Berlinale 2024
Martin Scorsese in Berlin: Ein Kino-Großmeister erhält die höchste Ehre

Martin Scorsese in Berlin: Ein Kino-Großmeister erhält die höchste Ehre

Der Goldene Ehrenbär für das beste Lebenswerk ging 2024 an keinen Geringeren als Martin Scorsese. Eine kleine Liebeserklärung an die 82-jährige Regie-Größe – inklusive persönlicher Eindrücke aus der Pressekonferenz auf der Berlinale.
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von (chrosTV )
Egomane Mafiosi, einsame Taxifahrer, eiskalte Genozidbetreiber: die Karriere von Martin Scorsese hat viele Gesichter. Weit über das Gangstergenre, das ihm aufgrund von Mafiastreifen wie „Goodfellas“ oder „Casino“ meist zugeschrieben wird, hinaus. Die Mafiafilmchen machen in Wahrheit nur einen kleinen Bruchteil seiner Arbeit aus. Werke wie „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“ und „The King of Comedy“ gelten als Höhepunkte der radikalen New-Hollywood-Ära, die in den späten 60er-Jahren wie ein Blitz auf die Filmindustrie hereinbrach. Zusammengehalten wird sein abwechslungsreiches Oeuvre höchstens von wiederkehrenden Thematiken: Glaube, Gier, menschengemachte Gräuel. Mit „Killers of the Flower Moon“ hat der 82-Jährige erst unlängst wieder seine Vielseitigkeit als Filmschaffender unter Beweis gestellt. Das vielfach Oscar-nominierte Drama handelt vom real geschehenen Völkermord an einem indigenen Stamm. Scorsese blickt auf eine Karriere zurück, die einzigartig in Hollywood ist: filmischen Tiefpunkt findet man so gut wie keinen. Umso erstaunlicher, dass sein beachtliches Lebenswerk bis Dato nur mit wenigen Preisen bedacht wurde. Ein Fehler, den immerhin die Berlinale heuer glattzubügeln versuchte. Am Dienstag Abend wurde dem Regie-Ass im Berlinale Palast feierlich der Goldene Ehrenbär verliehen, vorab gab es eine gefühlvolle Laudatio von Kollege Wim Wenders.

Verleihung des Ehrebären
Verleihung des Ehrebären an Martin Scorsese (© Richard Hübner / Berlinale 2024)


Im Anschluss an die Preisvergabe wurde auf der Leinwand der festlichen Innenräume „Departed - Unter Feinden“ gezeigt – der Film, für den Scorsese seinen einzigen Regie-Oscar gewann. Schon am Nachmittag stand er Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt in einer Pressekonferenz Rede und Antwort. Der Andrang war so groß wie sonst nie, man musste sich früh genug einen Platz in der Schlange sichern, um in den Konferenzsaal hineinzukommen. Nach fast dreistündiger Warterei gelang es uns, einen Platz zu ergattern. Noch dazu in der zweiten Reihe. Es folgen exklusive UNCUT-Eindrücke aus der Pressekonferenz.

„Das Kino liegt nicht im Sterben – es nimmt lediglich neue Formen an.“

Ohne Allüren und mit fettem Grinsen im Gesicht betrat der Hollywood-Maestro pünktlich um 16 Uhr 50 den Raum. Erwartbar gab es reichlich Applaus. Nachdem die jubelnde Menge wieder ruhig geworden war, erhoben sich viele Hände. Gefühlt ein jeder der Anwesenden wollte eine Frage stellen, die Zeit war aber natürlich begrenzt. Bei Martin Scorsese wird jeder noch so seriöse Journalist zum ungehaltenen Fanboy. Das spiegelte sich auch in den gestellten Fragen wider. Eine Dame lud ihn zum Weintrinken nach Georgien ein, ein junger, übereifriger Bulgare war der Überzeugung, er müsse Scorsese seine „ach-so-tolle“ Imitation von Jack Nicholson in „The Departed“ vorführen. Vor versammelter Menge. Nebst Momenten des Fremdschams fanden sich auch Fragen wieder, die den redegewandten Altmeister zu profunden Antworten verführten. Emotional wird es, als über die eigene Vergänglichkeit gesprochen wird:

„Mich erfüllt es mit großer Trauer, dass das Leben unbeständig ist, aber es muss noch nicht sofort unbeständig sein. Man sagt, die Welt wird zugrunde gehen und mir ist bewusst, dass wir der Sonne entgegen steuern, aber bis es soweit ist, sind wir alle gemeinsam hier. Also lasst uns miteinander kommunizieren. Lasst uns über Kunst kommunizieren.“

Auch möchte Scorsese Schwarzsehern nicht recht geben und schaut mit vorsichtiger Zuversicht auf die Zukunft des Mediums:

„Das Kino liegt nicht im Sterben – es nimmt lediglich neue Formen an. Es war nie dazu bestimmt, nur eine Sache zu sein. Die Technologie hat sich so schlagartig verändert, dass man sich mehr denn je an individuelle Stimmen festklammern muss. Eine individuelle Stimme kann seine Kunst sowohl auf TikTok, als auch in einem vierstündigen Film, als auch als Miniserie zum Ausdruck bringen. Wir sollten uns vom technischen Fortschritt nicht einschüchtern lassen. Lass dich von der Technologie nicht versklaven, mach sie dir zunutze, um das Medium in die richtige Richtung zu lenken. Und das sollte funktionieren, wenn man der individuellen Stimme Raum gibt, anstatt etwas zu produzieren, das lediglich konsumiert und dann wieder vergessen werden soll.“

Solange Filmschaffende ihre engsten Gefühle und Ängste zum Ausdruck bringen, solange Festivals wie die Berlinale als Forum des interkulturellen Austausch existieren, solange sich junge Menschen von einem Martin Scorsese inspirieren lassen, die Bandbreite des Mediums auf sich zukommen lassen, solange wird die Kraft des Kinos nicht totzukriegen sein. Davon sind wir fest überzeugt.
Der Autor
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