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    Ergreifendes Milieudrama

    Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar versucht mit „Les héritiers“ ein wach-rüttelndes Milieudrama zu zeigen, was ihr auch erfolgreich gelingt.
    Ihr neuer Film handelt von einer „außer-Kontrolle-geratenen“ Abschlussklasse eines Pariser Gymnasiums, die auf alles Lust hat, außer auf Schule. Das gesamte Lehrerkollegium ist sich sicher, aus dieser Klasse wird sowieso nichts. Auch die Schüler selbst glauben nicht daran irgendwelche vielversprechenden Zukunftsaussichten vor sich zu haben, also wozu sich eigentlich noch Mühe geben?

    Alles scheint sich aber zu ändern, als die neue Lehrerin Madame Anne – wunderbar gespielt von Ariane Ascaride – die „Null-Bock“ Klasse übernimmt. Durch ihre kluge und charismatische Art schafft sie es tatsächlich zu den Schülern durchzudringen und ihren Respekt für sich zu gewinnen. Mit Hilfe eines Projekts will sie versuchen das Gemeinschaftsgefühl der Klasse zu fördern. Thema: „Kinder und Erwachsene im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager“.

    Ab diesem Punkt macht der Film eine 180° Drehung: er wird tiefgründiger in seinem Ton und regt die Zuschauer auch wirklich dazu an, nachzudenken. Die ernste Thematik verändert die ganze Weltanschauung der Schüler, sie begreifen nach und nach das enorme Gewicht dieser Aufgabe, wie wichtig die Vergangenheit ist, wie absolut notwendig es ist, das Holocaust-Thema immer und immer wieder zu aufzurollen, damit auch niemand das schreckliche Menschheitsverbrechen je vergisst. Das Tüpfelchen auf i bildet der Zeitzeugenbesuch von Léon Zygul: Er berichtet über seine Zeit in einem Konzentrationslager, wie er gemeinsam mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert wurde, wie er unter den unvorstellbarsten Bedingungen gelitten hat, aber trotz allem die Hoffnung nie aufgegeben hat. Bis heute hat er sich seine positive Einstellung bewahrt, er glaubt nach wie vor an den Kampf gegen den Rassismus und stattdessen für die Würde des Menschen. Bei diesem ergreifenden Moment bleibt im Kinosaal wahrscheinlich kein Auge trocken.

    „Les héritiers“ verlässt sich auf die Grundthese „In der Kürze liegt die Würze“: Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar „verschwendet“ nie mehr Zeit als unbedingt notwendig bei einer Szene. Dadurch bekommt der Film einen relativ schnellen Erzählrhythmus, es passiert immer etwas, man kann seine Augen nie von der Handlung abwenden. Obwohl zum Beispiel das Thema Rassismus nie direkt angesprochen wird, begreift man anhand von kurzen und prägnanten Szenen, dass noch immer darunter gelitten wird: Eine dunkelhäutige Frau will im Bus ihren Sitz einer weißen älteren Dame anbieten, diese nimmt das Angebot jedoch nicht, auf den Briefkästen der Nachbarn vom Schüler Malik (Ahmed Dramé) steht immer wieder „Scheiß Juden“, der Schüler Oliviér (Mohamed Seddiki) konvertiert zum Islam und weist eine dezent antisemitische Gesinnung auf, etc. Auf die soziale Herkunft der einzelnen Schüler wird ebenfalls nie direkt eingegangen, aber z.B. anhand der kurzen Szene, in der die Schülerin Mélanie (Noémie Merlant) unzählige Alkoholflaschen in ihrer Wohnung wegräumt, während ihre Mutter auf der Couch schläft, begreift man die Situation des Kindes.

    Die ruhig geführte Kamera (scheint beinahe wie eine Handkamera) gibt dem Film einen Touch eines Dokumentarfilms: die harten Fakten werden aufgerollt, es wird nichts beschönigt dargestellt, wodurch jedoch alles viel realer wirkt. Auch die sparsam eingesetzte Klaviermusik baut die richtige Atmosphäre auf, sie wirkt überhaupt nicht kitschig oder fehl am Platz, sondern sehr passend. Das Drehbuch ist fantastisch geschrieben, auch hier merkt man, dass nicht mehr Wörter verwendet wurden als unbedingt notwendig waren. Die kurzen, aber sehr aussagekräftigen Sätze haben einen enormen Effekt auf den Kinozuschauer. Als beispielsweise der Schüler Max (Stéphane Bak) in die Klasse kommt und einfach nur „Il aurait évitée (Es hätte verhindert werden können)“ sagt, bekommt man ein äußerst mulmiges Gefühl in der Magengegend.

