Vintage Views
Vintage Views: Saturn Film

Vintage Views: Saturn Film

Über die erotischen Anfänge der österreichischen Kinos
Lange vor Oscar- und Cannes-Erfolgen, vor dem, was man gemeinhin den „neuen Österreichischen Film“ bezeichnet und ebenso vor der Ära der Heimatfilme, beginnt die österreichische Filmgeschichte. Die erste Filmproduktionsgesellschaft des Landes wird vom Fotografen Johann Schwarzer 1906 in Wien gegründet. Sie nennt sich „Saturn Film“ und spezialisiert sich auf sogenannte „Herrenabendfilme“, vulgo und contemporary: Pornos.

Bis zur behördlichen Schließung im Jahre 1911 produziert Saturn-Film einen Erfolg nach dem anderen. Die Filme wurden letzten Endes in einem Katalog angeboten, der eine Kurzbeschreibung, ein Filmstill sowie die Filmlänge (in Metern) angegeben hat – bezahlt wurde schließlich nach der Länge.

Auf der von dem Filmarchiv Austria zusammengestellten DVD findet sich, neben einer Auswahl an vollständig erhaltenen Herrenabendfilmen und solchen Fragmenten, auch eine Einführung zum Thema, die hier angesehen werden kann:



Die DVD des Filmarchiv Austria spielt die Saturnfilme in chronologischer Abfolge ab – dies sollte auch nicht anders sein, denn dadurch erschließt sich dem Zuschauer erst der wahre künstlerische Wert dieser Erotikfilme. Während die frühen Filme der Produktionsfirma mit vielversprechenden Titeln wie „Baden Verboten“ (1906/08) kaum einen Plot bieten und sich nur auf den Schauwert (Frauen ziehen sich aus und gehen baden) beschränken, findet im Laufe der Produktionsjahre eine dramaturgische Weiterentwicklung hin zu einer filmnarrativen Komplexität statt. „Sklavenmarkt“ beispielsweise wechselt im Laufe der Handlung die Location von einer Waldstelle zur anderen, während „Eine Aufregende Jagd“ ihrem Titel gerecht werden will und mehrere Locations durch harte Schnitte miteinander verknüpft. Somit findet also auch im Genre des Erotikkinos, denn etwas anderes wollen die „Saturn-Filme“ de facto nicht sein, eine Weiterentwicklung des Mediums statt. Dass es hier nicht um Revolutionen des Filmschnitts á la D.W. Griffith geht ist klar. Doch offensichtlich bleibt, dass dem Kinopublikum der 1910er Jahre selbst in einem Genre wie diesem ein reiner Schauwert nicht gereicht hat. Man wollte Stories, Geschichten, die Anfang, Mitte und Schluss haben und gewissen dramaturgischen Prinzipien gehorchen. Auch auffallend ist, dass sich in den Filmen im Laufe der fünf Produktionsjahre Schritt für Schritt immer mehr Slapstick-Einlagen finden. Das Erotikkino reagiert also auf den Markt – Entertainment und Schauwert verschmelzen zu einer Filmkunst.



Trotz aller dramaturgischer Entwicklung blieb die Firma jedoch bis zu ihrem forcierten Ende ein Produzent der Erotikfilme. Die Rolle der Frau als Schau- und Lustobjekt ändert sich im Laufe der Filme kaum – einzig auffallendes Beispiel ist „Die Macht der Hypnose“ (1908/10), in der die Frau eindeutig der mächtigere Part ist und einen Mann hypnotisiert. Warum sie sich, während dieser sich in Hypnose befindet, dann auszieht, kann inhaltlich nicht erklärt werden. Man kann also nicht sagen, dass in diesem Film die Frau „die Hose“ wortwörtlich „anhat“ – metaphorisch aber durchaus.

Hat Walter Benjamin Recht behalten, als er meinte, dass sich das Kino irgendwann zu seiner Ursprungsform zurückentwickeln wird? Im Erotikgenre wohl eindeutig ja, denn der Konsument von heute fordert durch Portale wie youPorn nichts weiter als den Massenkonsum der erotischen Bilder, fernab aller Ansprüche an „Story“ – so, wie die frühesten Werke der Saturn-Film, die jedoch sich in einem wesentlichen Punkt von dem Begriff „Pornographie“ unterscheiden: Stets geht es um Erotik im Sinne des Voyeurismus, nie um den sexuellen Akt an sich.
Senad Halilbasic & Sebastian Rieger