Berlinale 2016
Lust in Berlin

Lust in Berlin

Abseits der großen Premieren der Berlinale zeigen junge Regisseurinnen Pornografie in neuem Gewand
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von (Stadtneurotikerin)
Wer auf der Berlinale keine Karten ergattert, kann sich immer noch in andere Kinos flüchten. Die Berliner Leinwandbetreiber bemühen sich nämlich auch abseits des Festivals, ein buntes und abwechslungsreiches Programm zu bieten und ein bisschen von dem Kino-Rummel abzubekommen, den die Berlinale verursacht.

Dieses Jahr sind es vor allem Pornos, die sich im Alternativprogramm zur Berlinale sehen lassen können und sehen lassen wollen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Pornos in Videotheken hinter dem roten Schmuddel-Vorhang ausgesucht werden oder zuhause auf einer klebrigen Couch aus dem Netz gezogen werden. Zumindest wenn es nach den feministischen Porno-Filmemacherinnen geht, die sich gerade in Berlin tummeln.

Der neue Porno sieht sich als Kunst, verbreitet neue Werte, gerne auch feministische, und sucht sich auch ein neues Publikum. Und zwar eines, das erhobenen Hauptes für seine Pornofilme ins Kino geht und dabei auch noch genüsslich Popcorn futtert.

Ich selbst habe mich in Berlin zwei Mal in einen Porno gesetzt, in zwei sehr unterschiedliche Screenings. Im großen Saal des Berliner Babylon Kinos fand eine restlos ausverkaufte Vorführung der „Xconfessions“ statt, eine erotische Kurzfilmreihe der feministischen Erotica-Regisserin Erika Lust, in der sie anonym niedergeschriebene sexuelle Fantasien ihrer Fans zu kunst- und lustvollen Erotikfilmchen macht.



Nach dem Screening war Erika Lust sogar für ein Q&A anzutreffen, in dem sie zwar das Genre Erotica vom Porno abgrenzte, jedoch auch zugab, dass die Grenzen durchaus nicht immer genau zu ziehen sind, „denn ein Porno kann erotisch und Erotica pornografisch sein.“ Erika Lusts Filme sind vor allem eines: gut gemacht. Ein tolles Setting jagt das andere. Die Kleider, die man den Darstellern und Darstellerinnen vom Leib reißt, sind liebevoll ausgewählt, ebenso die Requisiten. Man sieht, eine geschulte Filmemacherin ist am Werk- und eine mit Humor. Ihre lustig geschriebenen Dialoge steigern zwar nicht die Lust, aber auf jeden Fall das Vergnügen.



Eine weitere Regisseurin, die in Berlin ihren neuen Porno-Spielfilm präsentieren durfte, ist die Köllnerin Maike Brochhaus. Ihre teils durch Crowdfunding finanzierte Sex-Komödie „Schnick Schnack Schnuck“ wurde im Berliner Moviemento Kino vorgeführt und handelt von einem Pärchen, das das Wochenende zwar in der gleichen Stadt, jedoch in getrennten Betten verbringt. Niemand aber in seinem eigenen. Neben jeder Menge Sex, versucht Brochhaus aber auch Themen wie etwa verschiedene Beziehungsformen oder Eifersucht zu diskutieren und zu erproben. Auch hier ist ein feministischer Einschlag zu erkennen. Sex ist etwas, an dem alle Beteiligten Spaß haben sollen, Porno auch. Starke Frauen braucht die Industrie, hinter und vor der Kamera.

Beide Regisseurinnen haben frische Ansätze unterschiedlicher Art. Während Erika Lust den Erotikfilm verteidigt, plädiert Maike Brochhaus für freie Liebe. Sie integrieren aber beide ihr Publikum in ihre Projekte. Lust verwertet die Ideen der Zuschauer, Brochhaus hingegen ihre eigenen, aber mit deren Geld. Und beide machen den Porno ein bisschen salon- und kinofähiger.
Die Autorin
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Stadtneurotikerin

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