In der Netflix-Serie „After Life“ ist Ricky Gervais Tony Johnson. Ein Mann in mittleren Jahren, Journalist bei einem unbedeutenden Lokalblatt der fiktiven englischen Stadt Tambury und seit kurzem Witwer. Seine Frau Lisa ist an Brustkrebs gestorben. Die beiden hatten keine Kinder, aber eine ungewöhnlich harmonische, fast symbiotische Ehe. Eine solche Zusammengehörigkeit wie man sie öfters bei hochbetagten Paaren sieht, die dann manchmal auch noch beide innerhalb weniger Wochen sterben. Dafür ist Tony allerdings zu jung. Er will nachhelfen, doch der Suizid scheitert letztendlich an den basalen Bedürfnissen seines Hundes immer wieder. Als eine Art Ventil erlaubt sich Tony, seiner Umwelt fortan mit ausgesuchter Unhöflichkeit zu begegnen.
Womit mir beim Image wäre, das Gervais in der Medienlandschaft gemeinhin oft hat: das eines ungehobelten Rüpels, dessen Witze oft entlang der Grenze des guten Geschmacks balancieren, nicht selten aber auch weit darüber hinausgehen. Gervais‘ Moderationen bei diversen Golden Globe Verleihungen als „umstritten“ zu bezeichnen wäre ein glatter Euphemismus. Was Gervais also als Protagonist Tony macht ist, sich dieses Images zu bedienen und dann nach und nach, durchaus überraschend, eine sensible, sehr verletzliche Seite zu zeigen. Eine Seite, die ihm viele, die ihn nur oberflächlich kennen, wahrscheinlich nicht zugetraut hätten.
Dieser Effekt mach keinen geringen Anteil des Charmes von „After Life“ aus. Weitere Ingredienzien: Kleinstadtkolorit. Dazu selbstzufriedener Provinzjournalismus: Etwa wenn man den Wasserschaden eines Bürgers von Tambury als Top-Story bringt, weil ebendieser Wasserschaden an das Gesicht des Shakespeare Darstellers und Regisseurs Kenneth Branagh erinnert. Jede Menge skurrile (Neben)-Darsteller, die sich durch Unbeholfenheit ebenso auszeichnen wie durch ein gerütteltes Maß an Bauernschläue, manchmal sogar Lebensklugheit. Besonders herausragend hier der Redaktionsneuling Sandy oder die Prostituierte Roxy, die Wert darauflegt, als Sexarbeiterin angesprochen zu werden. Und natürlich eine Menge politisch unkorrekter Witze, bei denen man überlegt ob es ok ist, über sie zu lachen.
Zwei Staffeln von „After Life“ gibt es bisher, und wenn man etwas kritisch sehen will, ist es wohl genau das. Nämlich, dass man zunächst den Eindruck gewinnt, die Geschichte wäre nach Staffel eins auserzählt. Gervais, so scheint es zumindest, hat nicht damit gerechnet, eine Fortsetzung drehen zu können und hat die erste Staffel daher mit einer wunderbar berührenden dramatischen Klammer beendet. Staffel zwei tut sich zunächst etwas schwer damit, sich von dieser „Bürde“ zu lösen und quasi ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Andererseits könnte man die zweite Staffel auch als die Zeit empfinden, in der Trauer die Wucht des Beginns abgelegt hat, sich quasi transformiert, aber dennoch präsent bleibt.
Eine dritte Staffel von „After Life“ wurde bereits fixiert. Nach dem wieder außerordentlich gelungenen zweiten Staffelfinale kann man nur gespannt darauf sein, welche neuen Facetten Gervais nun an seinem Protagonisten entdecken wird.
3. Jänner 2021, 09:59 Uhr
Streaming, Heidi@Home
Heidi@Home: After Life
Ricky Gervais vom gebrochenen Witwer zum Enfant Terrible - und wieder zurück? Staffeln 1 und 2 der Serie gibt es jetzt auf Netflix zu sehen.
von
Heidi Siller (Heidi@Home)