Diagonale
Interview mit Elfi Mikesch

Interview mit Elfi Mikesch

Die Diagonale widmet sich heuer unter anderem Elfi Mikesch. Nina Bedlivy spach mit der Filmemacherin.
Die Liste ihres bisherigen filmischen Schaffens scheint endlos, genau wie ihr Bestreben, darin immer wieder neue, ungewohnte Wege zu beschreiten. Bei der Diagonale 2011 wird ihr in Form eines umfangreichen Programmschwerpunktes die Ehre des „Stars“ zuteil. Nina Bedlivy im Gespräch mit Filmemacherin Elfi Mikesch über Schubladen, sichtlich Unsichtbares, Frauen, Männer, Leidenschaft und moderne Zeiten:


Nina Bedlivy - Uncut: Wie sind, als großer Ehrengast der heurigen Diagonale, Ihre bisherigen Eindrücke von diesem Festival?

Elfi Mikesch: Das Festival hat ja einen sehr schönen Namen, diese „Diagonale“, die einen Querschnitt zeigt, aber darüber hinaus auch ein großes Engagement für ungewöhnliche Filme oder auch den Dokumentarfilm. Und Barbara Pichler hat bei der Eröffnung eine so starke Einführungsrede gehalten, die mich sehr überzeugt hat. Da wurden all die Punkte angesprochen, die für uns und unsere Gesellschaft wichtig sind.

Sind Sie sehr im Terminstress oder finden Sie auch die Zeit, selbst Filme anzuschauen?

Ja, das ist das einzige Manko, da müsste ich die Diagonale ohne eigenen Film besuchen. Im Moment komme ich gar nicht dazu, Filme aus dem Programm zu sehen, leider! Ich habe aber den Eröffnungsfilm gesehen, den Dokumentarfilm „Abendland“ von Nikolaus Geyrhalter, sehr eindrucksvoll – auch dass dieser Film, der mit so einer Präsenz unsere momentane gesellschaftlichen Situation in Europa zeigt, als Eröffnungsfilm ausgewählt wurde, fand ich sehr gut.

Bei der heurigen Berlinale wurde ein Hollywood-Film als Eröffnungsfilm gezeigt, ist das ein Zeichen dafür, dass die Diagonale da mutiger vorgeht?

Sie trifft den Nerv, Dinge zu zeigen, die wichtig sind, ausgesprochen zu werden. Das kann mit einem Hollywood-Film auch passieren, keine Frage, aber hier gibt es diese großartige Möglichkeit der Überschaubarkeit und der Komprimierung.

In Barbara Pichlers Eröffnungsrede wurden auch die Digitalisierung und der technische Fortschritt in der Filmlandschaft angesprochen. Wie stehen Sie dem gegenüber?

„Judenburg findet Stadt“ thematisiert das, diesen Übergang, der für uns noch gar nicht so als Vergleich wahrgenommen wird, außer von Leuten, die sich damit befassen. Es ist wie eine rapide Unterwanderung. In „Judenburg findet Stadt“ trifft sich die alte Fotografie mit der neuen, elektronischen Musik, in der Computer die Instrumente sind und dann auch mit der digitalen Fotografie. Es gibt den Anstoß, hinzuschauen und zu sehen, aha, so ist die Geschichte.

Ist diese Entwicklung für Sie prinzipiell positiv?

Ich kann das nicht immer so sagen, positiv oder negativ, das sind ja immer sehr gemischte, vielschichtige Prozesse. Ich kann natürlich sehr negative Punkte festmachen, was dann eine Kritik ist, die notwendig ist, damit wir nicht kopflos in all unsere Phänomene hineinfallen oder von ihnen aufgefressen werden. „Abendland“ zeigt recht genau einen Teil der Struktur und Ausschnitte von Dienstleistungen, wo wir uns wundern müssen, wie sehr wir schon die Dienerinnen und Diener der Maschinen geworden sind, anstatt sie zu nutzen, um unsere Individualität nicht zu verlieren. Und diese Gefahr besteht! In „Judenburg findet Stadt“ ist das andeutungsweise auf einer ganz anderen Ebene auch zu sehen. Die Abhängigkeit von Maschinen und ihren Systemen, der Verlust der Erinnerungen, die Art des Speicherns der erlebten Geschichte, das alles sind Themen unserer Zeit. Und da ist die sehr große Gefahr, dass da die Erinnerung aufhört, weil die Sachen nach zehn Jahren verschwunden sind, oder die Geräte nicht mehr benutzt werden können. Es gibt Geräte, die sind zehn, fünfzehn Jahre alt und es gibt für sie keine Anschlüsse mehr. Alles was darin gespeichert war, ob irgendwelche Daten auf Disketten oder auch Filme, ist kaputt und verloren. Ein 16mm-Film dagegen, der 30 Jahre oder älter ist, der ist nach wie vor vorhanden. Das ist ein Material, das sich nicht so schnell auflöst. Natürlich muss es gepflegt werden, aber es ist nicht für immer verschwunden in irgendeinem Pixel-Universum, das nicht mehr nachzuvollziehen ist.

