Caines Corner
Caines Corner: Ein Cannes-Rückblick 2007-2015

Caines Corner: Ein Cannes-Rückblick 2007-2015

Eine statische und analytische Bewertung von 60 Beiträgen der Filmfestspiele von Cannes.
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von (LeanderCaine)
Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit seit meinem ersten Auftritt als Uncut-Reporter im Jahre 2007 vergangen ist. Damals gab es ein Jubiläum – nämlich zu den 60. Filmfestspielen und dieses Jahr fand der Event zum 68. Mal statt. Was hat sich in diesen knapp 8 Jahren geändert?

Am meisten wahrscheinlich ich selbst. Oder hat die Auswahl guter und interessanter Filme nachgelassen? Wie immer gibt es am Anfang einen Zauber, da man wie ein kleines Kind alles entdecken muss. Dass es so etwas wie einen Hauptbewerb gibt, versteht man recht leicht. Aber warum noch zusätzlich „Un Certain Regard“ oder „Quinzaine des Réalisateurs“ – was hat das Ganze mit dem Filmmarkt noch auf sich?

Ich fühlte mich jedes Mal wie im Schlaraffenland. Aber auch hier gilt: Zuviel ist ganz bestimmt nicht gesund! Ich habe es mir leicht gemacht und mich immer auf die „Competition“ konzentriert. Bis dato habe ich versucht bis zu einem Dutzend Filme zu entdecken und zu bewerten. Dieses Jahr schaffte ich nur die Hälfte meiner eigenen Vorgaben – um ganz genau zu sein: 6 Beiträge. Der Mittelwert dieser Filme beträgt 65%. Im Vergleich dazu 2014: 11 Filme mit einem Mittelwert von 74% bzw. 2013 waren es 9 Filme mit einem Mittelwert von sogar 76%. Der Abwärtstrend scheint sich fortzusetzen.



Nicht nur mit der statistischen Betrachtung und Analyse meiner Wahrnehmungen habe ich das Gefühl, dass die 68. Filmfestspiele signifikant schwächer waren als die vorherigen Jahrgänge. Auch mit der Auszeichnung in den Kategorien Bestie Regie für „The Assassin“ und der goldenen Palme für „Dämonen und Wunder“ war ich um es diplomatisch auszudrücken nicht einverstanden. Es ist schon gut, wenn man ein politisches Statement gibt, aber es ist definitiv unfair, wenn bessere Filme komplett durch den Rost fallen, wie z.B. „Ewige Jugend“. Nachdem ich bei „The Assassin“ angekündigt habe, dass ich eine Pause mache, wenn dieser Film gewinnt, werde ich das tun. Hsiao-hsien Hou hat zwar nur den Preis für die beste Regie bekommen, aber ich werde aufgrund meines persönlichen Protests den 69. Filmfestspielen fernbleiben und hoffe auf eine Rückkehr zum 70. Geburtstag!
Der Autor
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LeanderCaine


Forum

  • résumé

    was hat sich eigentlich so dramatisch geändert seit cannes – tag 10 (kommentar): "ich werde unseren auftritt in cannes in sehr guter erinnerung behalten..." – nur die "unverdienten" preise für die "falschen" filme?
    aber: eine statistik mit sechs filmen zu machen ist gewagt... leider auch, übermüdet ins kino zu gehen – ganz abgesehen davon, dass sich eine (negative) kritik eigentlich verbietet, wenn man ein drittel des films verschlafen hat: vielleicht wird’s ja beim zweiten mal anschauen besser (ist mir auch schon so ergangen...)?

    was ich aber, fern von cannes, wenig goutiere, sind die irrungen und wirrungen zwischen dem wunsch nach mehr "glamour" (mit all den absurden auswüchsen wie die überwachung der schuhabsätze oder das selfie-verbot), den zugangs- und medienbeschränkungen einerseits und dem forcieren sozialkritischer/hoffnungsloser/hoffnungsfroher oder ganz und gar absurder filme andrerseits – um sich moralisch und intellektuell vom verachteten hollywood-spektakel abheben zu können? mir scheint "cannes" fehlt es zuweilen an gelassenheit und selbstsicherheit – und kompensiert mit krampf.

    btw: kommt noch eine kritik zu the tale of tales nach?
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    03.06.2015, 23:58 Uhr
    • Tale of Tales

      ...auf Wunsch kommt natürlich noch eine Kritik nach :)
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      04.06.2015, 17:59 Uhr
    • oh ja!

      großer wunsch meinerseits :)
      r2pi_f4e09adb6c.jpg
      04.06.2015, 19:07 Uhr
  • It is the End of the World as we know it

    Eines kann ich ganz klar sagen: man wird mit dem Alter wählerischer. Weil man einfach alles schon einmal irgendwo gesehen hat und jede Idee keine neue mehr ist. Mir geht es derzeit bei Filmen so. Jeder verkehrte Film kommt mir wie vergeudete Lebenszeit vor. Ein Film muss mich wirklich bewegen, um mir in Erinnerung zu bleiben und leider schaffen das auch nur ganz wenige.

    Ich möchte an dieser Stelle Franz Kafka zitieren. Er schreibt zur von einem Buch, aber ich lege es hiermit einfach auch auf Filme bzw, auf Drehbücher aus: "Ich glaube, man sollte überhaupt nur solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

    Leider haben das in letzter Zeit nur sehr wenige Geschichten bei mir geschafft. Film fällt mir "The Prisoners" ein, der wirklich ganz gut war. Ein ganz besonderes Schmankerl für mich ist derzeit die Serie American Horror Story, wo ich jede einzelne Staffel einfach nur verschlungen habe. Ich verstehe deine Entscheidung, beim nächsten Jahr Cannes nicht beiwohnen zu wollen. Lade deine Energien auf! Der Musikbranche geht es derzeit leider ähnlich, es gibt keine große und besondere Ausbeute. Wir befinden uns in einem Umbruch, die Menschen verändern sich und keiner weiß mehr, was er mit der eigenen Identität anfangen soll. Hoffen wir auf ein paar Herausragende neue Ideen!
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    02.06.2015, 20:37 Uhr
  • Statistik

    Es ist halt schon auch so, dass je weniger Filme man dabei hat, desto größer wirkt sich so eine schlechte Bewertung im Mittelwert aus. Wenn man heuer nur die Bewertung von „The Assassin“ wegnimmt, hätte man schon einen Schnitt von 74%, was nicht so schlecht ist.
    Und du hast natürlich zwei halbe und eine volle „Niete“ dabei gehabt, aber in einem Jahr in den wenigen Tagen drei Filme mit 100%, 90% und 80% find ich auch nicht übel.
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    02.06.2015, 18:40 Uhr
  • Viele Faktoren

    Natürlich hast Du Dich selbst verändert. Du bist älter geworden und Dein Lebensumfeld hat sich im Vergleich zu jenem von vor 8 Jahren deutlich verändert. Ich bemerke es bei mir selbst: je älter ich werde, desto anspruchsvoller werde ich in bezug auf Filme und mit jeweils steigender Schwierigkeit, ins Kino zu kommen, erwarte ich mir dann umso mehr "Lohn der Mühe". Bei den Festivals gibt es jedes Jahr einige gute und einige weniger gute Filme, aber in Cannes hast Du halt auch das Problem, dass man nicht immer sicher sein kann, alle Filme sehen zu können, weil der Einlass sehr begrenzt ist. Vielleicht hast Du ja in diesem Jahr nur jene 6 Filme gesehen, die weniger gut waren und die anderen 6, die Du nicht gesehen hast, hätten Dir gefallen?
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    02.06.2015, 16:03 Uhr