Müll Mates
Müll Mates - Quentin Dupieux

Müll Mates - Quentin Dupieux

Diesmal mit Leserbrief! Senad hatte Fragen zu Quentin Dupieux‘ Werk und wollte Antworten – die Müllmates sind dem nachgekommen.
muellmates_3bf155b38b.jpg
von (Müll Mates)
Liebe Müll Mates,
lasst mich diesen Fanbrief mit einem großen Lob an euch eröffnen. Eure Texte zu Arnold Schwarzenegger in den 70er Jahren gehören zu den spannendsten filmwissenschaftlichen Publikationen der ersten Jahreshälfte 2014.
Ich bin mir durchwegs bewusst, dass ihr täglich unzählige Fanbriefe erhält. Deshalb erwarte ich mir auch keine Antwort, euer Arbeitspensum ist sicherlich auch ohne Fanbriefen wie den meinen reichlich gefüllt. Doch ich wende mich mit einer großen und dringlichen Bitte an euch, die mir schlaflose Nächte bereitet: Könnt ihr euch bei Gelegenheit mit dem Filmemacher Quentin Dupieux beschäftigen?

Salopp eingeleitet: Was zum Teufel ist das? Sein erster Kurzfilm mit dem bezeichnenden Titel „Nonfilm“ ist in meinen Augen ein komplexes Avantgarde-Werk, welches das Procedere der in Filmen selbst oft mystifizierten Setarbeit parodiert. Sein bislang vermutlich bekanntester Film „Rubber“ hingegen handelt von einem Autoreifen (!), der amoklaufend durch telekinetische Kräfte (!) Menschen umbringt (!). Die ersten Sätze des Filmes werden von einem Cop gesprochen, der aus einem Kofferraum eines Autos aussteigt und dem Publikum durch eine direkte brechtsche Ansprache erklärt: „Ladies, gentlemen, the film you are about to see today is an homage to the "no reason" - that most powerful element of style.“

Wie sieht ihr als Experten dieses Element des „no reason“? Würdet ihr es in eurem Trashfilm-Verständnis (auch abseits von Dupieux) als ein wichtiges Mittel der Narration von Trash-Filmen betrachten? Und wenn ja: Wie erklärt man überhaupt, nun aus einer analytischen Perspektive betrachtend, einem Außenstehenden, was das „Element of no reason“ ist?

In mir regt sich der Verdacht, dass Dupieux auch mit „Rubber“ einen Avantgarde-Film des (Trash-)Kinos geschaffen hat: Ein Film, der die Beliebigkeit von Dramaturgie und Figurenmotivation des Trash-Kinos ausstellt und somit zelebriert. Oder lege ich da ganz falsch? Dupieux: Trash or no Trash?

Ich danke euch im Vorfeld für die Antwort.

You don’t go out looking for a job dressed like that? On a weekday?

Senad



Lieber Senad,

Vielen Dank für deinen interessanten Brief! Es freut uns immer wieder zu hören, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich für „schlechten Geschmack“ interessieren. Nach deinem Schreiben haben wir uns das Gesamtwerk dieses bedeutenden zeitgenössischen Künstlers (so muss man ihn nennen) angesehen. Obwohl der Autoreifen-Splatter-Trailer von „Rubber“ Trashkino pur vermuten lässt, überrascht der Film bereits in den ersten Minuten mit dichter Atmosphäre, großartiger Ästhetik (gefilmt wurde „nur“ mit einer 5D!) und intelligenter Aufarbeitung der Beziehung zwischen Kino und Publikum. Dupieux fügt dem Film eine Metaebene hinzu, in der Zuschauer in der Wüste stehen. Mit Ferngläsern beobachten sie das Geschehen, kommentieren den Film und warten gespannt auf Attraktionen seitens des Autoreifens. Das Motto: Der Mob erfreut sich bedingungslos an allem was er vorgesetzt bekommt – bis letztendlich alle (durch den Film) vergiftet werden. Besonders spannend ist allerdings das von dir erwähnte „Element of no reason“. Für mich reiht sich Dupieux in dieser Hinsicht in den Surrealismus ein. Eine Definition dieser Bewegung geht auf den französischen Dichter Isidor Ducasse zurück, der von einer zufälligen Begegnung einer Nähmaschine und einem Regenschirm auf einem Seziertisch sprach. Auch André Breton äußerte, dass im Surrealismus Dinge von ihrem angestammten Platz an einen fremden Ort verrückt werden, wodurch eine verrückte Wirklichkeit entsteht, die auf Unterbewusstes und Traumhaftes verweist. Und genau nach diesem Konzept funktionieren Mr. Oizos (so Dupieux‘ Name als DJ) Filme. Aber ich bin mir sicher, dass dir auch J in Sachen Dupieux weiterhelfen kann.

Write a book about what?
P

Liebe Freunde des schlechten Geschmacks,

Trashfilm kann ja auch überraschend oft mit Authentizität punkten. Der Gestus des „no reason“ – eine Ungezwungenheit, aus-dem-Leben-Gegriffenheit um die höherproduzierte Filme nur so Geifern. Dies wird zum einen durch die (amateurhafte) Kameraarbeit hervorgerufen, dass die Dinge auf der Leinwand wie aus dem Augenwinkel gefilmt wirken. Hierbei sei auf den Found-Footage-Stil vieler Mainstream-Horrorfilme (von „The Blair Witch Project“ über „Cloverfield“ zu „Paranormal Activity“) verwiesen, die sich eben dieses Stils annehmen (und diesen meiner Meinung nach nicht von Homemovies sondern vom Trashfilmkino entnehmen).