Kommen wir zu einem Thema, über das wir wahrscheinlich problemlos viele Stunden reden könnten und das auch bei der heurigen Diagonale einen Schwerpunkt bildet: Frauen, genauer gesagt Frauen in der Filmbranche. Für Sie als eine Frau, die seit vielen Jahren in dieser nach wie vor von Männern dominierten Branche tätig ist, wie war das damals, wie ist das heute?

Es muss immer gerungen werden, denn es ist noch immer ein großes, breites Feld, wo noch nichts passiert ist, oder auch viel wieder vergessen wurde. Deshalb ist die Betonung darauf sehr wichtig, dass da seitens der Frauen ein großes Potential ist. Es fängt doch schon damit an, dass es nach wie vor so wenig gleichgestellte Bezahlung gibt. Die Diskussion war schon vor 35 Jahren hochaktuell und es ist noch immer nicht passiert, dass bei der Bezahlung von weiblicher und männlicher Leistung in denselben Positionen dieselbe Ebene selbstverständlich ist. Da frage ich mich, was soll denn das? Die jungen Frauen müssen das betonen, müssen auf die Barrikaden gehen und dürfen sich das nicht bieten lassen. Und von den Männern wünsche ich mir, dass sie sich selbst fragen, warum das eigentlich nach wie vor so eine seltsame Selbstverständlichkeit ist, diese Unterschiede über all die Jahre immer noch aufrecht zu erhalten.

Haben Sie persönlich seit den 1970er Jahren diesbezüglich Veränderungen oder Fortschritte festgestellt?

Zu dieser Zeit, als sich all diese Bewegungen artikuliert haben, gab es natürlich eine große Diskussion, da ist auch sehr viel passiert. Doch wenn wir uns anschauen, wie beispielsweise heute die Spitzenpositionen besetzt werden, verwundert es doch sehr, dass das, trotz aller Quoten und so weiter, immer noch eine viel zu schiefe Ebene ist. Ich habe zu diesem Thema auch etwas Tolles gefunden, und zwar die Bierdeckel, die von der Diagonale in den Grazer Lokalen ausgelegt wurden und die ich sehr originell finde. Hier steht zum Beispiel:
„Nach 81 Jahren ging der Oscar für die Beste Regie erstmals an eine Frau. Kathryn Bigalow reüssierte 2010 mit dem Kriegsdrama `The Hurt Locker´. Sonst sind Filmprojekte mit großen Budgets immer noch Männersache.“
Oder hier:
„Im Schnitt sitzen 98,8% Männer in den Vorständen der großen österreichischen Unternehmen, die wiederum von Aufsichtsräten kontrolliert werden in denen 90% Männer sitzen.“
Da gibt es lauter so wunderschöne Karten, die als Bierdeckel auf den Tischen liegen, die finde ich sehr originell und informativ. Und das ist eben der Stand heute.

Denken Sie, das liegt hauptsächlich daran, dass eben die Männer so dominant sind, oder auch daran, dass sich die Frauen möglicherweise von vornherein nicht heranwagen, weil sie das Gefühl haben, ohnehin keine Chance zu haben?

Ich glaube, das ist nicht so einfach auf den Punkt zu bringen, da gibt es zu viele Faktoren. Aber es kann eine neue Diskussion entfacht werden, und das ist in meinen Augen das Wichtigste. Und dass vor allem die jungen Frauen diskutieren. Unlängst war ja in Wien auch eine Demonstration, bei der sich 5000 Frauen zu Wort gemeldet und Punkte aufgezeigt haben, die wichtig sind, diskutiert zu werden. Und das ist, finde ich, eine sehr wichtige Erscheinung.

Das heißt, es muss auf alle Fälle immer wieder bewusst gemacht werden?

