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Heidi@Home: Pretend It's a City

Heidi@Home: Pretend It's a City

Martin Scorsese porträtiert Fran Lebowitz – und ihre Stadt New York
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von (Heidi@Home)
Was für ein poetischer Titel für eine Doku-Serie mag man sich denken, und zugleich auch: irgendwie unlogisch. Wieso sollte irgendjemand so tun müssen als wäre New York eine Stadt? Gibt es eine Stadt die mehr Stadt ist als eben New York? Aber schon bald wird der Zuseher aufgeklärt. „Pretend It's a City“ ist keine träumerische Reflexion über eine urbane Wesenheit, sondern vielmehr eine gebrüllte Handlungsanweisung. Nämlich die von Fran Lebowitz, wenn wieder einmal viel zu viele Menschen den Gehsteig blockieren und sie aufhalten, sinngemäß: Ihr seid nicht alleine auf der Welt. Und schon gar nicht alleine in New York.

„Pretend it’s a City“, so würde Fran Lebowitz auch das Manifest nennen, dass sie über New York schreiben würde – WENN sie denn schreiben würde. Denn obwohl die 71-jährige als Journalistin des Magazins „Interview“ von Andy Warhol bekannt geworden ist (er kam nicht mit ihr klar, sie kam nicht mit ihm klar) und in den späten 70-er und frühen 80-er Jahren zwei Bestseller – „Metropolitan Life“ und „Social Studies“ - verfasst hat, hatte sie bis 2022 eine liebevoll gepflegte Schreibblockade und tat also was sie abseits vom Schreiben am besten kann. Nämlich wütend sein und sich beschweren. Warum die Leute das ärgert verstehe sie nicht: „I am filled with opinions. But I have no power“ Sie hat dabei aber viel Witz und Schlagfertigkeit, der man sich kaum entziehen kann, auch und gerade nicht, wenn man Martin Scorsese heißt.

Pretend It's a City
„Pretend It's a City“ (Netflix)


In sieben Episoden, die Scorsese nach Themenschwerpunkten wie Kultur, Bücher, Sport oder Gesundheit gliedert, lässt er Lebowitz reden, in alten und neuen Aufnahmen, in Gesprächen mit Alec Baldwin, David Letterman oder ihm selbst, der quasi unaufhörlich über sie lachen muss. Immer wieder stapft sie auch durch den East River und das nicht nur metaphorisch – allerdings in einem Modell von New York, das im Queens Museum ausgestellt ist, weshalb dort auch gedreht wurde; eine Ausnahme zu den sonstigen Dreharbeiten in Manhattan. Was Lebowitz wiederum zu folgender Anmerkung inspiriert: „We did go to Queens, and it was something Marty talked about as if we were going to Afghanistan.“ Dazu gibt es viel Archivmaterial aus der amerikanischen politischen und popkulturellen Vergangenheit, das jeweils den Puls der Zeit illustrieren soll, was auch gut gelingt. Die Doku ist sehr artsy, wohl auch bewusst etwas improvisiert, so als hätte man alles so nebenbei gedreht und zu einer Collage verwoben. Das passt gut zu Lebowitz.

Pretend It's a City
„Pretend It's a City“ (Netflix)


Wenn man New York nicht kennt, dann erzählt einem Lebowitz, was die Stadt ausmacht: Nämlich beispielsweise eine ganze Menge Lärm, das Hauptthema bei New Yorker Psychotherapeuten. Anderswo auf der Welt spräche man über Konflikte mit der Mutter, mit dem Partner – in New York dagegen zahlen die Klienten 500 Dollar die Stunde, um sich über den Lärm zu beschweren, so Lebowitz. Dann macht sie sich über den Ex-Bürgermeister Bloomberg lustig, der sagt, die Sitzgelegenheiten am Times Square würden nun dauerhaft bestehen bleiben. „It’s New York! Nothing is permanent.“ Außerdem, so Lebowitz, sei die Stadt unfassbar teuer. Sie ermutige dennoch gerade eine Bekannte zurück nach New York zu ziehen, die meine, sie könne sich die Stadt nicht leisten: „No one can affort to live in New York!“ Und trotzdem täten das acht Millionen Menschen. Nicht zuletzt sei das Leben in New York sehr kompliziert und herausfordernd, fast Ring-der-Nibelungen-esk. Und deshalb verachten die New Yorker immer auch ein bisschen die anderen Amerikaner, die in einer viel einfacheren und oft auch menschenfreundlicheren Umgebung leben: „Because they don’t have the guts to live here.“

Fran Lebowitz hat kein Smartphone und keinen Internetanschluss und, das ist das besondere dran, ist dennoch keine Kulturpessimistin. Auch wenn sie sich selbst als sehr starrköpfig erlebt, ist sie im Grunde genommen ein toleranter Mensch, der vor allem keine intellektuellen Standesdünkel hat. Sie hält nichts vom abwertenden Begriff „Guilty pleasure“, also der Scham vor der Beschäftigung mit scheinbar anspruchslosen Dingen – im Gegenteil, wenn sie jemanden frage, warum er dieses oder jenes täte und die Antwort lautet „Because it’s fun“ sei das für eine gute Antwort, ganz im Gegensatz zur Antwort „Because it’s important.“ Die meiste Zeit ihres Lebens, erörtert Lebowitz, liege sie am Sofa und lese „but you don’t get paid for that.“



40 Jahre nach ihrem letzten hat Fran Lebowitz vielleicht auch deshalb 2022 ein neues Buch herausgebracht: „New York und der Rest der Welt“. Es ist witzig, klug und sprachlich brillant, genau wie die sieben Episoden von „Pretend It's a City“, die auf Netflix zu sehen sind.