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    Nicht ganz der Stoff, aus dem Filmträume sind

    Träume als Motor für die Geschichte sind nicht unüblich. Kristoffer Borgli („Sick of Myself“) treibt dieses Element auf die Spitze und lässt einen Nobody zum Mann der Träume werden; aber nur wortwörtlich. Der unscheinbare Professor Paul Matthews wird zur Figur in den nächtlichen Traumabenteuern vieler Menschen. Und fortan nicht mehr übersehen. Genüsslich spinnt der Norweger Borgli in seinem ersten in den USA produzierten Streifen mit einem Hollywoodstar in der Hauptrolle die Geschichte vom Traum, der bald zum Alptraum wird, weiter.

    Nicolas Cage - from zero to …
    In die Rolle des Nobodys, der im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht berühmt wird, schlüpft Nicolas Cage. Der kann, ähnlich wie bei „Massive Talent“, jedoch nicht ganz so grenzgenial, sein komödiantisches Talent ausspielen. Falten, schütteres Haar und ein bisschen Bart unterstreichen sein unscheinbares Wesen. Matthews ist ein Mann, der sich nicht durchsetzen kann, nirgends. Er fällt nicht auf, wird übergangen. Bis er unfreiwillig in Träumen auftaucht.

    Plötzlicher Starruhm
    Als Mann der Träume wird er bald wiedererkannt. Student*innen füllen (endlich) den Saal. Paul möchte auch bei seinen Töchtern punkten, endlich ein cooler Dad sein. Seine unerklärlichen nächtlichen Auftritte geben ihm die Gelegenheit dazu. Plötzlich reißen sich alle um ihn, wollen ihn als Werbebotschafter in die Träume der Menschen senden. Da könnte sich sein Traum von einem eigenen Buch erfüllen.

    Virale Videos und ihre Folgen
    Pauls Rolle in den Träumen ändert sich, er wird immer aktiver. Im realen Leben lernt er ebenso die Schattenseite vom Star-Sein kennen. Wie weit ist er bereit, für Ruhm zu gehen? Kann er sich überhaupt wehren? Und ist das wirklich sein Traum, von allen gesehen, manchmal sogar angehimmelt zu werden?

    Wenig innovative Moral
    Es dauert fast den gesamten Film, bis Paul erkennt, was er möchte. Ein bisschen altbacken ist die Message am Ende dann doch, auch wenn sie kreativ transportiert wird.

    Traumlogik?
    Borgli hat sich für die Traumsequenzen etwas einfallen lassen. Sie sind manchmal komisch, manchmal erschreckend – so wie Träume eben sein können. Mit Präzision inszeniert er auch Pauls Stellung und Rolle im wahren Leben und in den Träumen. Mit seinem genauen Blick gelingt das Porträt eines Mannes, der nicht das Zeug zum Hauptdarsteller, zum Star, zum Macher hat. Nicht einmal ganz nach seinem Bekanntheitsschub kommt er mit seinem Traum-Ich mit, großartig, fast unangenehm etwa in einer Szene mit einem weiblichen Fan eingefangen.

    Medien- und Konsumkritik light
    Wie bei Borgli (für Kenner) nicht anders zu erwarten, verarbeitet er Elemente der oberflächlichen Star- und (Selbst-)Darstellungskultur der Jetzt-Zeit für seinen Film, um diese zu entlarven. Stichwort: virale Videos und Dreamfluencer. Auch wenn einige Einfälle wirklich unterhaltsam sind, ist es eher eine lose Anhäufung an Ideen und Bausteinen, etwas gewollt und wenig stringent platziert. Eher Einblicke, Traumbilder – dabei interessant komponierte Bilder, die die Kamera einfängt. Die zusammenhängende Geschichte tritt in den Hintergrund und ist ziemlich dünn.

    Diese doch recht simple Aneinanderreihung teilweise schräger Erlebnisse in Träumen, aber auch in der realen Welt, mag der Grund dafür sein, warum nie so richtig Spannung aufkommt. Vielleicht sind die Schattenseiten des (schnellen) Ruhms ebenso zu vorhersehbar. Vielleicht fehlt es an Tiefe bei den Figuren und in der Geschichte an sich. Oder zumindest an satirischer Schärfe, denn Borgli geht kaum so weit, dass es weh tut. Eine Anbiederung ans Mainstream-Publikum? Die Treffsicherheit und das Bitterböse, die „Sick of Myself“ auszeichnen, kommen hier leicht weichgespült daher.

    Unterhaltsam, aber kein Traumfilm
    Das Ansehen von „Dream Scenario“ ist kein Alptraumszenario, so viel ist sicher! Borglis Film ist nicht zuletzt dank eines großartigen Nicolas Cage in Hochform recht unterhaltsam. Sieht man von wenigen Längen ab, bereiten die kreativen Sequenzen Filmvergnügen. Humor und vor allem bissige Satire kommen trotzdem etwas zu kurz beziehungsweise verbleiben eher an der Oberfläche. So richtig in gesellschaftliche Wunden legt Borgli den Finger diesmal nicht. Es ist schwer, nicht etwas enttäuscht zu sein. (Bei dem Dream-Team …)
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    06.04.2024
    10:49 Uhr
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    Über Nacht zum Star

