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  • Bewertung

    Verloren in der Lieblingsserie

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2024
    Spätnachts, wenn der Wind durchs Fenster pfeift und die Fledermäuse über den Straßenlaternen ihre Runden drehen, spiegelt sich die gespenstische Atmosphäre auch im Fernsehprogramm wider. Die Sehnsucht nach dem Unbekannten, dem Mysteriösen, dem potentiell Verstörenden ist gerade im Kindes- und Jugendalter stark ausgeprägt. Man möge sich nur zurückerinnern an die Tage, als wir uns nach Mitternacht heimlich aus dem Zimmer schlichen und gebannt vor der Glotze Platz nahmen. Wir unser leicht beeinflussbares Matschhirn erstmals mit komplexeren, mutmaßlich erwachsenen Medieninhalten füttern zu versuchten. Der Kick des Verbotenen galt als reizvoll. Grenzerfahrungen, die für viele von uns prägend waren: sie bildeten den Grundstein für erste Faszinationen, erste Obsessionen, erste Ängste. Und, das sollte keinesfalls vergessen werden, schenkten sie uns in Momenten der Einsamkeit ein Gefühl der Zuversicht. Ein Gefühl, zum ersten Mal gesehen und verstanden zu werden. Eine Zuflucht vor der harten, farblosen Realität.

    Süchtig nach TV

    Von der Sogwirkung des Fernsehens, kathartisch und schädlich zugleich, erzählt auch Jane Schoenbrun in „I Saw the TV Glow“. Die neue Regiearbeit der non-binären Filmschaffenden („We’re All Going to the World’s Fair“) handelt von zwei isolierten Jugendlichen, die mithilfe einer liebgewonnenen TV-Serie eine enge Bindung zueinander aufbauen. „The Pink Opague“ heißt die fiktive Sendung, die es Owen (Justice Smith) und Maddy (Bridget-Lundy Paine) angetan hat. Eine auf den ersten Blick unscheinbare 90s-Fantasyserie im Stile von „Buffy – im Kampf der Dämonen“, unter deren juveniler Oberfläche verstörende Untertöne lauern. Als die Serie abgesetzt werden soll, ist Maddy nicht mehr aufzufinden. Owen fällt es unterdes zunehmend schwerer, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Was wenn „The Pink Opague“ mehr war, als lediglich eine Fernsehsendung? Was wenn die Parallelwelt am Bildschirm seine eigentliche Bestimmung zeigte?

    Vom Horror der Entfremdung

    Im ersten Drittel suhlt man sich genüsslich in der popkulturellen Nostalgielandschaft der Neunziger. Beliebte TV-Klassiker werden zitiert, Mode und Musik schreien förmlich nach Emo und Grunge, gelegentlich tritt sogar Fred Durst, Gesicht der Nu-Metal-Band „Limp Bizkit“, als kühle Vaterfigur ins Bild. Wäre das nicht schon genug, wird Protagonist Owen, in genretypischer Teeniefilm-Manier, zur Erzählstimme seines eigenen Lebens. Das Coming-of-Age-Gerüst ist aber wenig mehr als Fassade. Denn: weder dem Film noch seiner Hauptfigur gelingt es auf Dauer, düsteren Gedankengängen zu entfliehen. „I Saw the TV Glow“ artet in einen neonglitzernden Alptraum aus, der schleichend aber umso schauerlicher an Fahrt aufnimmt. Bruchstückartig werden metaphorische Schreckgespenster entfesselt, die Grauen der Isolation, die des gesellschaftlichen Drucks - der Angst, nie die Person sein zu dürfen, die man gerne wäre. Jane Schoenbrun verarbeitet im Film den eigenen Selbstfindungsprozess als Transperson, überträgt universelle Gemütszustände von sozialer Entfremdung, von emotionaler Abstumpfung und Gleichgültigkeit in surreale Schockbilder. So erschütternd und nahegehend, wie es nur im Genrekino möglich ist.
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    (Christian Pogatetz)
    29.02.2024
    14:06 Uhr