    Filme wie „Les héritiers“ sind wichtige Filme, sie führen uns vor Augen, wie wenig die Menschen eigentlich aus ihrer Vergangenheit gelernt haben, denn Rassismus ist nach wie vor ein weit verbreitetes Problem, auch in unserer eigentlich aufgeklärten Gesellschaft. Immer noch werden Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung unfair behandelt, ein Verbrechen, das eigentlich gar nicht mehr geschehen dürfte. Um aber solche menschenunwürdigen Handlungen zu unterlassen, muss man sich mit der Vergangenheit beschäftigen, man darf nie vergessen, was einst geschehen ist, sonst könnten womöglich dieselben Fehler wiederholt werden. Die jetzige Generation ist der Erbe der Vergangenheit, und nur wenn sie sich mit ihr auch ausdrücklich befasst, kann sie daraus lernen.

    Marie-Castille Mention-Schaar zeigt aber, dass wir mit Hilfe von gescheiter Bildung durchaus dazu fähig sind aus unseren Fehlern zu lernen. Und da der Film auf einer wahren Begebenheit beruht, lässt das den Kinobesucher mit einem Hoffnungsschimmer zurück.
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    12.11.2015
    13:06 Uhr
  • Die Erben

    Ein Problem von synchronisierten Filmen ist die Tatsache, dass der Originaltitel oft viel mehr aussagt als zum Beispiel „Die Schüler der Madame Anne“, der neue Film von  Marie-Castille Mention-Schaar. Dieser, auf wahren Begebenheiten beruhende Film heißt im Original „Les heritiers“, auf Deutsch „Die Erben“. 

    Diese Erben sind ein Schmelztiegel unterschiedlicher Religionen und Abstammungen  welche ständig ihre Agressionen untereinander ausleben und auch gegen die Lehrer rebellieren. Die Ausnahme ist ihre Geschichte- und Kunstprofessorin, Madame Anne.  Diese seit 20 Jahren unterrichtende Lehrerin verschafft sich Respekt bei den Schülern und schlägt dieser „Problemklasse“ ein Projekt vor: die Teilnahme am auch in der Realität jährlich stattfindenden „Nationalen Wettbewerb zum Widerstand und zur Deportation“. Viele der Schüler sind zu Beginn skeptisch und zeigen auch wenig Selbstvertrauen ob dieser für sie neuen Herausforderung. 

    Ausserdem stellt sich in der Klasse, viele sind Muslime, die Frage, was das Schicksal dieser deportierten und ermordeten Kinder sie selbst überhaupt angeht.  Der Film zeigt sehr realitätsnah und einfühlsam wie dieses Thema sehr wohl die heutige Generation  der  scheinbar „hoffnungslosen Fälle“ berührt, Jugendliche  die selbst das Gefühl der Ausgrenzung in der Gesellschaft wegen ihrer Religion oder Hautfarbe tagtäglich erleben. Durch die intensive Gruppenarbeit der Schüler wächst auch zwischen den so unterschiedlichen Schülern ein Gemeinschaftsgefühl und auch die Angst davor, sich als lernschwache Klasse zu blamieren weicht einem erstarkten Selbstvertrauen. 

    Die berührendste Szene ist wohl der Moment des Aufeinandertreffens eines Überlebenden des Holocaust mit der Schulklasse wobei dieser 85 jährige Mann die letzten Zweifler in der Klasse von der Dringlichkeit de Beschäftigung mit diesem Thema und auch dem Kampf dagegen, dass sich dieses dunkle Kapitel der französischen Geschichte niemals wiederholen möge. Eigentlich ist dieser, nach dem Drehbuch eines Schülers dieses Gymnasiums entstandene Film schlussendlich sehr optimistisch, vielleicht gegen Ende hin zu sehr auf Happy End getrimmt, aber nichtsdestotrotz ein sehenswerter Film geworden.
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    11.11.2015
    22:18 Uhr
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    Chancen durch Zusammenarbeit

    Kopftücher ausziehen, Kreuze verstecken, Handys ausschalten und Kappen absetzen. Eine Klasse in einer Banlieue - einem Vorort von Paris: Jugendliche aus unterschiedlichen Familien ohne Perspektiven, haben durch Abwerten von Lehrern auf schlechte Noten kein Vertrauen mehr in ihre Schulleistung. Kulturen und Schichten treffen aufeinander im dritten Regiewerk der Franzosin Marie-Castille Mention-Schaar.

