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79.4% Bewertung
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    Commentary Phrase

    This movie burns itself into your mind like fire.
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    02.12.2023
    19:51 Uhr
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    Brennender Himmel hinterm Haus am See

    Bei der Berlinale 2023 konnte Christian Petzolds neuer Film „Roter Himmel“ überzeugen. Es sprang der Silberne Bär heraus, also der Große Preis der Jury. Die Latte liegt beim deutschen Regisseur spätestens seit „Undine“ jedenfalls hoch, sehr hoch. Zu hoch vielleicht?

    Petzold schickt die Freunde Leon und Felix in ein etwas entlegenes Ferienhaus am Meer. Leon (Thomas Schubert) möchte die Ruhe nutzen, um an seinem zweiten Roman zu feilen. Felix erhofft sich Inspiration für seine Bewerbungsmappe für die Kunstuniversität. Ein überraschender Gast bringt Unruhe in die Pläne. Die schöne Nadja (Paula Beer) verdreht Leon den Kopf. Bald drängen sich auch Sirenen und der titelspendende rote Himmel in die Idylle.

    In „Roter Himmel“ arbeitet Petzold mit der Kraft von Bildern, aber auch von Worten. Nicht umsonst ist seine Hauptfigur Schriftsteller. Schriftsteller in der Krise trifft es vielleicht noch besser. Leon ist deshalb zutiefst unsicher, mies gelaunt und angriffslustig, kein angenehmer Zeitgenosse. Thomas Schubert füllt die Rolle des intellektuellen Griesgrams in existenziellen Nöten wunderbar aus, unterstützt durch Bild und Kostüm. Oft ist er allein, während die anderen Figuren eine Gruppe bilden. Nur selten lässt er sich zu sozialen Aktivitäten überreden. Das Meer sieht er nur von fern, immer in Alltagskleidung. Oft geht er mit leicht gesenkten Schultern und Leidensmiene durch die Welt. Lächeln darf er nur wenig. Felix und Nadja hingegen sind laut, extrovertiert und schnell für Spaß zu haben. Was nicht selten für Irritationen sorgt und eine spannende Dynamik bringt.

    Paula Beer glänzt (erwartungsgemäß) als Nadja. Sie ist schön, geheimnisvoll, lebensfroh, empathisch, ein wenig chaotisch und offen. Ein zutiefst menschliches Porträt einer Figur, die (leider) eher dazu dient, das Herz des verschlossenen Protagonisten zu erweichen, ihm die Augen fürs Leben zu öffnen. Langston Uibel ergänzt als Felix die WG im Haus am Meer.

    Die Geschichte nimmt erst Fahrt auf, als sich weitere Figuren ins Geschehen einmischen, deren Einführung für einige Lacher sorgt. Wenn man so mit einem guten Freund im kleinen Zimmer nächtigen muss und vom großen Zimmer eindeutige Geräusche hört, kann einem das schon den Schlaf rauben. Petzold setzt noch eins drauf: Leon sieht Nadjas Loverboy verschwinden, erkennt ihn am nächsten Tag am Strand wieder. Felix spricht diesen gleich an und bringt Devid mit E zum Essen mit. Leon ist nicht nur vom Ausblick auf eine vernichtende Kritik seines Verlegers bedroht, auch die Konkurrenz um Nadjas Gunst scheint unüberwindbar.

    Die oft gespannte Stimmung zwischen den Figuren findet ein Pendant in der Natur. Die Sirenen werden lauter und die Waldbrände kommen näher. Der rote Himmel glüht mehr und mehr. Unaufhaltsam. Gefährlich und inspirierend zugleich. Die Kamera fängt dies in beeindruckenden Bildern ein. Die Gewalt der Natur wird spürbar in all ihrer Faszination und zerstörerischen Kraft.

