Filmkritik zu Ellbogen

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Teeniewut tut selten gut

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Was tun, wenn der Bruchpunkt erreicht ist? Den aufgestauten Frust still und leise in sich hineinfressen oder der Gesellschaft den unbändigen Zorn zu spüren geben? In „Ellbogen“, Asli Özarslans Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Fatma Aydemir, entscheidet sich die jugendliche Protagonistin für letzteres. Und reitet sich, ganz derb gesagt, immer tiefer in die Scheiße.

    Die 17-Jährige Hazal (Melia Kara: eine tolle Entdeckung) sieht aber keinen anderen Ausweg aus dem alltäglichen Trott. Seit einiger Weile bemüht sich die Teenagerin um einen Job, schreibt eine Bewerbung nach der anderen – doch es regnet ausschließlich Absagen. Durch die Behandlung am deutschen Arbeitsmarkt fühlt sie sich erniedrigt und diskriminiert: Wie wohl ihre Chancen stehen würden, wenn sie keinen türkischen Nachnamen hätte? Darüber hinaus ist die Jobsuche allein so zeitintensiv, da bleibt kaum mehr Zeit fürs soziale Leben. Doch ausgerechnet während einem seltenen Feierabend mit Freundinnen, ihrem eigenen 18. Geburtstag, sollte er kommen, der Moment, der Hazals Leben für immer verändern würde. Die jahrelang aufgestaute Wut gipfelt in einer Kurzschlussreaktion, die einen Toten fordert. Schlagartig flüchtet das Mädchen nach Istanbul, wo sie erhofft, sich ein neues Leben aufbauen zu können. Doch selbst da fühlt sich die Deutsch-Türkin wie ein Fremdkörper.

    Hazal ist eine Titelheldin, an der sich die Geister scheiden werden. Die Kamera folgt ihr auf Schritt und Tritt, kaum eine Handlung mag logisch oder gar nachvollziehbar erscheinen. Gerade aber eben weil Hazal keine Sympathien verlangt, gerade weil sie im Leben mit Ellbogentechnik vorangeht, ergibt sich ein komplexeres Figurenbild, als man es im Coming-of-Age-Film gewohnt ist. Hazal wird zur Projektionsfläche einer Generation von Migrantenkindern, denen leere Versprechen gemacht wurden. Auf die Frage, wer denn nun Schuld an der eigenen Misere sei, findet man keine konkrete Antwort. Zugegeben wird stellenweise thematisch zu viel auf einmal behandelt: rassistische Stereotypen, Schuldfragen, das Patriarchat, am Rande sogar die Politik Erdoğans. Besonders im Mittelteil fehlt es an Stringenz. So ungestüm wie Hazal umherwandert aber kaum verwunderlich. „Ellbogen“ ist trotz kleiner Schönheitsmakel aber ein lebhaftes Drama über Identitätssuche und Aggression als Reaktion auf systemische Diskriminierung. Ein Jugendfilm mit Mut zum Unbequemen.
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    (Christian Pogatetz)
    01.04.2024
    23:22 Uhr