Genau. Es wird so viel vergessen und wir werden von so vielen Dingen wie Werbung und verschiedensten Produkten beeinflusst und zugeschüttet. Und dann ist da auch noch der Zeitmangel. Denn obwohl wir in der heutigen Zeit so viele Maschinen haben die uns eigentlich unterstützen sollten, ist immer weniger Zeit da, um beispielsweise nachzudenken und sich zu fragen „Was mach’ ich denn hier eigentlich?“ Und das betrifft Frauen wie Männer gleichermaßen. Deshalb gibt es in den Filmen, die ich mache, auch immer die Betonung auf die Langsamkeit und die Besinnung. Aus diesem Grund sind sie in gewisser Weise auch ungewöhnlich, denn heute wird alles zerhackt und beschleunigt, alles hat diesen „Speed“. Ich habe nichts gegen Geschwindigkeit, aber wenn ich sehe, mit was für einer Beschleunigung wir konfrontiert sind, stellt sich die Frage, was das bedeutet und wer das mit uns macht. Und die Frauen leiden besonders darunter, denn sie haben oft eine Doppelbelastung und müssen vielschichtig denken, denn ihnen bleibt es überlassen, das zu organisieren.

Man hat tatsächlich oft den Eindruck, die Welt ist schneller unterwegs, als das Gehirn denken kann.

Es ist wirklich so, denn die Computer sind nun einmal schneller als wir und wir müssen uns da fügen. Wir haben auf der einen Seite diese großartigen Möglichkeiten der Aneignung von Wissen, das heute so verfügbar ist wie noch nie, gleichzeitig aber auch zu viel Information. Ich bekomme pro Tag 30-50 E-Mails, auf die ich reagieren muss und andere bekommen noch viel mehr, wie soll das denn bewältigt werden? Und wir sind auch noch stolz darauf, dass wir ja so viele Mails kriegen, weil das ja so wichtig ist (lacht).

Ja, man muss heute auch immer und überall erreichbar sein.

Das bin ich ja nicht. Ich habe jetzt, für die Dauer der Diagonale, ein Handy bekommen, aber normalerweise habe ich keines, weil ich sehe, dass es auch ohne geht. Ich kann mich mit meinen Leuten sehr gut verständigen – über E-Mail übrigens (lacht) – aber ich muss nicht ständig dieses Handy am Ohr haben.

Das Nichterreichbarsein kann man in dieser heutigen Zeit ja fast schon als Luxus bezeichnen.

Ja, ein Luxus, der sehr kreativ ist.

Sie haben in Ihrem filmischen Schaffen sehr oft gesellschaftlich schwierige Themen behandelt, seien es Sadomasochismus, Homosexualität, Behinderung, Altwerden oder Tod. Was ist für Sie das Anziehende an diesen Themen, was ist das Spannende daran, wenn man mit einem Film „aneckt“?

Es geht gar nicht um das Anecken, sondern es sind die Menschen, die mich beeindrucken durch das, was sie tun, besonders wenn ihre Lebensbedingungen schwierig sind. Das fing schon mit meinem ersten Film an („Ich denke oft an Hawaii“, 1978), da war meine Nachbarin, eine alleinerziehende Putzfrau, mit ihren halbwüchsigen Kindern, und ich habe mich gefragt, was das wohl für ein Leben ist und ob daraus nicht eine sehenswerte Geschichte über eine Familie entstehen könnte. Und genau so zieht es sich durch alle darauffolgenden Filme. Wie bei Torsten Ricardo Engelholz („Verrückt bleiben - verliebt bleiben“, 1997), der als Kind sehr vernachlässigt wurde und an einer Behinderung leidet. Mich beeindruckt, wie sich die Kreativität dieser Menschen, die es besonders schwer haben, entfaltet, denn die Kreativität ist Überleben. Bei jedem Menschen. Und wenn sie an den Rand der Gesellschaft gedrückt oder ignoriert werden, oder wenn alte Menschen, die sich nicht mehr wehren können, irgendwo abgestellt werden, dann stellt sich die Frage, was das insgesamt für die Gesellschaft bedeutet, für die Betroffenen und für die, die wegschauen. Deshalb wende ich mich diesen Themen zu, da spüre ich das starke Bedürfnis, diese Dinge zu hinterfragen. Und ich habe dadurch sehr viele interessante, schöne und bewegende Erlebnisse. Ich unterhalte mich auch gerne mit den Menschen und treffe den Torsten gerne, der mir mit seiner sogenannten Behinderung zeigt, wie erfinderisch er sein kann - und muss. Von Leuten, die ausgegrenzt werden und sich in schwierigen Situationen befinden, lerne ich unerhört viel. Sie haben eine andere Sprache, andere Ausdrucksmittel, andere Bewegungen. Da gibt es eine große Erkenntnismöglichkeit. Und ich denke, dass das Publikum solcher Filme darin auch etwas für sich selbst entdecken kann.