    Dazu muss man es erst einmal durch den zähen Beginn des Films schaffen. Die erzählerischen Elemente sind vor allem im ersten Teil allzu klischeehaft, haben einen schalen Beigeschmack. Sie kommen zu gehäuft, sind vorhersehbar: Auto geht ein, die Orientierung bei der Abkürzung durch den Wald ist schwierig, Chaos im leer geglaubten Haus und die unsäglichen Sexgeräusche aus dem Nebenzimmer, die für schlaflose Nächte sorgen, um einige zu nennen und nichts Wesentliches zu spoilern. Ja, eh. Ein wenig Enttäuschung macht sich ob des platten Einstiegs breit.

    Zum Glück wird dann verraten, an welchen Projekten Leon und Felix arbeiten. Da kommen künstlerische Ansichten und Lebensrealitäten ins Spiel, was interessant ist. Ein mögliches Scheitern bedroht die Existenz: kein weiteres Einkommen als Schriftsteller, keine Aufnahme an die Uni. Für Kunstinteressierte geben die Überlegungen zu Ideen, Komposition und Ausführung einen Einblick ins Metier. Echten Literaturfans seien die Gespräche mit Leons Verleger besonders ans Herz gelegt. Da wird analysiert und diskutiert, sogar ein Gedicht wird rezitiert. Das bietet keine adrenalingetriebene Hochspannung, ist aber recht reizvoll und unterhaltsam. Das Herzstück von „Roter Himmel“ ist aber ohnehin die potenzielle Liebesgeschichte, deren Entwicklung man gern zuschaut.

    Ein echter Pluspunkt ist die Musik. Petzold setzt sie sparsam ein, aber jeder Song sitzt. Es ist sogar ein Österreich-Beitrag dabei: das Lied „In my mind“ der Band Wallners. Eine wunderschöne Untermalung, stimmungsvoll.

    „Roter Himmel“ ist routiniert inszeniert, bietet wundervolle Bilder und lässt Zuseher*innen nah bei den Figuren sein. Ein paar Klischees und Längen trüben trotz aller Dramatik das Filmerlebnis ein wenig. Manchmal sind die Erwartungen einfach zu hoch, auch wenn ein Film gut gemacht ist und keine großen Schwächen hat.
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    18.11.2023
    11:29 Uhr
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    Die Prioritäten eines Künstlers

    Selbstzweifel und miese Laune. Fast könnte man meinen, diese beiden Eigenschaften gehören zum Künstlerdasein wie das Amen im Gebet. Fast könnte man meinen, die Selbstzweifel sind nur dazu da, um für Komplimente zu fischen: Dass das neue Werk sowieso gar nicht so schlecht ist, dass die bescheidene Selbstauffassung den Künstler nur sympathischer macht und devot gegenüber seiner gottgegebenen Gabe, Sätze stilvoll auszuformulieren und aneinanderzureihen. Nur keine falsche Bescheidenheit, könnte man meinen, um dann dem gemarterten Denker, der sich in die stille Oase eines Ferienhauses zurückzieht, um seinem Werk den letzten Schliff zu geben, auf die Schulter zu klopfen. Bei Leon, einem innerlich unrunden und von allem genervten Schriftsteller, ist das erhaschte Lob wohl genau der Motor, der ihn auf Vollgas bringt. Doch dieses Lob, das kommt nicht. Denn niemand hat seinen Zweitroman gelesen, abgesehen vom Verleger wohlgemerkt, der in den nächsten Tagen an die Nordseeküste kommen soll, um das Werk durchzugehen. Bis dahin heisst es arbeiten – doch wie soll das gehen, wenn die aus zwei Freunden bestehende Künstlerkommune (der andere, Felix, ist Fotograf und muss ein Portfolio fertigstellen) plötzlich durch eine dritte Person ergänzt wird, noch dazu durch eine attraktive junge Frau, die sich allnächtlich amourösen Vergnügungen hingibt und den armen, wirklich armen Leon um den Schlaf bringt?

