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    Schlampig-formelhafte Rückkehr von Disneys Seemansgarn

    Exklusiv für Uncut
    Jack Sparrow ist zum fünften Mal zurück – in der unermüdlichen Mission, seinem Darsteller Johnny Depp und Disney/Jerry Bruckheimer wieder einen Hit zu bescheren. Oder, um bei der offiziellen Handlung des Films zu bleiben, den Dreizack von Poseidon, dem Meeresgott höchstpersönlich, zu finden. Der hielt sich anscheinend trotz seiner griechischen Herkunft gerne in der Karibik auf. Mit diesem Artefakt scheint somit auch der Zenit der übernatürlichen Artefakte in der „Fluch der Karibik“-Reihe erreicht zu sein. Weil was lässt sich da noch toppen, wenn man bereits beim Meeresgott höchstpersönlich angelangt ist?

    Als der erste „Fluch der Karibik“ 2003 in die Kinos kam, war er nicht nur ein positiv aufgenommener Überraschungshit, der Disney zu seiner „Theme Park“-Adaptierungsreihe inspirierte, er belebte auch das seit den 90er Jahren als Kassengift verschriene Piratengenre neu. Doch diese Renaissance sollte nur von kurzer Dauer sein, bereits mit Teil 2 setzten die Macher ihrer Schöpfung bereits wieder die Klinge an die Kehle. „Größer, pompöser“ lautet die allgemeine Sequel-Devise in Hollywood. Dies ist noch kein Grund für einen schlechten Film, aber die Fortsetzungen der Reihe hatten viel von ihrem ursprünglichen Charme verloren. Jacks Rolle war zu kalkuliert und für billige Lacher ausgebeutet, die Piraten wurden zu Witzfiguren, die Handlung war zeitweise zu bürokratisch, die Actionszenen und Schauplätze waren nur mehr seelenlose CGI-Orgien. Es ist traurig zu sagen, dass sich auch Teil 5 nahtlos in dieses Schema einfügt.

    Ob Teil 5 nun besser ist als der ebenfalls enttäuschende Teil 4, der vorhergegangene Versuch der Reihe wieder Leben einzuhauchen, ist schwer zu sagen. Klar ist, dass die Rechnung mit der Rückkehr der Handlung zur Familie Turner nicht aufgeht. Turner jr. jr. ist ein nerviges Kind mit schweren Daddy Issues – weil kein innerer Konflikt, gepaart mit schlampiger Charakterisierung schreibt sich so einfach, wie wenn der Charakter Probleme mit Papi hat. Schlampig ist das Leitwort der Handlung. Der Film könnte unterm Strich viel mehr her machen, wenn er nicht so schlampig geschrieben wäre. Die interne Logik schreit nach „egal wie wir von A nach B kommen, Hauptsache ihr habt uns wieder lieb und das Einspielergebnis passt“. Schon zu Beginn schmeißt der Film seine Mythologie über Bord wenn Will Turner als Käptn der Flying Dutchmen mit seinem eigenen persönlichen Korallenriff im Gesicht seinen Sohn zurück zur Mutter schickt. In der Original-Trilogie wurde etabliert, dass die Besatzung sich nur in Fischfutter verwandelt, wenn sie ihrer Aufgabe nicht nachkommt. Dass der stramme, phasenweise langweilige Heros Will Turner seine Aufgabe nicht erfüllt, scheint unglaubwürdig. Immerhin war er der ewige moralische Gegenspieler zu Sparrows Symbiose aus Trickster und Gestaltenwandler.

    Ähnlich hält es sich mit dem bereits erwähnten Henry Turner und seinem weiblichen „es braucht ja eine weibliche Figur, in die er sich verlieben kann und hey, diesmal machen wir sie auch schlau“ Pendant Carina. Während Will als Charakter im Original einen Handlungsbogen durchlief, von einfachem netten jungen Mann zum Eroberer von Elizabeths Herz, Edelmann und Teilzeitpirat, besteht die einzige Aufgabe des neuen Turners darin Jack nahezulegen was für eine Enttäuschung er sei und hin und wieder mal „Carina!“ zu schreien. Seine Herzdame Carina schwenkt in ihrer Charakterisierung wie ein Segel im Wind hin und her wie es der Plot gerade braucht. Einerseits sucht sich einen mystischen Dreizack, andererseits lacht sie nur ungläubig, wenn die Piraten von Untoten und Geistern sprechen. Und selber hat sich auch Daddy Issues. Natürlich hat sie die, weil sonst bleibt nicht viel Gemeinsamkeit aufgrund derer sich die beiden verlieben könnten. Das sind nicht nur meine Worte, Henry selber sagt ob der fehlenden Väter in ihrem Leben, man habe ja doch mehr gemeinsam als man glaube. Insofern scheint es den Autoren auch egal zu sein, wie sie die Liebesgeschichte aufbauen. Ein bisschen Streiten hier, ein bisschen sehnsüchtige Blicke da, und schon sind sie zusammen. Ist doch egal ob es glaubwürdig wirkt oder nicht.

