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    Das mögliche andere Leben

    Auf die Frage, woher jemand kommt, der rein biologisch und ganz offensichtlich seinen Ursprung ganz woanders hat, erhält man sehr oft die Angabe der Staatsbürgerschaft. Dabei geht die Frage viel tiefer. Wo liegt die Geschichte der eigenen Familie? Diese Antwort wäre viel interessanter – und hat auch nichts mit Diskriminierung zu tun. Vielfalt ist etwas Berauschendes, Inspirierendes, Weltenverbindendes. Wer sich weigert, zu seiner Herkunft zu stehen, der hat das Wichtigste leider nicht verstanden. Wer keinen Sinn darin sieht, seine Herkunft zu ergründen, versteht sich ohnehin als Weltbürger. Oder will dem Schmerz entgehen, der sich empfinden lässt, wenn die leiblichen Eltern sich dazu entschlossen hatten, ihr Kind wegzugeben. Sowas mag dem Selbstwert ganz schön schaden, ist es doch eine Form der irreparablen Zurückweisung.

    Hirokazu Kore-eda hat sich diesem Thema bereits schon mit Broker angenommen, nur mit ganz anderem Zugang. Von dieser Art Kränkung und deren Heilung handeln aber beide Werke: In Return to Seoul, einer internationalen, nur keiner südkoreanischen Produktion, begibt sich eine junge Frau eigentlich rein zufällig und ohne es von langer Hand geplant zu haben, auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern, haben diese sie doch einem Adoptionsinstitut übergeben, welches Freddie an ein französisches Ehepaar weitervermittelt hat. Nun ist sie in Europa aufgewachsen, spricht kein Wort Koreanisch und hat sich auch noch nie für das Land ihrer biologischen Herkunft interessiert. Ganz klar, das Unbehagen einem Ort gegenüber, an welchem sie auf gewisse Weise nicht willkommen war, mag Hemmschuh genug dafür sein, diesen Breitengraden aus dem Weg zu gehen. Doch es kommt alles anders: Statt eines Fluges nach Japan, der leider ausfällt, wählt Freddie die Alternative Seoul – und sitzt schon bald im Kundenempfang des Adoptionsbüros, um mehr über ihre Vergangenheit herauszufinden. Siehe da – schon bald meldet sich der Vater. Er und seine ganze Familie – somit auch Freddies Familie – sind außer sich vor Freude, den verlorenen Spross wieder bei sich aufnehmen zu dürfen. Wie jemand, der ohnehin wenig innere Ruhe findet, damit umgehen soll? Die Geschichte über Annäherung, Loslassen und Verzeihen weiß zu berühren, und das ganz ohne Sentimentalitäten. Auch wenn – wie im Film vermittelt – Koreaner die Tendenz dazu haben.

    Wohl kaum würde man in Return to Seoul ein ganzes Epos vermuten. Tatsächlich umfasst die fiktive Biografie einer Entwurzelten ganze sieben Jahre, in welcher diese allerhand Entwicklungen durchmacht, psychologische wie existenzielle. Der kambodschanische Filmemacher Davy Chou liefert einen konzentrierten, dichten Autorenfilm ab, der Hauptdarstellerin Ji-Min Park keine Minute aus den Augen lässt. Sie gleitet, strauchelt und eilt durch ihre eigene Zukunft, sie kämpft mit der Enttäuschung, adoptiert worden zu sein genauso wie mit dem starken Bedürfnis des Vaters nach Nähe zu seiner Tochter. Es geht um Selbstfindung und Akzeptanz – formal reinstes Schauspielkino, irrlichternd, aufbrausend und ruhesuchend in der urbanen wie ländlichen Schönheit Südkoreas. Return to Seoul begegnet uns fremden Lebensweisen und schwört auf die zentrale Bedeutung einer ethnobiologischen Geschichte, die niemand einfach so abschütteln kann.




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    08.06.2023
    14:23 Uhr
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    Zurück zu den Wurzeln

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Dem französisch-kambodschanischen Regisseur Davy Chou kam die Idee zu „Return to Seoul“ durch eine Freundin, mit der er gemeinsam nach Südkorea reiste und der eine ähnliche Geschichte passierte wie der Hauptfigur in seinem Film. Durchzogen von Identitätsfragen und Sinnkrisen zeigt Chou in seinem zweiten Langspielfilm nicht nur kulturelle Unterschiede auf, sondern beschreibt auch die schonungslose Selbstsabotage einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst (dargestellt von einer grandiosen Park Ji-min in ihrer ersten Schauspielrolle!).