    Es wäre alles eine fast schon banale, norddeutsche Beziehungsgeschichte im Dunst frühsommerlicher Vorfreuden auf trockenheisse Monate, würde Christian Petzold, der im Rahmen der Viennale womöglich stundenlang über seinen Film hätte referieren können, nicht wieder seine schwergewichtige Metaebene in den Plot geholt hätte. Aus der Konstellation genrebekannter Charaktere, die allesamt nicht überraschen und tun, was von ihnen erwartet wird, entsteht somit ein Schicksalsreigen, der sein Ensemble auf gar keinen Fall in Ruhe tun lassen will, was es tun möchte. Viel zu viel steht auf dem Spiel, viel zu viel ringsherum in dieser Welt, um die sich keiner mehr schert, geht da vor sich. Es lodern Waldbrände, die kaum mehr zu kontrollieren sind, und das im Juni. Der Himmel leuchtet rot in der Nacht, das donnernde Geräusch der Löschhubschrauber lenkt Leon von seiner Arbeit ab, während Felix nur an den Strand will, um dabei Leute zu fotografieren, die aufs Meer schauen. Diese Ursuppe, die könnte bald übergehen, wenn der Klimawandel irgendwann zu seinem Ende kommt. Noch blicken wir erstaunt auf das, was sich auf rätselhafte Weise so anfühlt, als wäre es ein Naturphänomen oder eine Selbstverständlichkeit. Wie die Biolumineszenz des Meeres. Wie unbedeutend erscheint da die Qual des Virtuosen, den nächsten Bestseller zu schreiben? Doch Thomas Schubert, bekannt aus Karl Markovics fulminantem Einstand Atmen, grantelt und zwidert herum wie ein Hans Moser des 21. Jahrhunderts – zynisch, herablassend und wehleidig. Ihm zuzusehen, vertreibt die Zeit in Windeseile, weil er oft sein darf, wie wir selbst oft sein wollen, dabei aber ganz vergessen, dass es noch andere und anderes gibt, wofür es den aufmerksamen Blick braucht. Thomas Schuberts schwarzer Mann im Strom der Begebenheiten ist das von der Seele des Kreativen geredete La Linea-Männchen, dem man den Strich zum Weitergehen wegradiert.

    Insofern wagt Petzold, das Künstlerdasein als mitunter etwas Irrelevantes darzustellen, in Anbetracht höher gesetzter Koinzidenzen und merkwürdiger Konstellationen. Roter Himmel wirkt wie metaphysische Mystery, wie ein Sommernachtstraum zwischen rezitierten Gedichten und Ascheregen. Einerseits ist es das, andererseits auch wieder nicht. Niemandem gelingt dieses zarte Changieren zwischen den Ebenen so beiläufig wie Petzold. Und dennoch ist es diesmal so, als würde der schon seit ewigen Zeiten filmemachende Virtuose ausnahmsweise mal selbst ein bisschen unter Druck geraten sein. So geschmeidig und leichtfüßig sich das Stelldichein am Meer auch anfühlt, so vehement bricht Petzold mit der Entrücktheit seiner Fast-Künstlerkommune. Schicksalsschläge wie bei einer Soap Opera donnern hernieder – das ist fast schon zu direkt und zu rutschfest am Schlafittchen gepackt. Aufgesetzt, will ich fast meinen. Und dann doch wieder nicht, denn das, was kommt, das ist schließlich etwas, dass man fast schon erwarten muss. Natürlich ist Roter Himmel dann nichts mehr Belangloses mehr, kein Künstlerjammern, kein Blickezuwerfen durchs Haus und am Strand. Das ist schön und gut, und auch faszinierend sowie in äußerster (Dis)harmonie dargeboten. Die Notwendigkeit aber, erhellen zu müssen, nimmt dem Drama aufgrund des zu erwarteten Unerwarteten eine gewisse Spontaneität, die sich so gut aus dem sozialen Spannungsfeld entladen ließe.



