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  • Bewertung

    Beeindruckende Produktionsgeschichte

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2015
    „Tell the spring not to come this year“ ist einer jener Dokumentarfilme, die vor allem dadurch beeindrucken, dass sie überhaupt realisiert werden konnten. Die Vorgeschichte: Regisseur Michael McEnvoy diente einige Monate als Captain der britischen Armee in Afghanistan. Bis er - wie auch alle anderen NATO-Truppen - 2014 aus der porträtierten Provinz abgezogen wurde. Der Konflikt mit den Taliban, der von der NATO in 13 Jahren nicht beendet werden konnte, wurde an die zuvor noch extra eingeschulte Afghanische Nationale Armee (ANA) weitergeschoben.

    Doch McEnvoy, der selbst über keine Erfahrung im Filmemachen verfügte, hielt es nicht lange zuhause aus, suchte sich kurzerhand einen talentierten Kameramann (Saeed Taji Farouky) und fuhr zurück nach Afghanistan. Sein Ziel: Die Arbeit der medial unterrepräsentierten afghanischen Truppen zu filmen. So heftet er sich an die Fersen von zwei Hauptcharakteren. Sie waschen Teppiche, schimpfen über Vorgesetzte und NATO. Sie philosophieren über Religion, erzählen aus ihrer Vergangenheit und kommen auf Patrouille in Kontakt mit Einheimischen. Wirklich freundlich gesinnt sind ihnen die Dorfbewohner und Opiumbauern allerdings nicht. Die Angst vor den Taliban ist ebenso allgegenwärtig wie die dick aufgetragene Filmmusik. Kommentare und Erzählungen, Hoffnungen und Träume kommen aus dem Off, was die Spielfilmoptik wahrt.

    Die angespannte Idylle des Soldatenalltags wird bald vom Wahnsinn des Schlachtfelds verdrängt. Es sind Bilder, die man noch nicht oft im Kino gesehen hat. Denn Regisseur und Kameramann befinden sich hier mitten im Kugelhagel. Klaffende Wunden und blutverschmierte Körper Rahmen die epischen Cinemascope-Bilder. Es ist eine Filmproduktion in ständiger Lebensgefahr – was auch auf der Leinwand zu spüren ist. Denn eines ist klar: Auch, wenn die Gefahr vielleicht nicht immer so groß ist, wie es im Kinosaal scheint, die Konfliktsituationen sind echt. Doch auch in größter Aufregung bleiben Bild und Ton technisch einwandfrei und müssen sich nicht vor (vielleicht sogar absichtlich amateurhaft gefilmten) Hollywoodproduktionen verstecken.

    Der Dokumentarfilm ist weniger ein politisches Werk, als eine powervolle humanistische Geschichte über eine Gruppe Soldaten, die einen als Kinobesucher nur schwer kalt lassen kann. Der Film ist dabei natürlich streng subjektiv. Gegenmeinungen oder andere Sichtweisen, als jene der Soldaten spielen keine Rolle. Müssen sie auch nicht. Denn es ist Ihre Welt, um die sich alles dreht. Über 30 ihrer Kameraden kamen während der Dreharbeiten ums Leben.
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    (Patrick Zwerger)
    16.02.2015
    20:20 Uhr
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