    In der längst zum popkulturellen Erbe zählenden Fantasy-Serie Buffy – Im Bann der Dämonen gibt es eine Episode, da träumen Sarah Michelle Gellar und ihre Clique jeweils eigene, schicksalsspezifische Träume, die eines gemeinsam haben: Einen Mann, der Käse serviert. Niemals wird aufgeklärt werden, wer das gewesen sein mag, und ungefähr ähnlich wird es wohl der breiten Masse in Kristoffer Borglis reflektierender Satire Dream Scenario ergehen, die, sie wissen nicht warum, plötzlich von einem Mann mit Bart, Glatze und langweiligem Casual Outfit träumen, der, egal wie geartet der jeweilige Traum auch sein mag, in diesen mehr oder weniger zufällig vorbeikommt und nichts tut außer das: einfach die Szenerie ergänzen, vielleicht mit ein paar Worten auf den Lippen, Laub kehrend oder an fremdartigen Pilzen schnuppernd. Kaum jemand – bis auf jene, die Paul Matthews, seines Zeichens Biologieprofessor an der Uni, persönlich kennen – würden jemals herausfinden, was es mit diesem fremden Mann auf sich hat. Und niemand würde sich als Teil einer großen Gemeinschaft ansehen, die dasselbe träumen, gäbe es nicht das Wunder der weltumspannenden Medien, die aus diesem Mysterium schnell einen Hype kreieren. Paul Matthews, Vater zweier Kinder und glücklich verheiratet, wird im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht berühmt. Diese Berühmtheit beginnt im Kleinen. Erst tauschen sich nur ein paar der Leute aus, die Teil dieses Phänomens sind, dann sind es plötzlich mehrere und dann ganz viele und dann, ja dann riechen jene den Braten, die das große Geld scheffeln wollen, sind es nun Zuschauerquoten, Likes oder Produkte, die Paul Matthews dank seiner Bekanntheit gegen gutes Geld bewerben könnte. Er wird zum größten Influencer aller Zeiten, weil er als Pionier eine Bühne betritt, die noch keiner für sich und seine Zwecke erschlossen hat. Mit dem Unterschied: Matthews will das gar nicht, Er tut nichts und wird trotzdem zum Star. Doch wie lange? Und wie sehr kann er beeinflussen, dass der Spuk vorbeigeht? Gar nicht, denn letzten Endes kommt es anders, und schlimmer, als man glauben will.

    In Woody Allens zum Schenkelklopfen humoristischem Episodenfilm To Rome with Love widerfährt in einer der kuriosen Geschichten Roberto Benigni ein ähnliches Schicksal: Zuvor noch ein Niemand, der die Anonymität der Großstadt genießt, wird er eines Tages zum wohl begehrtesten Menschen auf Gottes Erden. Warum, weiß keiner. Das genaue Gegenteil bietet die französische Psycho-Dystopie Vincent Must Die. Hier passiert ähnliches, von einem Moment auf den anderen, und besagter Normalbürger muss um sein Leben rennen, egal wo er auftaucht. Hype und Shitstorm, Hofierung und Verbannung: Dream Szenario bringt beides zusammen und beobachtet dabei genau die Eigendynamik, die dabei entsteht, wenn die breite Masse die Macht hat, Personen des öffentlichen Lebens zu dem werden zu lassen, was ihren Befindlichkeiten entspricht, ohne Rücksicht auf Verluste oder kollaterale Schäden, die das Pushen und Schmähen mit sich bringen.

    Soziale Anomalien waren für Kristofer Borgli schon Stoff genug für sein bizarres Drama Sick of Myself, welches die Gier nach Aufmerksamkeit zum Thema hatte. In dieser nicht minder klugen Tragikomödie wie Dream Scenario fügt sich eine mit schwachem Selbstwert ausgestattete junge Frau körperliche Schäden zu, um diese als sonderbare Krankheit zu verkaufen und in den Medien bekannt zu werden. Während hier der Drang zum Ruhm pathologische Züge annimmt, ist in Dream Scenario der Ruhm ein ungewollter Zustand, der sich nicht mal kanalisieren lässt, weil von der Masse bestimmt wird, wie er aussehen soll. In dieser Ohnmacht rudert Nicolas Cage haltsuchend mit den Armen, seine Performance ist wohlüberlegt und fern seiner üblichen Manierismen. Er gefällt sich in diesem seinem Stereotyp zuwiderlaufenden Normalo, dabei packt ihn, dem Verlauf der Geschichte entsprechend, auf skurrile Weise die Verzweiflung eines Menschen, der den Meinungen der anderen ausgesetzt ist wie ein Zebra den Raubtieren fern seiner Herde.

    Zwischen gespenstischen Traumsequenzen und einer mysteriösen Wirklichkeit, in der das Unerklärliche zum Spiegel der Gesellschaft wird, hebt Dream Scenario am Ende gar an zu einer Science-Fiction-Vision – eine Richtung, die der Film gar nicht nötig gehabt hätte. Die Welt der Träume ist schon Nährboden genug, um Reales mit dem Irrealen einen Ringkampf austragen zu lassen, der klar macht, wie die Welt von der Schwemme an falschen Wahrheiten manipuliert wird. Leidtragender ist nur ein Einzelner, verursacht durch viele, die sich, ihren Impulsen folgend, davor hüten, ihren Opportunismus zu hinterfragen.



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    29.03.2024
    17:41 Uhr