Dupieuxs erster Film „Nonfilm“ handelt von einem Dreh zu einem fiktiven Film. Der Protagonist kann oft zwischen seiner Rolle und der tatsächlichen Wirklichkeit nicht unterscheiden, sodass er sich beispielweise weigert, bei den Dreharbeiten an eine Tür zu klopfen, da sich dahinter ohnehin niemand befindet. Gleichzeitig weiß man auch durch die oben angesprochene Kamerarbeit als Zuschauer schließlich nicht, ob in den einzelnen Szenen der Dialog für den Film im Film (der ebenso von Setarbeit handelt) gesprochen wird, oder dieser in der filmischen Wirklichkeit verhaftet ist. So wie es viele Regisseure zuvor schon gemacht haben (ausgesprochen gutes Beispiel: Christopher Nolan mit „Memento“), versucht hier Dupieux dem Zuschauer das Gefühl der Hauptperson mittels filmischen Mitteln zu übertragen.

Andererseits wird diese Authentizität des „no reason“ nicht nur durch die Kamera, sondern durch eine Willkürlichkeit der Ereignisse definiert. Im aktuellsten Dupieux-Film „Wrong Cops“ verkauft ein Polizist Marihuana zur Tarnung eingepackt in Ratten. Da meinen wohl viele Normalsterbliche, dass dies keinen Sinn ergibt – darauf würde ich im Sinne der Authentizität entgegnen: ergibt denn das wirkliche Leben immer Sinn?

You're fucking out,
J



Lieber P, lieber J,

ich danke euch vielmals für diese erhellenden Auskünfte. Endlich kann ich Dupieux Werk zumindest einwenig kontextualisieren.

Eure Ausführungen zum „Sinn machen“ bzw. der surrealistischen Interpretation von Dupieux’ Filmen helfen mir sehr. Vielleicht darf ich noch einmal nachfragen: Sind Begriffe des Dupieuxschen „no reason“ bzw. des Surrealismus automatisch mit dem Trash-Kino konnotiert? Sind dies Elemente des Trash? Oder, wenn man dies weiterdenken mag, entspringt das Trash-Kino eher der Vorreiterrolle der frühen Avantgarde, in der das „element of no reason“ in die Kinokunst eingeführt wurde?
Dupieux: Trashfilm oder Avantgarde?

Tread lightly,
Senad

Lieber Senad,

André Breton würde auf die Frage, ob der Surrealismus mit dem Trashkino konnotiert sei, antworten, dass der Surrealismus sogar dem Kino selbst und jeder Art von Film auf eine gewisse Art und Weise inhärent ist, da das Kino zwangsläufig Traum und Realität vermischt. Dennoch muss man aber auch sagen, dass surrealistische Elemente in besonders häufiger und verspielter Form im Trashkino eingesetzt werden. Zu diesen zählen beispielsweise künstliche (billige) Kulissen, schlechte Effekte oder eben das „Element of no reason“. Dupieux‘ Filme sind allerdings weniger Trashfilme, als Kunstwerke abseits narrativer Normen. Er greift dabei immer wieder auf scheinbar „schlechte“ filmische Stilmittel des Trashkinos zurück und thematisiert die Trashfilm-Sehgewohnheiten des Publikums auf mehreren Ebenen. Kunstvoll und nur auf den ersten Blick trashig ist auch die gemäldeartige Bildkomposition in seinen Werken. So etwa wenn ein Feuerwehrmann im Vordergrund im vielleicht besten Dupieux-Film „Wrong“ auf die Straße kackt, während seine Kollegen gemütlich in der Bildmitte eine Pause einlegen und im Hintergrund ein Autowrack in Flammen steht.

Chivers,
P



Liebe Freunde des schlechten Geschmacks,

ich glaube man kann übereinkommen, dass Dupieuxs Filme nicht kategorisierbar sind. Wenn in „Steak“ der Protagonist nach sieben Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird und die Trends sich so stark geändert haben, dass dies nicht nur auf eine tatsächlich schnelllebige Zeit anspielt, sondern ebenso Filme, die in einer dystopischen Zukunft spielen, auf die Schippe nimmt, merkt man schon die (komplett entgegengesetzte) Mehrdeutigkeit seines Werks. In „Steak“ ist die Dystopie, dass Menschen, die sich keiner schönheitschirurgischen Operation unterzogen haben, gesellschaftlich nichts Wert sind. So erzählt ein Mitglied der wohl coolsten Gang der Filmgeschichte nach den „Warriors“ angewidert von dem Tastgefühl eines nicht operierten weiblichen Busens.
Mr. Oizos Filme sind wohl kein Trash, aber spielen auf jeden Fall in einer Weise mit dessen Mitteln, dass man nicht von klassischem Kunstkino sprechen kann.

It's not a tumor,
J
Mehr dazu auf Uncut:
Quentin Dupieux
Der Autor
muellmates_3bf155b38b.jpg
Müll Mates


Forum

  • Dupieux

    Toller Bericht. Also ich finde die Filme von Quentin Dupieux alle wahnsinnig gut. Ein wahrer Surrealist. Ist aber sicher nicht jedermanns Sache.
    edwood_57d5f12321.jpg
    31.05.2014, 10:42 Uhr