Berlinale 2011
Berlinale Tag 6

Berlinale Tag 6

Marie Kreutzer ist verkühlt, Nietzsches Pferd gewöhnungsbedürftig und ein ukrainischer Kernreaktor ein Problem - nicht nur für die Russen.
Um halb elf am Vormittag erwartet uns eine sichtlich erschöpfte Marie Kreutzer im Hyatt-Hotel zum Interview. Ganz so windig und anstrengend hat sie sich den Trubel um ihren Film „Die Vaterlosen“ nicht vorgestellt, ist aber trotzdem guter Dinge. Verständlich, so oft kommt es ja auch nicht vor, dass man mit seinem Spielfilm-Erstling nach Berlin reisen darf. Ralph Fiennes teilt dieses Schicksal, er hat seinen „Coriolanus“ auch gleich in den Wettbewerb geschickt. Von dessen Qualitäten kann ich mich um zwölf im Friedrichstadtpalast mit eigenen Augen überzeugen, verziehe während der eineinhalb Stunden Shakespeare-Stoff ob der deftigen und zahlreichen Gewaltszenen jedoch mehrmals das Gesicht. Die U-Bahn-Fahrt zur nächsten Leinwand wird schnell zur Erholung genutzt, die dann wiederum recht schnell einer dunklen Vorahnung weicht. Denn nun stehen 146 Minuten Low-Budget-Import aus Ungarn auf dem Plan. Der Berlinale-Katalog verspricht laaaange Kamera-Einstellungen und kaum Dialoge, eine Kombination, die durchaus an die Substanz gehen könnte. Doch siehe da - im Gegensatz zu diverser JournalistInnenkollegschaft, die entweder vorzeitig den Saal verlässt oder friedlich eindöst (an dieser Stelle ein Gruß an den Herren, der rechts neben mir saß: Fünf Minuten, alter Fuchs, das ist Rekord!), beginne ich mit jeder Minute mehr Gefallen an Bėla Tarrs Schwarzweiß-Epos „The Turin Horse“ zu finden. Scheinbar ist meine cineastische Seele viel abgründiger als ich dachte! Bei der dazugehörigen Pressekonferenz werde ich dann noch Zeugin des Umstandes, dass Ungarns Filmelite offensichtlich wenig bis nichts vom üblichen Presse-Geschleime hält (genausowenig wie von Filmpreisen, der englischen Sprache und zu persönlichen Fragen übrigens). Im Zuge der anderthalb Stunden Freizeit bis zum russischen Wettbewerbsbeitrag „An einem Samstag“ kaufe ich Marken für die Post nach Hause und kann nicht widerstehen, einen auf unoriginelle Touristin zu machen und einen echten (?) Mauerstein zu erstehen. Nun also wieder zum Friedrichstadtpalast und einer ordentlichen Portion Handkamera, gepaart mit diffuser Handlung. The audience is not amused - und mir selber ging es nach einem kyrillischen Abspann auch schon mal besser...

Die Autorin

Forum

  • 5 Minuten

    Nach fünf Minuten einschlafen? Nicht schlecht aber kein Rekord. Ich kenne da jemanden, dessen Namen ich hier nicht nennen will, der schon einmal während der Trailer vor dem Film eingeschlafen ist ;)
    uncut_4fd94f1238.jpg
    17.02.2011, 20:03 Uhr
  • Kommentar des Tages:

    "Blöde Fragen beantworte ich nicht!" :-)
    leandercaine_0fc45209c9.jpg
    16.02.2011, 19:03 Uhr
  • ;)

    Tolle Berichterstattung. Kudos :-)
    16.02.2011, 16:27 Uhr