Filmkritik zu Der Vorleser

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  • Bewertung

    „Kiss me, Kate!“ auf Deutsch in englischer Sprache

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2009
    Für alle, die es noch nicht bemerkt haben sollten: Kate Winslet ist nicht mit der Titanic untergegangen, sondern dreht derzeit einen bemerkenswerten Film nach dem anderen. War sie zuletzt in „Zeiten des Aufruhrs“ an der Seite ihres Eisberg-Filmpartners Leonardo DiCaprio zu sehen, dürfen wir sie hier als ehemalige KZ-Aufseherin Hannah Schmitz bewundern, die sich in einen jungen Mann verliebt, der vielleicht halb so alt ist wie sie. Die leidenschaftliche Affäre der beiden ist für den jungen Michael (großartig: David Kross) ein für sein ganzes Leben prägendes Erlebnis. Hannahs Unnahbarkeit, ihre strenge Distanziertheit und ihre grausame Vergangenheit als Aufseherin in einem KZ während der NS Zeit mischen sich für ihn mit seinen Erinnerungen an all die Wärme, Nähe, Zärtlichkeit, die sie ihm während dieses einen Sommers Ende der 1950er Jahre schenkte. Selbst Analphabetin, ließ sie sich von ihm bei jedem ihrer erotischen Rendezvous aus Büchern vorlesen, aus Klassikern der Weltliteratur genauso wie aus philosophischen und lyrischen Bestsellern. Michael versteht erst während des Prozesses, in dem sie neben sechs weiteren Frauen die Hauptangeklagte ist, dass sie all die Zeit nicht lesen und schreiben konnte und eher bereit ist, eine Schuld auf sich zu nehmen, für die sie in Wahrheit gar nicht alleine verantwortlich war, als die Schande ertragen zu müssen, nicht lesen und schreiben zu können. Regisseur Stephen Daldry (The Hours) hat den Roman von Bernhard Schlink gekonnt inszeniert und führt sein Ensemble mit viel Gefühl durch alle emotionalen und dramatischen Höhen und Tiefen vorbei an jeder voyeuristischen, schwülen Erotik, in die der Film besonders in der ersten Hälfte schnell abzugleiten droht. Der junge David Kross (Krabat, Knallhart) macht neben der mehrfach Oscarnominierten Winslet in seinem ersten großen internationalen Film ebenfalls eine tadellose Figur, ohne dabei zu einem naiven Jüngling reduziert zu werden, an dessen jugendlichem Körper sich eine reife Frau erfreut, um ihn dann fallen zu lassen, als er beginnt, partnerschaftliche Ansprüche zu stellen. "The Reader" ist ein Film, der trotz seiner vordergründigen Liebesgeschichte bzw. des Dramas der beiden Hauptfiguren auch viele Fragen zur NS Zeit stellt und viele andere Fragen nach wie vor offen lässt. Er ist ein Film, der zu einer Diskussion auffordert über Motive, die Rechtfertigung des Geschehenen und der Folgen für alle Beteiligten bis zum heutigen Tage.
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    (Markus Löhnert )
    06.02.2009
    23:57 Uhr
    http://worteverbinden.at
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