Falls es eingangs übrigens so geklungen haben mag, als wäre Marisa Mell heute weitgehend vergessen, sei gleich eine Entschuldigung an all ihre Fans ausgesprochen, die auch aktuell durchaus zahlreich vertreten sind. Manche unter ihnen durften die Laufbahn der 1939 in Graz geborenen Schauspielerin noch zeitnah mitverfolgen, doch auch unter jüngeren Semestern kann sie über ihren Tod im Jahre 1992 hinaus, laufend neue Gefolgschaft gewinnen. Nicht ganz unschuldig daran dürfte mitunter die Wiederentdeckung, sukzessive Reevaluierung des italienischen Genrekinos der 1960er und –70er sein. Immerhin ist es doch dieses bunte, brachiale und bahnbrechende Stück Filmgeschichte, das die Wahrnehmung über die Künstlerin am wesentlichsten prägt. Ob Italowestern oder Giallo, wo Marisa Mell hin-, oder besser auftrat, erwuchs nicht selten ein Kultklassiker.
Durch Kooperationen mit Mario Bava, Lucio Fulci, oder Umberto Lenzi brachte die sie die Namen einiger der bekanntesten Genrefilmer des Landes auf ihr Resümee, vielleicht sind es aber noch eher die Kolleg*innen vor der Kamera, die diesen Wirkradius erst richtig ersichtlich machen. Unter anderen spielten Größen wie Marcello Mastroianni, Gina Lollobrigida, Tony Curtis, Christopher Lee, oder Michele Piccoli an Seite der buchstäblich stillen Ikone.
Beim Sprung nach Bella Italia war die als Marlies Theres Moitzi geborene Mell zugegeben zur richtigen Zeit am richtigen Ort, doch was noch wichtiger erscheint: Sie selbst war auch die Richtige. Die kultische Verehrung von Werken wie „Gefahr: Diabolik!“ oder „Perversion Story“ (Nackt über Leichen) ist untrennbar an ihre beispiellose Präsenz gebunden und erhebt sie gleichsam zur Kultfigur dieser cineastischen Strömung. Der titelgebende Vergleich zur Loren bietet sich ob oberflächlicher Ähnlichkeiten zwar an, und wird auch bei Bewerbung der kommenden Retrospektiven herangezogen, tatsächlich unterscheiden sich die zwei Diven aber ganz wesentlich voneinander. Gemein ist ihnen neben äußerlichen Merkmalen wie kastanienbraunem Haupthaar und hypnotischen Katzenaugen, vor allem das Image der emanzipierten Powerfrau. Während aber eine Loren dank dieser Haltung gerne einmal als gezähmte Widerspenstige endet, ist der Leinwandpersona ihrer nur um fünf Jahre jüngeren Nachbarin bereits ein ganz neuer Zeitgeist eingeschrieben: der radikale Neuentwurf der ebenso schönen, wie gefährlichen Femme Fatale im Dunstkreis von Beat-Ära und Swinging Seventies. Ihre Rollen stilisieren die Mell zum Poster Girl einer hedonistischen Gegenkultur mit den Maximen Sex, Drugs and Morricone, die für ihre Zwecke bis zum Äußersten, oder um es mit der gewohnt unsanften, deutschen Betitelung von Perversion Story zu halten, „Nackt über Leichen“ geht. Ihr Spiel wiederum verleiht dieser gallionsartigen Projektionsfläche ungeahnte Tiefe und Dreidimensionalität.
Mells Sex-Appeal beruht auf einer sinnlichen Eleganz, den Kontrapost zur beinahe schon statuesken Grazie bildet ein tiefer Ernst, und aus der ausgesprochenen Coolness spricht eine unverkennbare Melancholie. Ebendieser Wesenszug dürfte dann auch wohl die Person abseits der Leinwand maßgeblich geprägt haben. Den alpenländischen Shooting-Sar ereilt letztlich das Schicksal vieler anderer Kolleginnen: Das Freispielen aus dem eingespielten Rollenfach ist nicht von Erfolg gekrönt; es folgt eine Abwärtsspirale aus Enttäuschung, Verlust und Krankheit, die in einem viel zu frühen Tod im Alter von nur 53 Jahren ihr trauriges Ende nimmt.
Weil aber an dieser Stelle ausdrücklich die Sonnenseiten ihrer Karriere Beachtung finden möchten, sei noch einmal eine große Sehempfehlung für die Filme der Retrospektiven ausgesprochen. Herausgehoben werden dürfen neben den bereits namentlich genannten Zentralwerken, vielleicht noch Mells wohl größter Mainstream Schlager „Casanova '70“, oder der heimische Sittenreißer „Das Nachtlokal zum Silbermond“, bei dem sie in ihrer ersten tragenden Filmrolle bereits die ihr später aus allen Poren strömende Exploitationluft schnuppern durfte. Von der pulpig-psychedelischen Comicverfilmung, über den sleazigen Hochglanz-Giallo, bis hin zur oscarnominierten Commedia all’italiana, serviert das Programm ein buntes Schmankerlbuffet der ebenso bunten Welt der Marisa Mell.
Wer sich also entschließen sollte, die Loren aus Graz neu-, wieder-, oder gar erstmalig zu entdecken, hat die Qual der Wahl, dies mittels ganz unterschiedlich gearteter Auswüchse ihres Schaffens in Angriff zu nehmen.
Marisa Mell auf der Diagonale 2023
Das Nachtlokal zum Silbermond (Mi. 22.03. 23:00 Uhr, Rechbauer)Casanova & Co.. (Do. 23.03. 23:00 Uhr, Rechbauer)
Gefahr: Diabolik! (Fr. 24.03. 23:00 Uhr, Rechbauer)
Feuerblume – Die zwei Leben der Marisa Mell (Sa. 25.03. 15:00 Uhr, KIZ RoyalKino)
Das Diagonale Filmfestival findet heuer von 21. - 26.03. statt, die Retrospektive im Wiener Metro Kino Kulturhaus ist vom 30.03. bis 23.04.2023 zu sehen. Die Ausstellung „Magic Marisa“ im Graz Museum hat bereits die Pforten geöffnet und kann noch bis 27. August dieses Jahres besucht werden.