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  • Bewertung

    Zelebrierung einer sexpositiven Feministin, die genüsslich Grenzen überschreitet

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Egal ob man von der Electroclash-Musikerin und Künstlerin Peaches schon einmal gehört hat oder nicht, der berüchtigte Song „Fuck the Pain Away“ sollte den meisten bekannt sein, wenn man seine Melodie hört. Mit den provokativen Lyrics manifestierte sich die Kanadierin Peaches (eigentlich Merrill Nisker) als sexpositive Feministin und prägte die Undergroundszene so sehr, dass sie auch außerhalb diskutiert wurde. Nicht nur eine Bandbreite an Filmen der frühen 2000er wie „Mean Girls“, „Lost in Translation“ oder „Jackass Number Two“ beinhalteten Peaches‘ Musik, auch gegenwärtige Serien wie „Sex Education“, „The Boys“ und „The Handmaid's Tale“ greifen das Schaffen der Künstlerin auf. In der Dokumentation „Teaches of Peaches“ widmen sich Philipp Fussenegger und Judy Landkammer nun 102 Minuten lang der Ausnahme-Ikone.

    Dabei begleitet ein volles Dokumentationsteam Peaches bei der Jubiläumstour ihres 2000 erschienen Albums namens „Teaches of Peaches“. Dabei verweilt die Dokumentation nicht nur in der Gegenwart, dem Jahr 2022, sondern springt auch in verschiedene Etappen der frühen Karriere von Merrill Nisker. Als Musiklehrerin für Kleinkinder startend, bekommt man hier ihre Entwicklung vom Teil eines Trios, Duos und einer vierköpfigen Band bis hin zur eigenständigen Künstlerin aufgearbeitet. Ebenfalls im Zentrum stehen ihre Herangehensweise an die Musikkunst, die Vorbereitung der spektakulären Shows und die Hinterfragung von Geschlechteridentitäten und -typen. Der Mix an Tour- und Privataufnahmen, Archivmaterial und Interviews sorgt für inhaltliche wie visuelle Abwechslung. Gemessen an ihrem großen Durchbruch in Berlin, ist es allzu passend, dass die Doku „Teaches of Peaches“ ihre Weltpremiere auf der Berlinale 2024 feierte.

    What Else is in the Teaches of Peaches?

    Immer, wenn einem bekannten Musiktalent eine Dokumentation spendiert, fragt man sich, für welche Zielgruppe die filmische Aufarbeitung gemacht ist – Für Interessierte, die sich mit dem Inhalt noch kaum beschäftigt haben oder für eingefleischte Fans, die jeden Song kennen? „Teaches of Peaches“ gelingt hierbei mit dem Filmmaterial einen Spagat zwischen diesen beiden Haltungen zu schaffen. Fans werden mit noch nie veröffentlichten Aufnahmen bedient und Neulinge werden schön an die Persona herangeführt, sodass sie spätestens nach der Dokumentation selbst zu Fans werden. Das kann ich persönlich bestätigen. Diese Euphorie kitzelt „Teaches of Peaches“ aus einem aber auch hervor, weil Fussenegger und Landkammer eine Synergie schaffen, in der gehaltvolle Informationen im Einklang zu Szenen stehen, die den einfachen, aber wichtigen Sinn haben, die Musik zelebrieren. Damit bekommt man das Gefühl vermittelt, selbst auf einem der Jubiläumskonzerte gewesen zu sein. Durch den gekonnten Balanceakt und den Fokus auf ein Album macht sich ebenfalls die Impression breit, dass die Dokumentation der Realperson Peaches gerecht wird. Das liegt eben auch daran, dass sie sehr häufig zu Wort kommt. Wobei sie dabei nicht alleine ist. Auch kollektiv wird das ganze Team rundum Peaches interviewt. Seien es ihr Liebespartner, frühere Kollaborateure oder aktuelle Unterstützer*innen.

    Zugleich lässt sich aber auch feststellen, dass die Doku selbst, auch wenn sie viel nackte Haut zeigt, nicht allzu viele Konventionen bricht, wie Peaches es tat und immer noch tut. Visuell und inhaltlich kann man die filmische Aufarbeitung wohl als eine allzu klassische Biografie-Dokumentation bezeichnen. Ist „Teaches of Peaches“ zu brav im Vergleich zu Peaches? Wahrscheinlich schon. Nichtsdestotrotz ermöglicht der Film dadurch ein Ansprechen eines breiteren Publikums. Und das ist eine Qualität, die in filmischen Provokationen womöglich verloren gegangen wären. Daher lässt sich „Teaches of Peaches“ leichter empfehlen für alle, die zumindest ein kleines bisschen Interesse für queere und feministische Ausrichtungen in Undergroundmusik hegen.
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    (Tobit Rohner)
    07.03.2024
    22:22 Uhr
    First milk, then Cornflakes
    just like my movie taste.

    Betreibt den Podcast @Filmjoker

    Aktiv auf Letterboxd @Snowbit