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    23.10.2023
    11:11 Uhr
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    Wenn das Ego Feuer fängt

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Die Künstlerseele gilt gemeinhin als besonders empfindsam. Kritik jeglicher Form wird oftmals als persönlicher Angriff wahrgenommen und abgeblockt. Es steht die Behauptung im Raum, die Welt sei einfach noch nicht bereit für das missverstandene Genie der eigenen Arbeit. Nicht anders geht es da dem Protagonisten in „Roter Himmel“, dem neuesten Film von Berlinale-Dauergast Christian Petzold.

    Leon (Thomas Schubert) ist ein junger, aufstrebender Autor, der aktuell an seinem neuesten Manuskript tüftelt. Um dieses fertigzustellen, begibt er sich in Begleitung seines besten Freundes, dem angehenden Fotografiestudenten Felix (Langston Uibel), in ein abgelegenes Ferienhaus an der Ostsee. Zur Überraschung der beiden wird das Häuschen zur selben Zeit auch von der Eisverkäuferin Nadja (Paula Beer) belegt. Anfangs sehr zum Missfallen von Leon, der ohnehin daran scheitert, sein Werk zeitgerecht zu finalisieren - der Besuch des Verlegers (Matthias Brandt) naht. Die hyperaktive Präsenz des Bademeisters Devid (Enno Trebbs) ist ihm nur ein weiterer Dorn im Auge. Während die restliche Truppe Sommer, Strand und Zärtlichkeit genießt, fühlt sich der grimmige Möchtegernautor von der Freude seiner Mitmenschen gestört. Warum sollten andere Spaß haben dürfen, wenn er - der große Schriftsteller - gerade eine Schaffenskrise durchlebt? Unterdes verkehren im Hintergrund massenweise Löschfahrzeuge, im nahgelegenen Wald wütet nämlich ein gigantisches Feuer. Leon bleibt aber mit sich selbst beschäftigt.

    Christian Petzold ist seit einiger Weile eine sichere Bank, wenn es um außergewöhnliche Beiträge innerhalb der häufig belächelten, deutschen Filmlandschaft geht. Als prominenter Vertreter der Berliner Schule beschenkte er das gegenwärtige Weltkino bereits mit verträumten, verspielten und verkopften Werken wie „Yella“ (2007), „Phoenix“ (2014) oder „Transit“ (2018). Mit seiner neuesten Arbeit bereichert der 62-Jährige sein ohnehin beeindruckendes Œuvre aber sogar um den eventuell hypnotischten, kurzweiligsten und schlichtweg gelungensten Film seiner Karriere.

    Was als locker-flockiges Hangout-Movie unter jungen Intellektuellen anfängt, entwickelt sich schleichend zum soghaften Porträt eines selbsternannten Künstlers, der nicht über seinen eigenen Schatten springen kann - brennend heiße Allegorien inklusive. Leon ist ein Narzisst wie er im Buche steht: jemand, der meint, ihm würde sowieso alles zustehen und der anderen von oben herab begegnet. Er selbst scheint sich seiner arroganten Erhabenheit aber kaum bewusst. Die Odyssee Leons birgt deshalb reichlich komödiantisches Potenzial, das der österreichische Hauptdarsteller Thomas Schubert („Atmen“, „Das Finstere Tal“) mit überzeugender Grantlermiene trägt.

    Erstaunlicherweise gelingt es Petzold dennoch diesen auf den ersten Blick zutiefst unangenehmen Weggesellen zu humanisieren. Neben der hinreißenden Darbietung Schuberts ist dies den Nuancen des Drehbuchs zu verdanken. Hier und da sammeln sich subtile Momente, in denen Leons Verletzlichkeit und Unsicherheiten zum Vorschein kommen. Das taffe Auftreten ist wenig mehr als ein Schutzpanzer, der diese zu verstecken vermag. Früher oder später zerbricht die Fassade jedoch. Daher lohnt es, das Ego ab und an beiseite zu schieben und den Blick nach außen zu richten. Wer weiß: möglicherweise erwartet einen dann ein Sommernachtstraum so schmerzhaft und wunderschön wie dieser.
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    27.02.2023
    16:46 Uhr