Vintage Views
Vintage Views: Giallo

Vintage Views: Giallo

Vintage Views sehen Gelb. Das italienische Horrorgenre Giallo.
Um in das einzuführen, was gemeinhin als „Giallo“, die italienische Form des Horrorkinos, bezeichnet wird, gilt zunächst eine Unterscheidung zum herkömmlichen (US-)Horrorkino einzuführen. Das amerikanische Horrorkino, ob mit dem Stempel Slasher oder Splatter belegt, zielt meist auf Realismus ab. Es gilt zu erschrecken, zu ekeln, den Schmerz spürbar zu machen. Egal wie ästhetisiert, stets dient die Ästhetik dem Horror und der Furcht an sich. Der italienische Horrorfilm erweist sich in Dramaturgie und Ästhetik experimentierfreudiger. Der Horror hier ist brutal, ja manchmal schlichtweg ekelerregend, doch stets ist er in einem Kosmos voller Experimente eingebettet.Es geht hier nicht nur darum, Makeup- und Special-Effects im Sinne des Gores auszutesten (wie in vielen US-amerikanischen, experimentierfreudigen Horrorfilmen), sondern gleich den ganzen filmischen Kosmos surreal zu gestalten: Dialoge sind oft fernab jeglicher Charakterpsychologie, Locations oft so ausgewählt, dass sie real sind und sich zugleich surreal anfühlen. Paradebeispiel hierfür ist Dario Argentos „Rosso - Die Farbe des Todes“ (mehr dazu in der nächsten Ausgabe von VV). Um die Handlungsorte zugleich real und bekannt wie auch in ihrer Anordnung verfremdend auszustellen, drehte Argento jede einzelne Außenszene in einer anderen italienischen Stadt. Somit ergibt sich eine fiktive Stadt, die in ihrer Topographie surreal ist – und zugleich nicht vollkommen fremd.

Das Wort „Giallo“ bedeutet auf italienisch gelb und bezeichnet ursprünglich die gelben Covers der Krimis aus dem Verlag Mondadori, die dort seit 1929 erscheinen. Die Bücher, deren Farbe zum geflügelten Wort für spannende und schockierende Unterhaltung wurde, waren anfangs Übersetzungen englischsprachiger Geschichten. Nach dem Verbot des Imports dieser Literatur durch die Faschisten sprangen italienische Autoren ein und kreierten bis in die 50er einen neuen, eigenen Stil - von Kriminalromanen und phantastischer Literatur beeinflusst.

Mario Bava, seines Zeichens über 30 Jahre lang so etwas wie der König des italienischen Horrors, der u.a. Ridley Scotts „Alien“ das Vorbild lieferte, schuf 1962 den ersten Giallo-Film mit „The Girl Who Knew Too Much“.

In den 60er Jahren sprangen die Gialli auf die Leinwand über und boomten in der ersten Hälfte der 70er besonders stark. Es entstand ein kreatives Tummelbecken für verschiedenste Filmemacher. Giallo ist gleich nach Italo-Western eines der populärsten und sicher das schillerndste der spezifisch italienischen Genres. Teils schundig, wirr, lächerlich – teils genial gefilmt und unglaublich originell.

Mit dem Aufstieg der amerikanischen Slasher-Filme – die von Giallo ebenso viel gelernt haben, wie die Italiener etwa von Hitchcock beeinflusst wurden – sinkt der Stern der Gialli, ist aber nie gänzlich verschwunden. Die Tradition wird bis heute noch gepflegt.

Was jetzt tatsächlich Giallo ist, fällt einem gar nicht so leicht zu sagen und die Diskussion darüber gehört zur Lieblingsbeschäftigung der Fans. Es ist ein schwammig gehaltener Begriff, eigentlich ein Mix der Genres Krimi, Horror und Thriller. Je nach Mischverhältnis ist ein Film dann mehr oder weniger Giallo. Kern der meisten Filme ist eine Mordserie, die von einem unbekannten Mörder (schwarze Lederhandschuhe!) begangen werden und bei dem man bis zum Ende der Ermittlung miträtselt, wer es sein könnte. Dabei geizt der Giallo nicht mit einfallsreichen Gewalt- und Schockmomenten und setzt auch Sex und Erotik gezielt ein. Eine besonders kreative zehnminütige Zusammenfassung des Giallo (bzw. seiner Klischees) finden sich hier:



Denny Corso schlägt den italienischen Begriff „Filone“ vor, für den es bei uns keine genaue Entsprechung gibt. Enger gefasst als das das Wort „Genre“, bezeichnet er eine Reihe, eine Art Formel oder Tradition verwandter Filme.

Die Beschreibung des Phänomens Giallo wird in den nächsten Vintage Views fortgesetzt – anhand der konkreten Beschäftigung mit Altmeister Dario Argento, dessen Werk häufig eindeutig die Etikette „Giallo“ trägt und der zugleich zahlreiche Filme inszeniert hat, über deren Genreeinteilung Fans und Kenner stets streiten. Also: to be continued...
Senad Halilbasic & Sebastian Rieger


Forum

  • Giallo im Filmmuseum

    Im Filmmuseum in Wien gibt es ab heute in Kooperation mit dem slash Filmfestival eine sehr umfangreiche Giallo-Retrospektive:

    30. August bis 24. Oktober 2019
    Giallo
    Italiens Thriller-Moderne
    https://www.filmmuseum.at/
    uncut_4fd94f1238.jpg
    31.08.2019, 23:03 Uhr