Vintage Views
Vintage Views: Die wahren Dancing Stars

Vintage Views: Die wahren Dancing Stars

Der Frühlingsbeginn brachte uns den Höhepunkt der Ballsaison und jetzt neue Startanz-Albernheiten im ORF. Vintage Views schwingt lieber mit Fred Astaire und Co. das Tanzbein!
Zu den klassischen amerikanischen Musicals der 30er und 40er Jahre fällt es einem heute oft schwierig, noch einen Bezug herzustellen. Schließlich stehen sie wie nichts anderes für Hollywood als „Traumfabrik“: Bombastisch inszeniert, aber von einer Naivität, die wir ein bisserl peinlich finden, schlimmstenfalls sogar langweilig. Sie drückten ein offenes Bedürfnis der Menschen nach Eskapismus vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise und Krieg aus. Da war es ein befreiender Gedanke, in Gesang und Tanz ausbrechen zu können und Harmonie in der Musik zu finden.
Man muss diese Filme als die Blockbuster ihrer Zeit verstehen. Die Studios versuchten sich gegenseitig mit immer neueren Tanzfilmen zu übertrumpfen. Die Nachfrage war enorm und das Publikum nahm die oft mehrmals im Jahr erscheinenden Spektakel gespannt auf. Die Konkurrenz führte zu riesigen Budgets und innovativen Einfällen und Effekten, die einander ständig zu übertrumpfen suchten. Unter diesem Druck entstanden athletische Meisterleistungen und beeindruckende filmische Inszenierungen.

Eigentlich war der Tanz im Film von Beginn an präsent. Von ihm ging die gleiche Faszination für Bewegung aus, die frühe Kameras auch auf Fahrzeuge oder Artisten richtete. Nach 1929, mit der einflussreichen Erfindung des Tonfilms, kam es aber zu einer Explosion an Musik und Tanz in den Kinos. Die Künstler stammten aus der Kultur der Broadway-Shows und Varietés und lehnten die Filme stark an ihnen an. Ein Revue-Film lief wie so eine Show ab, mit einzelnen, auf einer Bühne inszenierten Nummern. Große Popularität erlangten Backstage-Filme, die Geschichten vor und hinter der Bühne mit dem Geschehen verwoben.
Busby Berkeley ist einer der großen Namen dieser Zeit. Er arrangierte seine Showgirls in kaleidoskopischen, fantasievoll ausgestatteten Formationen. Fast noch wichtiger ist aber, dass er einer jener Choreographen war, die ihre Arbeit auf das Medium Film abzustimmen begannen und lernten, für die Möglichkeiten von Schnitt und Kamera zu arbeiten. So schuf er Blicke auf das Geschehen, welche die Menschen noch nie zuvor gesehen hatten: wie etwa die Vogelperspektive auf die Tänzerinnen.
Schaut euch einfach mal diesen Ausschnitt aus „Die 42. Straße“ (1933) an: Es beginnt mit einem harmlosen Stepptanz von Ruby Keeler, doch ab der 2. Minute befreit er die Kamera und lässt sie durch die Großstadt fliegen!



In den Musicals gab es neben technischen Ideen eine bewusste Arbeit daran, den Tanz in die Handlung zu integrieren, anstatt sie damit zu unterbrechen. Tanz meinte hier nicht nur das artifizielle Arrangement einer Bühnenshow sondern Gesellschaftstänze in den unterschiedlichsten Formen. „Gesellschaftstanz“ klingt auf deutsch für unsere Ohren furchtbar formell und verstaubt, doch im Prinzip ist damit eine große Alltagsnähe gemeint: Es sind jene Tänze, die unter den Menschen tatsächlich stattfanden und der jeweiligen Mode entsprachen.
Ein Vorreiter bei dieser Entwicklung, wie bei so vielen anderen war Fred Astaire. Er ist berühmt für seine unerreichte Leichtigkeit und Präzision, doch seine Leistungen als Choreograph treten dabei ein bisschen in den Schatten. Astaire war der erste Filmtänzer, der sich eine solche künstlerische Kontrolle über seine Performances verdiente. Er entwickelte alle seine Nummern selbst, sein Kollege Hermes Pan choreographierte dazu Partner und Hintergrund. Die beiden vertraten einen neuen Grundsatz der Kameraführung, der das Filmerlebnis revolutionierte: Möglichst lange, ungeschnittene Einstellungen, die den ganzen Körper des Tänzers zeigen. Keine Seitenblicke auf Reaktionen des Publikums oder Nahaufnahmen. Anders als beim Schauspieler entkräftet eine Nahaufnahme den Tänzer. Die Faszination des Publikums hängt von der totalen Wahrnehmung der körperlichen Leistung ab.

Während der 30er Jahre bildeten Ginger Rogers und Fred Astaire das Dreamteam des Tanzfilms. So gehen die beiden in „Swing Time - Walzer aus Amerika“ (1936) ab:



Sein Gegenstück unter den Damen stellte aber wahrscheinlich Eleanor Powell dar, die ebenso wie er künstlerische Verantwortung übernahm. Als die beiden schließlich zusammen auftraten, gestaltete sich die Arbeit anfangs schwierig – wo es doch beide gewohnt waren, den Ton anzugeben. Das Ergebnis in „Broadway Melodie 1940“ kann sich sehen lassen.


Der steppende Kinderstar Shirley Temple ist bis heute in Erinnerung geblieben. Das kleine Lockenköpfchen hatte aber immer erwachsene Partner, die sie im Kontrast noch süßer aussehen ließen. Temple und Bill „Bojangles“ Robinson sind auf diese Weise ein anderes ikonisches Pärchen geworden. Robinson war seinerseits einer der größten Stepptänzer und verdiente sich trotz seiner Hautfarbe große Beliebtheit beim Publikum – eine beachtliche Leistung zu dieser Zeit. Dieser Tanz auf der Treppe aus „Oberst Shirley“ (The Little Colonel/1935) ist vielleicht sein berühmtester Moment:



Während der Blüte der Musicals in den 40er Jahren wurde immer mehr an Stilen gefeilt. Choreograph Jack Cole studierte Latin und indische Tänze, brachte so neue Erdteile nach Hollywood und den Stars den Hüftschwung und Sinnlichkeit bei. Berühmt sind seine Arbeiten mit Rita Hayworth und Marylin Monroe, beide „Liebesgöttinnen“ des Kinos. Hayworth weiß, wie man einen Handschuh auszieht in „Gilda“ (1946):



Gene Kelly ist sowas wie eine Wundertüte. Ein schöner, männlicher Tänzer mit einem athletischen Stil und viel Witz, der nicht nur sich selbst sondern gleich auch alle anderen choreographierte und dabei auch mit den technischen Mitteln neue Maßstäbe setzte. In dieser wunderschönen Szene steppt er mit Rollschuhen „Vorwiegend Heiter“ (It’s Always Fair Weather/1955). Wie geht denn sowas?



In den 50er Jahren zeichnete sich der Abschwung von den großen Musicals ab. Die Produktionen wurden nicht schlechter, aber immer weniger. Die Konkurrenz des Fernsehens, Rock’n’Roll und der sich ankündigende Niedergang des Studio-Systems bereiteten die Zeitenwende.
Seitdem gab es nur zeitweise kleine Revivals und beeindruckende Klassiker – die dafür aber oft besonders starke Impulse für den Tanzfilm setzen, in einer Welt nach der sexuellen Revolution, die auch beim Überwinden von Rassismus und Homophobie in der Industrie Fortschritte gemacht hat. Das bleibt noch Stoff für eine zukünftige Kolumne!
Sebastian Rieger