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Julie Delpy im Interview zum Film „Die Barbaren“

Julie Delpy im Interview zum Film „Die Barbaren“

Die Schauspielerin und Regisseurin Julie Delpy spricht mit UNCUT über ihren neuen Film, Politik in der Kunst und 30 Jahre „Before Sunrise“.
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von (chrosTV )
Mit „Die Barbaren - Willkommen in der Bretagne“ widmet sich Julie Delpy der Geschichte einer Kleinstadtgemeinde, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen wollte, dann aber, zu ihrer eigenen Überraschung, eine Familie aus Syrien zugewiesen bekommt. Im Exklusivinterview mit UNCUT spricht die französische Darstellerin und Filmemacherin über Politik in der Kunst, dem Drahtseilakt zwischen Comedy und Drama und blickt zurück auf 30 Jahre „Before Sunrise“, dem schönsten Wien-Film der Kinogeschichte.

Die Barbaren - Willkommen in der Bretagne Bild aus dem Film „Die Barbaren - Willkommen in der Bretagne“ (Filmladen)

Christian Pogatetz/Uncut: Herzlichen Glückwunsch zu „Die Barbaren“. Was hat Sie dazu bewogen, diese Geschichte zu erzählen?

Julie Delpy: Ich glaube, der erste Impuls war, Zeuge dieser Tragödie zu sein, die so viele Menschen in Syrien trifft, die aus ihrem eigenen Land fliehen müssen, im Grunde wegen ihres Diktators. Es war einfach herzzerreißend, das Elend und die ertrinkenden Menschen zu sehen. Und wissen Sie, das passiert auch in anderen Ländern ständig, in ganz Afrika, im Nahen Osten, und man sieht das Leid. Und wir sind teilweise dafür verantwortlich, weil unsere Regierungen entweder in schäbige Geschäfte oder andere fragwürdige Dinge verwickelt sind oder weil sie Diktatoren unterstützen – aus Geschäftsgründen, oder was auch immer. Wir alle wissen, worum es ihnen wirklich geht. Aber Zeuge davon zu sein, dann zu sehen, wie syrische Flüchtlinge in Europa ankommen und kämpfen, aber auch, wie manche Menschen sie mit guten Absichten willkommen heißen, und manche, die sie nicht willkommen heißen, und diese Dynamik zu sehen, ist eine Tragödie. Gleichzeitig fand ich es lustig, vor allem Franzosen zu sehen, die es gut meinen, die versuchen, Menschen willkommen zu heißen, und darin nicht immer gut sind, ungeschickt sind oder vorgefasste Meinungen haben, ohne rassistisch sein zu wollen, sondern rassistisch sind, ohne es zu wollen, und zuweilen auch einfach rassistisch sind, weil sie rassistisch sein wollen. Die Kombination all dieser Menschen und all dieser unterschiedlichen Reaktionen auf die Flüchtlingskrise bot viel Potenzial für Komödiantisches. Offensichtlich macht sich die Komödie nicht über Flüchtlinge lustig. Sie macht sich aber über die Menschen lustig, die sie willkommen heißen oder eben nicht.

Der Film ließe sich am ehesten als „Culture-Clash“-Komödie klassifizieren – einem Genre, das in Ihrer Heimat besonders beliebt ist. Woher kommt diese Popularität? Können diese Filme tatsächlich dazu beitragen, Vorurteile zu überwinden?

Ich denke, es schadet nicht, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, was ja auch ein bisschen dem Ziel einer Comedy-Satire entspricht. Ich weiß nicht, ob es den Leuten hilft zu verstehen, was passiert, oder ob sie verstehen, dass dieser Spiegel in manchen Fällen vielleicht sie selbst sind. Ich versuche, ehrlich zu sein, aber mit Humor und Leichtigkeit. Und ich denke, wenn man nicht gerade ein radikaler Rassist ist, der aktiv Menschen anderer Kulturen verletzen will, können einen solche Filme nur interessieren, amüsieren oder bewegen.

Halten Sie es als Filmemacherin, als Person der Öffentlichkeit für wichtig, sich in krisengeschüttelten Zeiten wie diesen zu den großen gesellschaftlichen Fragen zu äußern? Kann Kino, kann Kunst überhaupt unpolitisch sein?

