Kobergs Klarsicht
Kobergs Klarsicht: ...und nichts als die Wahrheit

Kobergs Klarsicht: ...und nichts als die Wahrheit

Wahre Begebenheiten bieten Inspiration für Filmschaffende. Aber der angekündigte Wahrheitsgehalt wirkt oft auch als Geschmacksverstärker.
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von (DerKoberg)
Mir fehlen da die Statistiken, aber ich will einmal behaupten, dass die Anzahl der Filme die bereits im Vorspann ankündigen von realen Ereignissen zu berichten, kontinuierlich zunimmt. Zumindest in den letzten Jahren und ganz besonders in den USA.

Das erscheint nicht weiter verwunderlich, wenn man die Medienlandschaft beobachtet, die in immer höherer Frequenz unglaubliche Geschichten zu Tage fördert, während Produzentinnen und Produzenten darauf lauern, sich schnellstmöglich die entsprechenden Filmrechte zu sichern. Edward Snowden hat es innerhalb kurzer Zeit in die Kinos geschafft (Citizenfour), ebenso wie Natascha Kampusch (3096 Tage) oder Scharfschütze Chris Kyle (American Sniper). In derartigen Fällen muss die Erinnerung an die Geschehnisse gar nicht wirklich aufgefrischt werden. Die jeweiligen Geschichten geistern ohnehin noch durch unzählige Köpfe. Der Reiz besteht viel eher darin, eine durch die Nachrichten mitverfolgte Biographie so zu sehen „wie sie vielleicht wirklich war“.

Auf der anderen Seite bringen Filmschaffende auch immer und immer wieder Geschichten in die Kinos, die aus der öffentlichen Wahrnehmung wieder verschwunden sind oder dort gar nie ankommen konnten, wie etwa jene von Alan Turing, dem englischen Logiker, der die Codes der Nazis knackte (The Imitation Game). Aber auch die Geschichte des exzentrischen Millionärs John du Pont (Foxcatcher) geisterte bis zum Filmstart wohl nur mehr durch wenige Köpfe.

Die Realität inspiriert also die Geschichten. Das ist naheliegend. Aber wären all diese Geschichten auch erzählenswert, wenn sie erfunden wären? „The Imitation Game“ könnte man vorwerfen, zu viele dramatische Fäden zu einem Film versponnen zu haben, aber Turings Lebensgeschichte rechtfertigt die vermeintliche Übertreibung über weite Strecken – noch drastischer zeigt sich dieses Phänomen in George Tillmans „Men of Honor“. Und bei „Foxcatcher“ stellt sich umgekehrt die Frage, ob dieser Film auch derart fesseln könnte, wenn er uns nicht vorab wissen ließe, dass das alles tatsächlich so oder so ähnlich geschehen ist.

Der Verweis auf einen realen Hintergrund wirkt als Geschmacksverstärker. Geschichten werden intensiver, wenn wir glauben, dass sie wahr sind. Sonst wären auch Urban Legends nicht derart populär. Oft wäre es spannend, denselben Film noch einmal zu sehen, im Glauben, alles sei reine Fiktion. Ich gehe davon aus, dass das die Wahrnehmung vieler Leinwandgeschichten massiv verändern würde.
Der Autor
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DerKoberg


Forum

  • Geschmacksverstärker

    Ich sehe mir einen Film keinesfalls aus dem Grund an, weil er auf einer wahren Begebenheit basiert. Für mich sind die meisten Filme Fiktion, einfach weil ich weiß, dass zumindest so viel dazu erfunden wurde, dass wirklich Fiktion dabei heraus kam. Man nehme ein Grundthema, füge hier und da ein paar Handlungsstränge, Action, Explosionen, eine Liebesaffäre und weiß nicht was hinzu, und schon haben wir einen spannenden Film. Mir ist es jedoch oft sympathischer erst am Ende von der wahren Begebenheit zu lesen, dann habe ich schon oft online nach gegoggelt um zu wissen, wie viel wirklich stimmt. Und was kam heraus? Die Grundgeschichte war wahr.. der Rest? Weniger! Eine sehr lustige Gegebenheit ist dagegen, wenn bei Horrorfilmen bereits am Anfang "Nach einer wahren Geschichte" eingeblendet wird. Da habe ich mir bis jetzt selten die Mühe gemacht, im Internet nach zu sehen. Vielleicht ist das ja auch das Schöne daran: Ein Funke von Ungewissheit und Unheimlichkeit. Denn das ist viel spannender als nur reine Fiktion.
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    11.02.2015, 21:17 Uhr
  • geschmacksverstärker

    es ist wohl kein zufall, wenn dieser artikel gerade in der awards season erscheint: von acht für den besten film nominierten film sind fünf "based on real events" oder biopics (american sniper, die entdeckung der unendlichkeit, the imitation game, selma und unbroken), dazu mr. turner und birdman, der so ein bissel als michael keatons eigene lebensstory empfunden wird; das gleiche gilt für vier von fünf best-actor-nominierungen (MLK hat's ja nicht geschafft) – die academy liebt einfach reale geschichten; wenn sie von berühmten männern handeln, noch mehr, und wenn eine behinderung dazu kommt, umso besser. (ähnliches gilt für die best actresses: the queen, the iron lady, elizabeth...)

    filme mit realem hintergrund bieten andererseits auch mehr angriffsfläche, insbesondere seitens der konkurrenz um einen award – da wird gleich ein drama draus, wenn wegen dramaturgischer kniffe die tatsachen nicht exakt wiedergeben werden: chris kyle hatte einen schlechten charakter, alan turing hat die enigma nicht allein geknackt, und lyndon b. johnson war in wirklichkeit das mastermind hinter den märschen von selma...

    ob diese geschichten auch erzählenswert wären, wenn sie nicht "real" wären, mag jeder selber beurteilen – aber diese frage stellt sich mit gleichem recht bei den meisten erfundenen. wer den tatsachenhintergrund aber als "geschmacksverstärker" abqualifizieren möchte, sollte das ebenso beim marketing oder bei vorab allzu positiven kritiken tun – man denke an die (schnell wieder abgeflaute) hysterie um american hustle, oder heuer der monatelange kritikerhype um boyhood.
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    11.02.2015, 13:31 Uhr