liegt die Grenze? Wer hat uns die Gefühle einprogrammiert? Sogleich lesen wir den Film religiös (Edwards selbst: „ancient mythology with a far-off technological future“). Alphie als Messias, der Erlösung bringt. Die Suche nach Nirmata als Kreator, als Schöpfungskraft mit gottgleichen Eigenschaften. Die ewige Suche nach dem Anfang. Und dem Ende. Muss das Ende einer Spezies das Überleben einer anderen bedeuten? Letztlich ändert sich unser Blick. Wir nehmen eine neue Perspektive ein. Während einer spektakulären Schlacht orientieren wir uns neu, auf welcher Seite steht Joshua? Wer steht wirklich in Verantwortung für Krieg, für die Auslöschung der Menschheit? Wer kämpft gegen wen?

    Auch im epischen Spektakel „The Creator“ ist dem Kino gewiss: KI wird irgendwann die Macht zur Auslöschung der Menschheit haben. Das düster-dystopische Action-Drama aber hält den Menschen den Spiegel vor. Bei einigen Schwächen in Charakterzeichnung und Originalität, doch mit intellektuellem Anspruch, fantastischen Sets, bombastischen Bildern, berührendem Kern und cineastischer Ambition wird auf die eigentliche Ursache unseres Untergangs gedeutet. Sind wir es nicht selbst, die unser Ende verantworten? Vollständige Antworten gibt es nicht. „The Creator“, einer der unerwartet besten Filme des Kinojahres, positioniert sich elegant und anspruchsvoll trotz Nostalgie-Blockbuster-Stil mit erstaunlicher, formeller Klarheit. Dezenter Humor lockert den Tiefgang, der den emotionalen Kern nicht vergisst. Den zutiefst menschlichen Wert von Beziehung, Bindung und Familie.
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    27.09.2023
    09:38 Uhr