Ich halte es für essenziell. Ich meine, es gibt Unterhaltung, was großartig ist, aber selbst seichte Unterhaltung vermittelt eine Botschaft, nämlich: Seid nett zueinander. Sogar in Superheldenfilmen geht es, auch wenn diese nicht zu meinen Lieblingsfilmen gehören, hauptsächlich darum, die böse Seite der Menschheit zu bekämpfen, oder? Ich finde es spannend, denn sogar Disney Plus hat Geld in meinen Film investiert, und man hat bei Disney als mächtigen Konzern natürlich vorgefertigte Meinungen, aber letztendlich wollen sie eine positive Botschaft vermitteln. Und deshalb gefällt ihnen der Film, weil ich mir ein positives Ende mit hoffnungsvoller Note gewünscht habe. Warum Hoffnung, obwohl wir in einer Welt leben, in der es so wenig davon gibt? Denn wenn wir die Hoffnung verlieren, ist alles vorbei. Und im Grunde gewinnt die dunkle Seite. Der Faschismus fürchtet sich vor allem vor Reflexion, Intelligenz, Humor und Hoffnung. Das sind die Gegenmittel gegen faschistoide Entwicklungen. Und natürlich waren einige Leute in Frankreich, die den Film sahen, wütend auf ihn, weil er versucht, spaltende Themen direkt anzusprechen. Aber ja, am Ende ist ein Film, und ich denke, er wird in diesem Diskurs nicht mehr sein als ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber besser ein Tropfen auf den heißen Stein als gar nichts. Ich versuche, die Hoffnung nicht zu verlieren.

Und haben Sie den Eindruck, dass es derzeit einen Mangel an wirklich antifaschistischem Kino gibt? Und wie lässt sich dem vielleicht entgegenwirken?

Es gibt einige Filme, die Position beziehen. In Cannes ist das in etwa ein Drittel aller Filme. Der brasilianische Film ist anscheinend brillant, hat man mir erzählt. Und er richtet sich gegen den damaligen Faschismus in Brasilien, genauso wie der iranische Film. Ich liebe es, wenn ein Film soziales Bewusstsein thematisiert. Mich interessiert das immer, auch wenn es um die Beziehungen zwischen Männern und Frauen oder um die Familie geht. Für mich ist es wichtig, etwas zu sagen, auch wenn es nur etwas Kleines ist. Ich habe in meinen Filmen, selbst in den Filmen, die ich nur geschrieben habe, immer einen politischen Aspekt oder so etwas eingebaut. Ich finde es einfach interessanter. Es macht die Dinge für mich auch realer.

War es eine Herausforderung, die gesunde Balance zwischen Tragik und Komik zu finden?

Ja. Und gemeinsam mit dem Cutter haben wir bei der Arbeit am Film sehr darauf geachtet, weder in die eine noch in die andere Richtung zu gehen, weder zu lustig noch zu dramatisch, weder zu albern noch zu witzig noch zu dramatisch. Man muss immer einen schmalen Grat beschreiten, denn wenn man zu dramatisch wird, kann man nie wieder zur Komödie zurückkehren. Ist es umgekehrt nie wieder zum Drama. Deshalb mussten wir den Film ständig im Auge behalten und quasi navigieren. Als ob wir Auto fahren würden, es war, als würden wir auf dieser großen Straße fahren. Es war ein interessanter Prozess, genau die richtige Mischung aus Komödie, Drama und emotionalem Aspekt zu finden.

Und warum ist Ihrer Meinung nach die Tragödie im Kino, wie auch im wahren Leben, oft so nah an der Komödie?

