Roter Himmel

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Forumseintrag zu „Roter Himmel“ von UR_000

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UR_000 (18.11.2023 11:29) Bewertung
Brennender Himmel hinterm Haus am See
Bei der Berlinale 2023 konnte Christian Petzolds neuer Film „Roter Himmel“ überzeugen. Es sprang der Silberne Bär heraus, also der Große Preis der Jury. Die Latte liegt beim deutschen Regisseur spätestens seit „Undine“ jedenfalls hoch, sehr hoch. Zu hoch vielleicht?

Petzold schickt die Freunde Leon und Felix in ein etwas entlegenes Ferienhaus am Meer. Leon (Thomas Schubert) möchte die Ruhe nutzen, um an seinem zweiten Roman zu feilen. Felix erhofft sich Inspiration für seine Bewerbungsmappe für die Kunstuniversität. Ein überraschender Gast bringt Unruhe in die Pläne. Die schöne Nadja (Paula Beer) verdreht Leon den Kopf. Bald drängen sich auch Sirenen und der titelspendende rote Himmel in die Idylle.

In „Roter Himmel“ arbeitet Petzold mit der Kraft von Bildern, aber auch von Worten. Nicht umsonst ist seine Hauptfigur Schriftsteller. Schriftsteller in der Krise trifft es vielleicht noch besser. Leon ist deshalb zutiefst unsicher, mies gelaunt und angriffslustig, kein angenehmer Zeitgenosse. Thomas Schubert füllt die Rolle des intellektuellen Griesgrams in existenziellen Nöten wunderbar aus, unterstützt durch Bild und Kostüm. Oft ist er allein, während die anderen Figuren eine Gruppe bilden. Nur selten lässt er sich zu sozialen Aktivitäten überreden. Das Meer sieht er nur von fern, immer in Alltagskleidung. Oft geht er mit leicht gesenkten Schultern und Leidensmiene durch die Welt. Lächeln darf er nur wenig. Felix und Nadja hingegen sind laut, extrovertiert und schnell für Spaß zu haben. Was nicht selten für Irritationen sorgt und eine spannende Dynamik bringt.

Paula Beer glänzt (erwartungsgemäß) als Nadja. Sie ist schön, geheimnisvoll, lebensfroh, empathisch, ein wenig chaotisch und offen. Ein zutiefst menschliches Porträt einer Figur, die (leider) eher dazu dient, das Herz des verschlossenen Protagonisten zu erweichen, ihm die Augen fürs Leben zu öffnen. Langston Uibel ergänzt als Felix die WG im Haus am Meer.

Die Geschichte nimmt erst Fahrt auf, als sich weitere Figuren ins Geschehen einmischen, deren Einführung für einige Lacher sorgt. Wenn man so mit einem guten Freund im kleinen Zimmer nächtigen muss und vom großen Zimmer eindeutige Geräusche hört, kann einem das schon den Schlaf rauben. Petzold setzt noch eins drauf: Leon sieht Nadjas Loverboy verschwinden, erkennt ihn am nächsten Tag am Strand wieder. Felix spricht diesen gleich an und bringt Devid mit E zum Essen mit. Leon ist nicht nur vom Ausblick auf eine vernichtende Kritik seines Verlegers bedroht, auch die Konkurrenz um Nadjas Gunst scheint unüberwindbar.

Die oft gespannte Stimmung zwischen den Figuren findet ein Pendant in der Natur. Die Sirenen werden lauter und die Waldbrände kommen näher. Der rote Himmel glüht mehr und mehr. Unaufhaltsam. Gefährlich und inspirierend zugleich. Die Kamera fängt dies in beeindruckenden Bildern ein. Die Gewalt der Natur wird spürbar in all ihrer Faszination und zerstörerischen Kraft.

Dazu muss man es erst einmal durch den zähen Beginn des Films schaffen. Die erzählerischen Elemente sind vor allem im ersten Teil allzu klischeehaft, haben einen schalen Beigeschmack. Sie kommen zu gehäuft, sind vorhersehbar: Auto geht ein, die Orientierung bei der Abkürzung durch den Wald ist schwierig, Chaos im leer geglaubten Haus und die unsäglichen Sexgeräusche aus dem Nebenzimmer, die für schlaflose Nächte sorgen, um einige zu nennen und nichts Wesentliches zu spoilern. Ja, eh. Ein wenig Enttäuschung macht sich ob des platten Einstiegs breit.

Zum Glück wird dann verraten, an welchen Projekten Leon und Felix arbeiten. Da kommen künstlerische Ansichten und Lebensrealitäten ins Spiel, was interessant ist. Ein mögliches Scheitern bedroht die Existenz: kein weiteres Einkommen als Schriftsteller, keine Aufnahme an die Uni. Für Kunstinteressierte geben die Überlegungen zu Ideen, Komposition und Ausführung einen Einblick ins Metier. Echten Literaturfans seien die Gespräche mit Leons Verleger besonders ans Herz gelegt. Da wird analysiert und diskutiert, sogar ein Gedicht wird rezitiert. Das bietet keine adrenalingetriebene Hochspannung, ist aber recht reizvoll und unterhaltsam. Das Herzstück von „Roter Himmel“ ist aber ohnehin die potenzielle Liebesgeschichte, deren Entwicklung man gern zuschaut.

Ein echter Pluspunkt ist die Musik. Petzold setzt sie sparsam ein, aber jeder Song sitzt. Es ist sogar ein Österreich-Beitrag dabei: das Lied „In my mind“ der Band Wallners. Eine wunderschöne Untermalung, stimmungsvoll.

„Roter Himmel“ ist routiniert inszeniert, bietet wundervolle Bilder und lässt Zuseher*innen nah bei den Figuren sein. Ein paar Klischees und Längen trüben trotz aller Dramatik das Filmerlebnis ein wenig. Manchmal sind die Erwartungen einfach zu hoch, auch wenn ein Film gut gemacht ist und keine großen Schwächen hat.
 
 

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