Kobergs Klarsicht
Kobergs Klarsicht: Escape Reality

Kobergs Klarsicht: Escape Reality

Virtuelle Parallelwelten sind in Filmen fast immer eine Bedrohung. Alles andere wäre auch kompliziert.
derkoberg_e0b93f0909.jpg
von (DerKoberg)
Rote Pille, blaue Pille. Ein kurzer Blick auf die rasante Entwicklung, die Unterhaltungsmedien seit 1999 – dem Erscheinungsjahr von „Matrix“ – hingelegt haben, macht klar, warum Morpheus mit seinen zwei Pillen zu einem Sinnbild für unsere Zeit geworden ist; für die immer wiederkehrende Entscheidung zwischen wohltuender Fiktion und der komplizierten und ungemütlichen Realität.

Filme haben sich in der Debatte um Gefahren der Realitätsflucht ein Stück weit aus dem Fokus der Kritik davonstehlen können. Die harten Geschütze werden heute gegen digitale Spiele und soziale Netzwerke aufgefahren. Also können sich die guten alten Filme zufrieden auf die Seite der Freunde der Realität stellen.

Die filmische Auseinandersetzung mit der verführerischen Faszination alternativer Realitäten ist nichts Neues. Zu Beginn der 90er gierte Arnold Schwarzenegger in „Total Recall - Die totale Erinnerung“ nach implantierten Erinnerungen, 1995 handelte dann Ralph Fiennes in „Strange Days“ mit ebensolchen und spätestens seit „Matrix“ taucht die Thematik von der schönen, neuen, virtuellen Welt recht regelmäßig in den Kinos auf – fast ausnahmslos als Gefahr für die Menschheit.

Ein Hauch von Scheinheiligkeit lässt sich natürlich nicht von der Hand weisen, wenn uns bombastische Filme wie „Gamer“ oder gerade wieder „Ready Player One“ weismachen wollen, dass wir uns doch wieder mehr mit der Realität auseinandersetzen sollen. Aber während die Antworten in ebendiesen Filmen meistens recht simpel ausfallen (Die virtuelle Welt wird in „Ready Player One“ dann einfach an zwei Tagen in der Woche abgeschalten) werfen sie doch weit komplexere Fragen auf. Wenn die Realität so unbequem ist, wie sie in den meisten dieser Filme dargestellt wird, warum sollten die Menschen dann dorthin zurückwollen? Wenn Teile des Publikums nach dem Genuss von James Camerons „Avatar“ die Pandora-Depression verspüren, trägt dann der Film die Schuld oder doch die triste Realität? Und wenn ein Vorstadt-Junge in einer virtuellen Welt das Selbstbewusstsein entwickelt, um sich mit einem brutalen und mächtigen Konzern anzulegen, inwiefern ist das Virtuelle dann nicht real?

Die simple Zurück-in-die-Realität-Botschaft wirkt immer wieder ein bisschen aufgesetzt. Es wäre aber auch überraschend, wenn sich Steven Spielberg auf die Seite des Eskapismus schlagen würde. Dabei wäre er dort durchaus in honorabler Gesellschaft. Etwa in jener vom Oxford-Professor J. R. R. Tolkien der einmal geschrieben hat, die Kritikerinnen und Kritiker des Eskapismus verwechseln nicht ganz unabsichtlich das Entkommen eines Gefangenen mit der Flucht eines Deserteurs.