    Die in Frankreich bei Adoptiveltern aufgewachsene Freddie (Park Ji-min) reist zum ersten Mal, einem Impuls nachgebend, nach Südkorea – ihrem Geburtsland, welches ihr abgesehen davon aber völlig fremd ist. In Seoul angekommen, freundet sie sich schnell mit der Rezeptionistin Tena (Guka Han) an, die sie nicht nur bei der sprachlichen Verständigung unterstützt, sondern Freddie auch emotionalen Beistand liefert. Denn während sich die junge Französin zwar nach außen hin gelassen gibt, quälen sie die Fragen nach ihrer Herkunft sehr.

    Schon bald begibt sie sich deshalb auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern, die sie mithilfe ihrer alten Adoptionsagentur ausfindig machen will. Den Vater (Oh Gwang-rok) trifft sie bereits kurze Zeit später. Das erste familiäre Aufeinandertreffen ist unbeholfen und stellt den Beginn unzähliger Annährungsversuche des Vaters dar, die von Freddie alle abgeblockt werden. „Ich verstehe ihn nicht, sag ihm das!“, weist sie ihre Tante ungehalten an, nachdem sie von ihm unzählige Textnachrichten auf koreanisch erhalten hat. Wenn Tena, die eigentlich nur als Übersetzerin dienen soll, Freddies Aussagen abschwächt oder so umschreibt, dass sie auf eine nettere Weise getätigt werden als von Freddie bezweckt, stellt das den nächsten emotionalen Schlag in die Magengrube dar.

    Freddies freigeistige Art scheint nämlich auch immer von einem Drang nach Provokation getrieben. Zum Beispiel dann, wenn sie gleich zu Beginn des Films mit Tena und einem Bekannten in einer Bar sitzt und diese ihr erklären, dass es als unhöflich aufgefasst wird, wenn man sich in Südkorea Soju selbst einschenkt und Freddie daraufhin genau das tut. Innere Konflikte und Unsicherheiten kommen so an die Oberfläche, was zwar sehr interessant im Hinblick auf Mechanismen der Traumabewältigung ist, aber nicht gerade leicht mitanzusehen. Das inszenatorische Highlight stellt wohl eine Tanzszene dar, in der sich Freddie, ganz alleine auf der Tanzfläche, vollkommen der Musik hingibt, und wo ihre innere Zerrissenheit zum ersten Mal deutlich zum Vorschein kommt.

    Eine Identifikation mit Freddie ist also schwierig, was ein grundsätzliches Dilemma darstellt. „Return to Seoul“ scheint es nämlich schon darauf anzulegen, dass man zumindest zu einem bestimmten Grad mit seiner Protagonistin mitfühlt. Dafür ist sie aber viel zu respektlos und vor allem auch unberechenbar, denn selbst wenn man denkt, dass man in dem einen Moment mit ihr sympathisieren kann, kommt im nächsten wie aus dem Nichts eine Aussage, die dies schnell wieder zunichtemacht.

    Aber selbst wenn „Return to Seoul“ seine Protagonistin nicht gerade zur Sympathieträgerin auserkoren hat, beweist Davy Chou ein sehr gutes Auge für feinfühlige Charakterstudien. Der Film stellt eine emotionale Achterbahnfahrt dar, der vor allem durch seinen realistischen Charakter überzeugen kann. Über den relativ langen Zeitraum von acht Jahren werden wir Zeuge von Freddies Reisen nach Südkorea und begleiten sie dabei zu Familienzusammenkünften, Tinder-Dates und Untergrund-Partys. Für einen völlig mühelosen Fluss der Handlung werden hier zwar zu viele Zeitsprünge eingebaut, die lange Zeitspanne bietet aber immerhin auch die Möglichkeit, verschiedene Lebensphasen der Hauptfigur abzudecken. Park Ji-min ist dabei beeindruckend.
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    31.10.2022
    10:02 Uhr