    Für die Schüler zählt scheinbar nur, wer die schönere Frisur hat, auf welche Party man geht oder welche Kleidung angesagt ist. Aus der Sicht der Schulleitung ist die Klasse eine Katastrophe. Bis Madame Anne Gueguen (Ariane Ascaride) sie übernimmt und voller Motivation mit einem neuen Projekt aus der Reserve lockt. Die Spannung steigt in der Szene als Madame Gueguen sich dem lauten Klassenraum mit selbstsicherem Schritt nähert, bis er verstummt als sie den Raum betritt und zeigt, wie sie mit dieser wilden Bande umgehen will. Ariane Ascaride spielt die Hauptrolle gekonnt mit einer humorvollen Bestimmtheit die einfach jeden Sturkopf mitreißt und so hat obwohl sie kleiner als fast alle Schüler ist, jeder Respekt vor ihr.

    Madame Anne möchte mit den Schülern an einem Wettbewerb teilnehmen und zum Thema „Kinder und Jugendliche im System der nationalsozialistischen Konzentrationslager“ Stellung nehmen. Kein Test, keine Prüfung, kein Mitschreiben! Das Thema der NS-Zeit ist schwierig und geht doch jeden etwas an. Das begreifen auch die Schüler Stück für Stück und beginnen einen Gruppenantrieb zu entwickeln in dem sie recherchieren um mehr darüber zu erfahren, und sogar gemeinsam ein bewegendes Gespräch mit einem Zeitzeugen führen.

    Durch neue Perspektiven auf die Vergangenheit beginnen sie sich auch gegenseitig anders wahrzunehmen und Jeder und Jede von ihnen entwickelt seine Persönlichkeit weiter. Auf einmal geht die aufmüpfige Mélanie (Noémie Merlant), die normal lieber ihre Kopfhörer im Unterricht aufbehält in die Bibliothek und der schüchterne Streber Théo (Adrien Hurdubae) beginnt mit seinen Mitschülern zu reden. Die Charaktere sind authentisch und glaubwürdig gespielt als wären sie direkt den Pariser Vorstädten entnommen. Die Geschichte hat sich nämlich auch schon in der Realität abgespielt und gab die Idee für den Film. Vor allem der Kontrast und die Konflikte zwischen den Schichten spielen eine bedeutende Rolle. Zwischen Menschen unterschiedlichen Alters, Weltanschauungen, Herkunft, Hoffnungen und Lebensumständen ergeben sich im Laufe des Filmes immer sinnvollere Arten der Kommunikation.

    Ab dem Moment in dem die Klasse von der Idee begeistert ist, ist der Film leider recht vorhersehbar und auch die Musik von Ludovico Enaudi drückte gegen Ende mit zu altbekannten Mitteln auf die Tränendrüse. Er erinnert mich sehr an „Die Kinder der Monsieur Matthieu“ nur in weiblich und interkulturell. Er fügt sich durch den Aufbau und die grundmoralisierende Art der Geschichte gut in die Standards der französischen Schulfilme ein.

    Freundschaft und Geborgenheit sind auch hier essentiell, vor allem wenn das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Kulturen immer Spannungen erzeugt. Der Film war insgesamt sehr berührend und trägt eine weise Botschaft über Bildung und Hoffnung in die Welt hinaus: Zusammenarbeit bringt einen nicht nur besser ans Ziel sondern auch persönlich weiter.
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    11.11.2015
    22:15 Uhr
  • Bewertung

    Ein schwieriges Thema für eine Schulklasse

    Eine Lehrerin, die mit einem Haufen umtriebiger Schüler konfrontiert wird, diese mit ihren Mitteln begeistert, eventuell noch einen Schüler verliert, aber schlussendlich die Herzen aller gewinnt. Klingt doch ein wenig nach „Sister Act“… Taucht man jedoch tiefer in das Thema ein, eröffnet sich einem eine Tatsachenerzählung, die in jeder Sequenz eine Natürlichkeit und Ehrlichkeit ausstrahlt, wie sie nur selten zu finden ist. Anfangs wirken manche Szenen noch irrelevant für die Geschichte, zu alleingelassen, doch mit deren Fortlauf werden sie rarer und man bemerkt, dass dadurch die Story erst richtig lebendig wird. Untermalt wird dies durch die fabelhaft von Ludovico Enaudi arrangierte Filmmusik, die zwar nur in wenigen Szenen zu tragen kommt, dadurch aber noch eindringlicher wirkt. Insgesamt ein, gerade wegen der aktuellen Brisanz, sehr sehenswerter Film, den man jedem quer durch alle Altersklassen und Schichten empfehlen möchte und so gesehen, doch ausschließlich die Grundstory mit „Sister Act“ gemein hat.   
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    11.11.2015
    22:11 Uhr