Filmkritik zu Corpus Homini

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Der menschliche Leib im Vollbild

    Exklusiv für Uncut
    Statt dem religiösen „Corpus Christi“ (Leib Christi), der humanistische „Corpus Homini“. Mit dieser auf der Diagonale gelaufenen Dokumentation stellt der Regisseur Anatol Bogendorfer den menschlichen Körper in den Fokus sowie die Professionen, die mit ihm arbeiten. Im Porträt werden vier Berufe begleitet: Eine Hebamme, eine Sexarbeiterin, eine Hausärztin und ein Bestattungsunternehmen.

    Das Konzept selbst klingt simpel. Der Film profitiert eben von der feinfühligen Umsetzung. Bewusst wurde versucht, Körperkategorien wie Geschlecht oder Hautfarbe größtenteils aus dem Weg zu gehen, um sich mehr der Arbeit mit und um den Körper widmen zu können. Und das gelingt. Vom schwangeren Körper, dem frisch geborenen Körper, dem begehrenden Körper, dem kranken Körper, dem sterbenden Körper und schlussendlich dem toten Körper bekommt man hier Einblicke zu Berufsbildern, die man selten so gesehen hat. Nicht nur erhält man interessante Informationen, durch die empathische Inszenierung - die sich nie wertend oder belanglos zeigt - vermittelt sich auch ein nachvollziehbares Gefühl für die Arbeit.

    Was jedenfalls überrascht, ist die Offenheit aller Beteiligten, die gezeigt werden. Natürlich müssen die Protagonist*innen offen mit ihrer Profession umgehen. Aber ihre Patient*innen und Kunden verhalten sich ebenfalls unbeschämt und direkt, was ein gutes Klima am Set bezeugt. So sprechen hier Menschen offen über ihre sexuellen Fantasien, Krankheitszustände oder körperlichen Ängste. Man tritt diesen Personen nahe, befindet sich in einem intimen Kreis. Und trotzdem wird in der Professionalität ein Respekt aufrechterhalten. Eben wie es die behandelten Berufe auch machen müssen.

    Inszenatorisch schafft es „Corpus Homini“ ebenfalls durch Szenenabfolge eine Art Dramaturgie zu erzählen - und das ohne ein Voice Over. Die Bilder dürfen für sich sprechen und das können sie auch. Selbst die Musik, was man bei Dokumentationen selten hört, sticht heraus und untermalt das Bild auf schöne Weise. Was man womöglich kritisieren könnte, ist der Fakt, dass die Kamera nie so wirklich aktiv eingreift. Aber das tut sie. Denn wenn eine beobachtende Kamera im Raum aufgestellt ist, verändert sich unser Verhalten geradezu automatisch. Irgendwelche selbstreferentiellen Cues wären nett gewesen, um auf die vorgekaultete stille Beobachterperspektive aufmerksam zu machen. Aber selbst dieser Kritikpunkt fällt aufgrund des Konzepts kaum ins Gewicht.

    Von daher ist „Corpus Homini“ vor allem eine Seherfahrung, die man gerne machen kann, um den ein oder anderen Blick auf den menschlichen Körper zu werfen, den man bislang noch nicht hatte.
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    (Tobit Rohner)
    18.04.2024
    17:55 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

    Betreibt den Podcast @Filmjoker

    Aktiv auf Letterboxd @Snowbit

Corpus Homini

Österreich 2024
Regie: Anatol Bogendorfer