Heißt das, eine Arbeit ist für Sie dann richtig gelungen, wenn Sie das Gefühl haben, Ihr persönlicher Horizont wurde dadurch ein Stück erweitert?

Ich freue mich natürlich, wenn die Arbeit gelingt. Und ich teile Beruf nicht von Privatleben, das ist verbunden, eine Trennung ginge gar nicht.

Haben Sie mit Rosa von Praunheim, den sie seit vielen Jahren kennen und mit dem Sie auch mehrmals gearbeitet haben, neben dem beruflichen Verhältnis auch eine private Freundschaft aufgebaut?

Wir kennen uns seit 44 Jahren und er ist, wie Werner Schroeter, mein „ungleicher Bruder im Geiste“, meine Wahlverwandtschaft. Mich verbindet sehr viel mit beiden und sie haben mich beide auf ihre Weise gefördert. Rosa hat mir damals, als ich sagte, ich wolle nun endlich einen Film machen und ob er nicht irgendein Rohmaterial für mich hätte, tatsächlich Material für „Ich denke oft an Hawaii“ gegeben und mich in jeder Hinsicht unterstützt und angetrieben. Und Werner Schroeter hat mir, als ich meinen ersten Super-8-Film gemacht habe, einen Scheck gegeben und gesagt „Jetzt mach dir da eine Kopie, sonst geht das kaputt!“ Wir saßen zwar an verschiedenen Rudern, aber im selben Boot, und das war auch diese Zeit, in der sehr viel möglich war an Experiment, an Dingen, die uns begeistert haben. Wir haben gearbeitet, gelebt und hinterfragt, ohne so fix zu denken, wie es dann später interpretiert wurde. Werner ist ja leider gestorben, aber er hat bis zuletzt mit seiner unerschöpflichen Energie ermöglicht, dass „Mondo Lux“ gemacht werden konnte. Das alles macht unsere Freundschaft aus, bis heute. Es ist auch die Freundschaft, die wichtig ist für alle Menschen. Dass sie Verbindlichkeiten herstellen, inspirieren und unterstützen, wenn es einmal schwierig wird.

Eine exakte Definition Ihrer beruflichen Tätigkeit ist ziemlich schwierig, weil Sie so viele verschiedene Dinge machen, von Regie über Drehbuch, Kamera, Produktion, bis hin zu Malerei, Bücher oder Fotografie. Haben Sie also ganz einfach eine Kunst-Leidenschaft oder eine Ausdrucksleidenschaft, oder was genau ist Ihre Leidenschaft?

Sie haben einen sehr schönen Begriff genannt, die „Ausdrucksleidenschaft“. Das trifft die Sache genau. Es geht mir um den Ausdruck. Und in meinem vorletzten Film „Mondo Lux – Die Bilderwelten des Werner Schroeter“ antwortet er mir auf die Frage, was von all den Dingen, die er gemacht hat in seinem Werk, denn bleibt, mit: „Wieso was bleibt? Der Ausdruck bleibt!“ Und das ist genau der Schlüssel. Wenn ich Ihnen jetzt in die Augen sehe und in das Gesicht, so wie Sie hier sitzen, dann bleibt ein Ausdruck. Und wenn ich weiter zitiere: Es ist eine Schwingung im Raum, die nicht vergeht und etwas bewirkt. Wir haben einen Dialog, wir lernen uns kennen, es ist Kommunikation und Austausch von Leben. Und die Filme sind ja die Zeugen oder auch die Dokumente des Ausdrucks. Warum lieben wir Stars? Warum lieben wir einfache Gesichter aus Dokumentarfilmen, warum sehen wir uns das an? Das ist alles menschlicher Ausdruck, da schauen wir in den Spiegel, sehen unsere Sehnsüchte und unsere Schrecken.
Bei meiner Kamera-Arbeit für Dokumentarfilme ist es so, dass ich drehe und nach zehn Minuten öffnet sich dieser Mensch und sein Gesicht verändert sich. Und in dem Moment beginnt diese Resonanz zwischen dem Menschen vor der Kamera und dem dahinter. Das ist tatsächlich ein magischer Moment, der so alt ist wie die Menschheit. Dieses Berühren nur durch die Augen, bei dem Emotionen entstehen. Das ist wie Atmen, das brauchen wir zum Überleben.

