Vintage Views
Vintage Views: Lohn der Angst

Vintage Views: Lohn der Angst

Mit Sprengstoff im Rücken und der Straße vor den Augen: Einer der spannendsten Filme aller Zeiten.
Es ist eines dieser Projekte, die beinahe zur Katastrophe werden. Als Henri-Georges Clouzots Film „Lohn der Angst“ (Le salaire de la peur) Anfang der 50er Jahre gedreht wird, verzögert sich die Produktion durch Unwetter. Die Kosten explodieren, es gibt Verletzte und sogar Tote. Trotzdem wird der Film fertig und 1953 erntet er überragenden Erfolg: Zum ersten Mal geht sowohl die Goldene Palme in Cannes als auch der Berliner Goldene Bär an denselben Gewinner.

Die Geschichte einer Gruppe verzweifelter Männer, die nach dem Krieg in einem südamerikanischen Kaff hängen geblieben sind und deren einzige Chance, zu Geld zu kommen, ein selbstmörderischer Job ist, fasziniert. Sie sollen eine Ladung Nitroglyzerin zu einem Ölbrand bringen, damit dieser gesprengt werden kann. Aber die Strecke ist lang und die gefährliche Fracht kann bei der kleinsten Erschütterung hochgehen. Die Chancen für einen Laster stehen 50/50.
In den entstehenden Extremsituationen werden die Männer (voran Hauptdarsteller Yves Montand, der zuvor nur als charmanter Chanson-Sänger aufgetreten war) körperlich und emotional aufgerieben. Zwischen paralysierender Angst und ungestümem Leichtsinn reduziert man sich auf das Wesentliche.

„Lohn der Angst“ hat die nachfolgenden Suspense-Thriller und beginnenden Actionfilme entscheidend beeinflusst. Seine vielen Spannungs-Sequenzen funktionieren nach wie vor und wirken teilweise unheimlich modern für 1953, wie ein genialer Vorgriff. Bestechend ist vor allem die Ruhe und Präzision, mit der sich die Gefahren entwickeln. Es ließe sich viel darüber sagen, wie wichtig der Kunstgriff ist, während einer schnellen und spannenden Szene stets Klarheit zu erzeugen, damit die Zuschauer das Problem auch begreifen können und daran teilhaben. Clouzot hat hier Regeln aufgestellt, die bis heute Gültigkeit haben. Vielleicht erscheinen sie auch gerade deshalb so wichtig, weil in den letzten Jahren, im Zeitalter von verwackelten Kampfszenen und überbordenden Computeranimationen, allzu oft darauf vergessen wurde.

Trotz dieser Verwandtschaft sollte man sich von „Lohn der Angst“ keinen Actionfilm erwarten. Es ist ein vom Existenzialismus der Nachkriegszeit geprägtes Charakterdrama. Der Fokus des Films auf seine Figuren wird deutlich, wenn man sich ansieht, wofür er sich Zeit nimmt: Die Prämisse mit den Lastern voll Nitroglyzerin, für die der Streifen weltberühmt ist, nimmt nur die zweite Hälfte des Films ein. Eine ganze Stunde lang lernen wir diese große Gruppe Verlorener kenne, die in dem heruntergekommenen Dorf vor sich hin vegetieren. Es ist eine wilde Mischung vieler kleiner Geschichten, nicht weniger spannend inszeniert als alles was folgt. In dem Gewitter unterschiedlicher Sprachen und Perspektiven schafft Clouzot es, jede noch so kleine Nebenfigur mit ein paar Handgriffen zu einer echten Persönlichkeit zu machen. Schlicht genial. Das korrupte Verhalten der amerikanischen Ölfirma geriet so bestechend, dass der Film in den USA damals glatt in die Zensur geriet. Vor allem aber kennt man die Hauptdarsteller schließlich gut genug, um auf der Höllenfahrt mitzufühlen.

Zwei unterschiedliche Möglichkeiten zum Weiterschauen: William Friedkins Remake „Atemlos vor Angst“ aus dem Jahr 1977 oder Henri-Georges Clouzots nächster Film „Die Teuflischen“, der seinen Ruf als Meister der Spannung bestätigte.
Senad Halilbasic & Sebastian Rieger