Heidi@Home
Heidi@Home: Und jetzt ich!

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Krankheit und Katharsis bei „The Big C“ und seinen Vorgängerserien
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von (Heidi@Home)
Wir alle können aufatmen: wir sehen eine typische amerikanische Vorstadt, zwei Nachbarinnen unterhalten sich von Haus zu Haus miteinander und keine der beiden stürzt nackt in eine Hecke, hat einen Gefangenen im Kellner oder einen spanischen Gärtner, der mit nacktem Oberkörper den Rasen mäht. Zusammengefasst: wir wurden von den verzweifelten Hausfrauen erlöst und befinden uns mitten im wirklichen Leben. Und das ist keine Fantasie eines verhaltensauffälligen Drehbuchautors, der Menschen erschießen, vom Flugzeug erschlagen, vergiften oder niederführen lässt. Es ist viel dramatischer – eine ganz normale Frau erkrankt an Krebs.

Nun mag der Zuseher sich im ersten Moment fragen, ob es unbedingt unterhaltsamer ist, Laura Linney als Cathy in der Serie „The Big C“ beim Sterben zuzusehen, doch ist die Serie, entgegen der möglichen Erwartungen, keine Serie vom Tod, sondern vom Leben. Cathy ist in ihren besten Jahren, sie ist eine zurückhaltende, attraktive Frau, die als Lehrerin in einer High School beschäftigt ist und deren Familie aus einem frühpubertären Sohn und einem spätpubertären Ehemann besteht. Sie führt ein akkurates Leben, das sie seltener hinterfragt als das Muster ihres Sofas. Bis zum Tag X als sie die Diagnose ihrer Krankheit bekommt. Plötzlich ist sie sich nicht mehr sicher, wer sie ist und wer sie sein will, sie hat das Gefühl, ihr läuft die Zeit davon, um sich ihre Lebensträume zu erfüllen und endlich frei und selbstbestimmt zu leben.

„The Big C“ ist mit der dreifach Oscar-nominierten Linney hochkarätig besetzt. Ihr Ehemann wird kongenial von Oliver Platt verkörpert, der bis dato auf besonders schräg- liebenswerte Nebenrollen im US-Mainstream Kino spezialisiert war. Auch seine Rolle in „The Big C“ ist erfreulicherweise auf diese Art und Weise angelegt, er ist ein warmherziger Elefant im Porzellanladen. Eine weitere Nebenrolle übernimmt Gabourey Sidibe, eine junge afroamerikanische Schauspielerin, die keinem gängigen Schönheitsidealbild entspricht, für ihre erste Filmrolle in „Precious“ aber gleich für den Academy Award nominiert wurde.

„The Big C“ ist natürlich nicht die erste Serie, die sich mit Krankheit und Tod beschäftigt. Gerade aktuell läuft in den USA auch „Breaking Bad“, eine TV-Serie, in der ein Chemielehrer zum Kriminellen wird, nachdem er von seiner Krebserkrankung im Endstadium erfahren hat. Er fühlt sich dafür verantwortlich, seine Familie – insbesondere seinen behinderten Sohn – finanziell abzusichern. Er erzeugt Meth und man könnte fast meinen, er will seine Frau vorm Schicksal der „Weeds“-Protagonistin bewahren, die nach dem Tod ihres Ehemanns Marihuana verkaufen muss, um sich über Wasser zu halten.

„Emergency Room“ war auf dem Seriensektor ein Vorreiter in Sachen Beschäftigung mit der Krankheit AIDS. Eine der Schwestern der Notaufnahme wurde HIV positiv diagnostiziert, in einer Zeit, in der das Publikum noch wenig über die Krankheit wusste. In der Serie wurde nicht nur das persönliche Drama einer solchen Diagnose beleuchtet, sondern auch die Frage aufgeworfen, ob man mit einer chronischen und übertragbaren Krankheit weiterhin in Patientenkontakt stehen darf. „ER“ ist es dabei gelungen, mit falschen Vorstellungen aufzuräumen. Die Krankheit von Nate Fisher in „Six feet under“ wiederum bildete die dramaturgische Klammer der Serie, auch sein Leben änderte sich nach der Entdeckung einer potentiell lebensbedrohlichen Gefäßveränderung im Gehirn beträchtlich. Nate durchläuft, wenn man so will, die Phasen der Trauer und mit ihm tut das seine ganze Familie, jeder auf seine Weise. Insgesamt gehen die Figuren geläutert aus dieser Erfahrung hervor.

Protagonisten in Film und Fernsehen sind dann am spannendsten zu beobachten, wenn sie in eine Extremsituation gebracht werden, in der ihre bisherigen Bewältigungsstrategien nicht mehr funktionieren und sie neue Wege suchen müssen. In diesem Sinne wünschen wir Cathy ein langes Leben und das Abwerfen einer beträchtlichen Menge an Ballast, wobei wir ihr interessiert zusehen werden.