Ich denke, es kommt darauf an. Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Ereignis zu betrachten, nicht wahr? Manche Ereignisse lassen sich niemals komödiantisch darstellen. Das Leid der Flüchtlinge ist keine Komödie. Krieg hingegen kann man zu einer Komödie machen. Es wird eine sehr schwarze Komödie. Wenn Kubrick in „Dr. Seltsam“ eine Atombombe in den Himmel schickt, ist das lustig, aber gleichzeitig auch total abgefuckt. Aber man kann fast alles in eine Komödie verwandeln. Ich mache mich nicht über die syrischen Flüchtlinge lustig, sondern über die Reaktion der Franzosen auf diese Flüchtlinge und darüber, wie kleinlich sie sich auf ihre Probleme einlassen, wenn sie mit Menschen konfrontiert werden, die echte Probleme haben, aber auch mit kleinen, denn das ist die Realität der Menschen. Es ist, als hätten sie große Probleme, sich von der Rückkehr aus einem Kriegsgebiet zu erholen. Und sie haben auch Beziehungsprobleme. Die junge Frau will sich verlieben, all das ist immer noch da, also macht es Spaß, mit der Komödie auf der einen Seite und dem realistischeren Drama auf der anderen Seite zu spielen. Es ist wirklich interessant, es ist fast wie Kochen, man will es selbst machen, man muss genau die richtige Alchemie finden, um diesen Film zu machen. Er ist nicht sehr auffällig, weil er nicht mit großem Budget gedreht wurde. Ich habe den Film also ganz einfach gedreht, für unter 3 Millionen. Aber das wichtigste: ich konnte die Geschichte erzählen, die ich erzählen wollte.

Ist es kompliziert, gleichzeitig vor und hinter der Kamera zu agieren?

Es ist immer schwierig. Und langfristig möchte ich nicht mehr in meinen eigenen Filmen mitspielen. Mein Traum ist es, nur noch Regie zu führen, weil mir das so Spaß macht.

Und Sie sind ja auch leidenschaftliche Cineastin. Gab es Filme, die hierfür besonders einflussreich waren?

Ich mag Komödien, italienische Komödien aus den 70ern mit vielen Charakteren, und die sind ein bisschen chaotisch. Ich glaube, ich bin mit all diesen Filmen aus dieser Zeit aufgewachsen. Und ich glaube, das hat mich irgendwie beeinflusst. Und vielleicht gefällt mir „Die Hand Gottes“ deshalb auch so gut. Erstens ist es ein wunderschöner Film. Zweitens hat er auch etwas mit dem Chaos in der Familie zu tun, das ich sehr liebe, und meine Mutter war Italienerin.

Zu guter Letzt gibt es noch eine Frage, die ich Ihnen als gebürtiger Österreicher unbedingt stellen möchte. Richard Linklaters „Before Sunrise - Zwischenstopp in Wien“, der Beginn der Trilogie, die Ihre Karriere auf ein neues Niveau hob, feierte kürzlich sein 30-jähriges Jubiläum. Wie blicken Sie auf 30 Jahre dieses wunderbaren Films zurück? Und welche Verbindung haben Sie zu Wien und Österreich im Allgemeinen?

Ich habe heute versucht, mich an die Dreharbeiten zu erinnern, weil ich wusste, ich werde Interviews mit Österreicherinnen und Österreichern haben. Zum Glück habe ich Tagebuch geführt. An die Vorbereitungen, also die Schreibphase, die Probenphase, erinnere ich mich sehr gut, an die Dynamik und so. Die Dreharbeiten waren etwas anstrengender, weil sie nachts stattfanden. Daran kann mich nicht mehr so gut erinnern. Ich weiß nur noch, dass es 1994 der heißeste Sommer aller Zeiten war. Aber nein, ich erinnere mich an den sehr kreativen Prozess, diese Figur zu finden und sie komplett neu zu schreiben. Im Grunde habe ich festgestellt, dass vieles, was ich in den Film einbaue, eigentlich aus vergangenen Beziehungen und dem Gefühl des Verliebtseins stammt. Ich war eine richtige Romantikerin, ich wünschte, ich könnte dahin zurückkehren. Aber ich denke, es geht einfach darum, dieses Gefühl des Verliebtseins und so wieder zu erleben. Ich bin jetzt verheiratet, also spure ich es weiterhin, aber diese Unschuld und Leichtigkeit von damals ist verlorengegangen. Es ist interessant, dass ich den Film schon lange nicht mehr gesehen hab. Aber ich erinnere mich an das Tagebuch und daran, wie ich für den Film über die Liebe geschrieben habe. Und zu Österreich: ich war nach dem Film nur einmal in Österreich, kurz danach, ein oder zwei Jahre später. Und ich genieße Österreich. Es ist wunderschön. Ich liebe Wien. Die Landschaft ist wunderschön. Ich wäre fast nach Österreich gefahren, um „Die Gräfin“ zu filmen, habe aber letztendlich in Deutschland gedreht. Aber ja, es ist ein wunderschönes Land.

Vielen Dank für das nette Gespräch!
Der Autor
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