Nun noch zu einer Filmgattung, in der Sie sich mit den Jahren auch einen Namen gemacht haben, dem Experimentalfilm. Für mich ist das insofern interessant, da die unterschiedlichen Film-Genres doch gewissen Regeln folgen, seien es die des Spielfilms, die andere sind als beispielsweise die des Dokumentarfilms. Beim experimentellen Kino könnte man sagen, dass da gar keine Regeln sind, dass man da machen kann, was man will. Sehen Sie das auch so oder haben sich für Sie da auch schon Regeln entwickelt?

Wenn es um Einordnungen geht, um Schubladisierungen, das ist so bürokratisch. Ich denke, dass es schön ist, einen Begriff zu setzen für „Zeichen“. Ob das jetzt ein Experimentalfilm ist oder eine Mischung, die ich ja bevorzuge. Ich mische sehr gerne alle Genres, spiele damit, gehe dabei montageähnlich vor und verwende sehr gegensätzliche Mittel. Es ist nicht stromlinienförmig und wird dann deshalb oft eingereiht in die Experimentalfilme. Ich bevorzuge Überschreitungen, auch innerhalb der gegensätzlichen Genres.

Ich persönlich habe grundsätzlich Probleme mit dem Schubladisieren und habe den Eindruck, dass es Ihnen da genauso geht.

Ja, ganz und gar. Es ist langweilig und auch gefährlich, denn sobald in Schubladen gedacht wird, heißt es sofort auch Ausgrenzung und man ist nicht mehr neugierig auf das, was dahinter steht, und das kann sehr gefährlich werden. Es entsteht eine sogenannte Normalität und auch eine Verachtung. Für mich ist Schubladendenken auch ein Teil der Verachtung für bestimmte Menschen oder Situationen. Da sind sie drin in der Schublade und es gibt keine Diskussion mehr. Das sind dann sehr oft auch die berühmten Vorurteile, mit denen dann alles Mögliche entsteht. Am gefährlichsten ist dann die Fremdenfeindlichkeit und die Entwürdigung von Menschen, die wir ja in unserer Geschichte noch und noch erlebt haben.

Eine andere – positiver besetzte – Schublade ist die, die man zu Hause oder auch im Kopf hat, mit neuen Ideen und Plänen, die man unbedingt noch verwirklichen möchte. Wie sieht die Ihre denn momentan aus?

Meine ist übervoll! (lacht) Ich muss da einmal richtig rangehen! Ich habe auch einen Begriff dafür, das ist das „Unsichtbare Museum“. Das verwende ich hauptsächlich in der Fotografie, obwohl ich vier kurze Filme gemacht habe, mit denen der Begriff entstanden ist. Das war in Berlin, kurz nach der Wende, als ich militärische Plätze aufgesucht habe, die vorher für mich als Zivilistin nicht zugänglich waren. Da habe ich diese Dinge gesehen, von denen ich genau wusste, diese Stücke Geschichte würden in wenigen Jahren verschwunden sein. Das habe ich dann „Unsichtbares Museum“ genannt. Und ich war im Naturhistorischen Museum in Wien, das für mich mit seiner Fülle an Materialien und Geschichte ein sakraler Ort ist, mit all den Geistern, die da als Schmetterlinge aufgespießt wurden oder als Vögel ausgestopft. All diese wunderbaren Erscheinungen aus der Natur, gepaart mit der Sammelleidenschaft des Menschen. Das ist für mich neben dem vordergründigen Museum auch ein unsichtbares, denn da gibt es Stockwerke mit Archiven, die nicht gesehen werden können, weil es einfach zu viel ist. Und ich habe selbst auch privates Material, an dem ich arbeite. Und irgendwann wird mein unsichtbares Museum mit Hilfe von Fotografien bei einer Ausstellung sichtbar gemacht werden.

Ihr sogenanntes Lebenswerk ist also noch lange nicht abgeschlossen?

Nein! (lacht) So lange ich lebe, ziehe ich Schubladen auf!

Weitere Termine von „Judenburg findet Stadt:

Premiere in Judenburg am 26. 03. um 19.30 Uhr im Festsaal bei freiem Eintritt und anschließendem Sektempfang

Erstausstrahlung auf ORF2 im Rahmen der Reihe dok.film am 27.3. um 23.05 Uhr

Wien-Premiere im Rahmen der dok.at-Werkschau am 17.4. um 13 Uhr im Filmcasino

Auswahl des dokumentarischen Schaffens von Elfi Mikesch in der dok.at-Werkschau von 14.-17. April im Filmcasino Wien
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