All the Beauty and the Bloodshed
Fotografin, Feministin und eine Frau mit unbändigem Kampfgeist: das Leben von Nan Goldin hat viele Gesichter. Seit Jahrzehnten beeindruckt die heute 69-Jährige mit ihrer grenzüberschreitenden, subversiven Kunst, die ihr den Stempel als „eine der wichtigsten Vertreterinnen der New Yorker Underground-Szene der 1980er“ verpasste. Oscar-Preisträgerin Laura Poitras, die sich schon in ihrem bahnbrechenden Edward-Snowden-Poträt „Cititenfour“ dem investigativ-journalistischen Dokumentarfilm hingab, hat nun auch dieser Revolutionärin ein angemessenes Denkmal verpasst.In „All the Beauty & the Bloodshed“ wird der aufregende Werdegang Goldins nacherzählt, unter anderem auch mittels einer Collage der expliziten Fotografien aus dem LGBTQ+- und Drogen-Milieu, die sie einst zur Ikone der Fotografie machten. Doch Goldin zeichnet sich auch abseits ihres künstlerischen Daseins als aktivistische Kämpfernatur aus. Die Bilder vergangener Tage werden nämlich durch aktuelle Aufnahmen kontrastiert, die Goldins kräftezehrende Schlacht gegen die mächtige Pharma-Familie Sackler zeigen. Diese hat die Massenvermarktung des umstrittenen Medikaments Oxcontin in die Wege geleitet - der Wirkstoff, der als Auslöser für die amerikanische Opioidkrise verantwortlich gesehen wird. Die Doku schildert den langwierigen Leidweg, den Goldin und Verbündete auf sich nahmen, um den kriminellen Konzern zu Fall zu bringen und Suchtkranke von gesellschaftlichen Stigmen zu befreien. Ein emotional aufbrausendes Zeitdokument, das zum behutsam aufbereiten Lehrstück über die enge Symbiose von Kunst und Aktivismus avanciert. Ein Must-See!
Arielle, die Meerjungfrau
Und noch ein weiteres Remake: originelle Ideen sind im Haupthause Disneys zurzeit ein rares Gut, lieber macht man es sich bequem und verfilmt populäre Filme aus dem Firmenkatalog einfach noch einmal. Der handgezeichnete Charme wird für üblich aber missachtet, man möchte doch auch erwachsenes Publikum abholen, das dem Cartoon-Format vermeintlich schon entwachsen sei. Eben die Zuschauerschaft, die nostalgische Gefühle für die Vorlage hegen sollte. Daher das aktuelle, idiotensichere Erfolgsrezept des Mauskonzerns: Zeichentrickklassiker als lebensechte Realfilm-Kopien neuauferstehen zu lassen. Eine Prozedur, die öfter mal im Widerspruch zu dem quirligen, bewusst überzeichneten Spirit der Originale steht. Eine Problematik, die sich auch im neuesten Opfer der modernen Live-Action-Strategie exemplarisch widerspiegelt: „Arielle - Die Meerjungfrau“. Die Zielgruppe scheint klar definiert: zum einen Personen, die mit dem Originalfilm aufgewachsen sind, zum anderen Neuankömmlinge, die man mit verlogener Schein-Diversität zu locken versucht.Die Hauptrolle der kleinen Meerjungfrau, die hoch hinaus möchte, wird von Multitalent Hailey Bailey gespielt, die online einem rassistisch motivierten Shitstorm ausgesetzt wurde. Die veränderte Hautfarbe der rothaarigen Wassernixe abzuändern mag im Internet ein paar Berufstrolle empört haben, ist mit Sicherheit aber kein rechtfertigbarer Kritikpunkt. Problematisch ist viel eher wie einerseits der Plot nahezu identisch recycelt wurde, der widersinnige Realismusansatz aber den eigentlichen Geist der Vorlage verfehlt. Kunterbunte Meeresbewohner wie Sebastian, die Krabbe, oder Fabian, der Fisch, verkommen zu hyperrealen Abziehbildern aus einer Naturdokumentation, denen jegliche Gesichtsregung weggenommen wurde. Man darf nur hoffen, dass der Live-Action-Trend die Kassen nicht auf ewig klingen lassen wird. Aktuell kennen die Totengräber Disneys auf jeden Fall noch keine Skrupel: mit „Schneewitchen und die Siebenzwerge“ steht nämlich schon die nächste seelenlose Realverfilmung in den Startlöchern.