    Aufgrund der Austauschbarkeit des Liebespaares und der völligen Degradierung Jacks zu einem reinen Saufbold, der nur Stichwörter einstreut, fehlt dem Film letztendlich jeglicher Protagonist. Nicht einmal Barbossa, der seinen üblichen Handlungsablauf von „versucht Jack auszutricksen und verbündet sich mit Feind, merkt das Feind seinen Interessen nicht dient, verbündet sich mit Jack“, gehorsam abspult, ist nur einer von vielen Seitencharakteren in einem uninteressanten Film. An diesem Punkt wäre zu überlegen, ob Jacks dümmliche Piratencrew nicht einen Spin-Off bekommen sollte, da sie wenigstens noch einigermaßen für Unterhaltung sorgt.

    Aber nicht nur in der Charakterzeichnung ist der Plot schlampig. Um möglichst ausgiebig von einer CGI-Szene zur nächsten zu hasten, bleibt Poseidon nicht der einzige Gott der dem Film namentlich seinen Stempel aufdrückt. Der „deus ex machina“, der Gott aus der Maschine, war hier ein beliebtes Mittel um zu vermeiden, dass die Autoren Zeit investieren zahlreiche Handlungsfäden zusammenführen und sich lieber in ausufernden blutleeren CGI-Schlachten am Meer austoben, die die Gesetze der Physik ebenso zu sprengen wie die Holzblanken der Schiffe. Henry und Carinas Zusammenkunft zu Beginn des Films – sie weiß wer er ist aus irgendeinem Grund. Die Schnitzeljagd zum Dreizack? Wie gut, dass Carinas unbekannter Daddy ein Tagebuch mit einer Anleitung geschrieben hat. Und dass Carina Astrophysikerin und Expertin der Zeitmessung ist, Bruckheimers Äquivalent von einer modernen Frau, ist natürlich auch äußerst praktisch. Warum alle Charaktere zu Beginn sagen, der Dreizack sei unmöglich zu finden, ist hier wohl das größere Rätsel als die Suche nach dem Versteck. Henry muss den ihm bisher unbekannten Jack vor der Guillotine retten? Was für ein Glück, dass er off camera weiß wen er anheuern muss. Die Krone geht aber an Shansa, eine unbedeutende Nebenfigur und Hexe. Jack verliert seinen Kompass, kein Problem, sie hat Wege an ihn ranzukommen. Die Briten suchen die entwischten Piraten? Natürlich weiß sie wo sie hinsegeln. Warum Sparrow & Co Shansa nicht selber mitgenommen haben, ist ein weiteres Mysterium des Films.

    Um noch auf Javier Bardem zu sprechen zu kommen, er macht seine Sache gut, ist aber ein wenig interessanter Gegenspieler. Den einzigen Einblick in seine Existenz offenbart ein Flashback, als ihn der junge Jack Sparrow (ein junger CGI-Kopf von Depp auf einem anderen Darsteller, neuerdings ein Standard in der Industrie) austrickst und zu seiner untoten Existenz verdammt. Und überraschenderweise ist das der Film den ich persönlich gerne gesehen hätte. Dieser Jack, der noch gewitzt, mutig und heldenhaft ist, hätte einen viel interessanteren Film abgegeben als der überzeichnete Haufen, den Disney uns noch als Protagonisten verkaufen will.

    Der neue Fluch der Karibik wird mit Sicherheit erfolgreicher sein als Depp/Disneys letzter Flop „Lone Ranger“, dennoch ist auch der neueste Film ein Fossil der 00er-Jahre. In Zeiten, wo (manche) Marvel-Filme dem Kinogeher gezeigt haben, dass man tiefgründig, originell und laut sein kann, ist Jack Sparrows fünftes Abenteuer nur das Äquivalent eines Dopplereffekts, der schnell und laut an einem vorbeizieht, aber auch schnell wieder vergessen ist. Ob Depp sich nach seinem Karriereknick durch diesen Streifen rehabilitieren wird ist fraglich. Brenton Thwaites wird nach „Maleficent“, „Hüter der Erinnerung“ und „Gods of Egypt“ noch weiter auf seinen großen Durchbruch warten müssen (sein Will-Turner-Ersatz-Vorgänger Sam Claflin hatte da mehr Glück). David Wenham hatte generell eine bessere Karriere post-„Herr der Ringe“ verdient, und die unspektakuläre Rolle als Royal Naval Offizier unterstreicht dies wieder. Und Geoffrey Rush? Schwer zu sagen ob er einfach Spaß an den Filmen hat oder das Geld braucht. Auf jeden Fall wäre es Zeit, die Black Pearl endgültig vor Anker laufen zu lassen.
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    (Susanne Gottlieb)
    24.05.2017
    15:38 Uhr
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