Corpus Homini

Bewertung durch MichaelGasch  50% 
Durchschnittliche Bewertung 65%
Anzahl der Bewertungen 2

Forumseintrag zu „Corpus Homini“ von MichaelGasch

4d4a6164_klein_1219e75b28.jpg
MichaelGasch (11.04.2024 15:05) Bewertung
Ein multidimensionaler Blick auf den menschlichen Körper
Exklusiv für Uncut von der Diagonale
„Corpus Homini“ ist eine österreichische Dokumentation über den menschlichen Körper und seine Bedürfnisse. Regisseur Anatol Bogendorfer folgt dabei einer Hebamme, einer Ärztin, einer Sexarbeiterin und einem Bestatter-Ehepaar und nimmt den Tempel unseres Geistes in unterschiedlichen Facetten unter die Lupe.

Der Körper im Kino

Unzählige Werke und Kunstprojekte gibt es mittlerweile über den menschlichen Körper. Die Spanne zwischen „Körperwelten“, dem dokumentarischen Schocker „De Humani Corporis Fabrica“ und allen weiteren Glanzproduktionen im Bereich des Body-Horrors, fällt dementsprechend divers aus. Es gibt genug Pathologie-Kino, dachte sich wohl der österreichische Regisseur Anatol Bogendorfer und präsentiert nun mit „Corpus Homini“(Lateinisch: Der Körper des Menschen) einen Film mit nahezu null Schockfaktor.

Nahe am Menschen werden die körperlichen Bedürfnisse festgehalten und in unterschiedlichen Kontexten eingerahmt. Wir kennen es bereits aus anderen Filmen, nicht zuletzt auch durch Elton Johns prägnanten Song „The Circle of Life“, dass es sich um einen Kreislauf handelt und dass bei jedem Leben, welches Abschied nehmen muss, ein neues beginnt. „Corpus Homini“ verzichtet jedoch auf solche trivialen Sprüche, die sich bereits viele andere Filme zunutze gemacht haben. Zu jeder Zeit menschenzentriert, wird sukzessiv ein hyperrealistischer Ansatz verfolgt, von Kunst kaum die Spur.

Fokus auf das Animalische

Paradoxerweise ist die Dokumentation aber gerade dann richtig stark, wenn einmal die Dialoge in den Hintergrund treten und Bogendorfer Bild und Musik harmonisch zusammenbringt. Tendenziell sind es eher diese Momente, in denen man einmal die Gedanken schweifen lassen kann, wodurch sich mitunter auch paralysierende Gefühle einstellen. Fast schon grausam ist beispielsweise das Portrait älterer Menschen, bei denen die Verbindung zwischen Geist und Körper immer mehr aufweicht. Es ist ein Segen, dass dieser subtile Schrecken, der im Krankenhaus eingefangen wird, nicht von langer Dauer ist, der unchronologischen und sprunghaften Narrative sei Dank.

Beim Blick auf die Protagonisten aus dem Alltag stellt sich alsbald ein leicht polarisierender Eindruck ein. Am Anfang eines jeden Lebens gibt es die Hebamme - eine kulturell höchst relevante Person, am Ende die Bestatter. Soweit alles gut, doch dass zwischen Anfang und Ende „nur“ Ärzte und Sexarbeiter eingestreut werden, hinterlässt nicht den Eindruck eines adäquaten Abbilds der Realität - ganz zum Nachteil des hyperrealistischen Ansatzes. Zu stark setzt sich „Corpus Homini“ in institutioneller Hinsicht mit diesen Berufen auseinander, es dauert nicht lang, bis sich eine Frage aufdrängt: Geht es hier wirklich um den menschlichen Körper oder nur um die Berufe, die mit dem Körper etwas zu tun haben?

Was wird gezeigt, was wird nicht gezeigt?

„The Sessions“ hat vor zwölf Jahren das Thema der Sexarbeit schon einmal angegangen, „Corpus Homini“ führt diesen Ansatz jetzt weiter und geht in die nächste Runde. Gegen Stigmatisierung und Tabuisierung wird appelliert, eine ambivalente Auseinandersetzung findet jedoch eher nicht statt. Es verhält sich ähnlich zum Film „Ewige Jugend“, in dem die Bedürfnisse alter Männer unter die Lupe genommen werden. Beide Werke sind deutlich beschönigter und unterhaltsamer, jedoch auch deutlicher in ihrer Narrative, wohingegen die österreichische Produktion einige Probleme hat, all diese Themen gekonnt unter einen Hut zu bekommen.

Immer weiter verstrickt sich Bogendorfer fortan in das animalische Wesen in uns allen und verkennt dabei die geistige Seite. Doch ist dies nicht auch Teil des Körperlichen? Und auch die Frage nach den Bedürfnissen scheint dann doch gar nicht so sehr zu interessieren. Dabei gäbe es vermutlich ausreichend viele Möglichkeiten wie die Maslowsche Bedürfnispyramide oder die Kategorisierung nach dem Psychotherapie-Forscher Klaus Grawe (das Bedürfnis nach Bindung, nach Orientierung und Kontrolle, nach Selbstwerterhöhung und nach Lustgewinn), an der sich Bogendorfer hätte orientieren können.

„Corpus Homini“ beginnt in den ersten Minuten mit einem wuchtigen Soundtrack und ehe man sich versieht, bildet sich schon die Erwartungshaltung, einen wuchtigen Film zu Gesicht zu bekommen. Leider ist das Gegenteil der Fall, da es sich in der Gesamtheit um eine eher zahme Produktion handelt, die nur selten einen Nerv trifft. Ein Mangel an Radikalität lässt sich da zwar noch entschuldigen, ein Mangel an Emotionalität dann doch eher weniger.
 
 

zum gesamten Filmforum von „Corpus Homini“
zurück zur Userseite von MichaelGasch