Filmkritik zu Crash

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    Crash Mediabook (Turbine Medien)

    Exklusiv für Uncut
    Vor einigen Jahren, im Sommer 2016, hatte ich das Glück die David-Cronenberg-Ausstellung in Prag besuchen zu können. Zur damaligen Zeit war ich bereits mit einigen seiner Werke vertraut, nämlich „Videodrome“ (1983), „Die Fliege“ (1986), „Crash“ (1996) und „eXistenZ“ (1999). Diese Rezension befasst sich mit „Crash“, Cronenbergs Adaption von J. G. Ballards gleichnamigem Roman von 1973, die kürzlich als Mediabook von Turbine veröffentlicht wurde. Das Mediabook enthält eine 4K-Restauration auf Blu-Ray (inklusive Surround-Sound-Option) mit etlichen Stunden an Bonusmaterial, sowie ein Booklet mit einem Kommentar und einem Aufsatz von Christoph N. Kellerbach und Stefan Jung. Diese Fassung hätte zu keinem besseren Zeitpunkt erscheinen können, den das letzte Mal, dass ich „Crash“ gesehen habe, war vor ungefähr fünf Jahren. Es war also höchste Zeit, dem Film erneut einen Besuch abzustatten.

    James (James Spader) und Catherine (Deborah Kara Unger) sind ein Ehepaar in einer offenen Beziehung, und genießen ihren Sex sowohl zusammen als auch mit verschiedenen Partnern. Ihr Alltag stellt sich auf den Kopf, als James in einen Autounfall verwickelt wird, den er zwar überlebt, aber der ihn doch entscheidend zu verändern beginnt. Diese Nahtoderfahrung wird in einer der berüchtigtsten Szenen des Films einem sexuellen Akt gegenübergestellt, wenn sich James eine Brust der Passagierin des anderen Unfallautos offenbart, als sie versucht, aus dem Fahrzeug auszusteigen. Diese Handlung scheint ihrerseits teilweise zufällig und teilweise beabsichtigt zu sein. Zufällig, weil es das Ziel von Dr. Helen Remington (Holly Hunter) zu sein scheint sich aus dem Sicherheitsgurt zu befreien, und absichtlich aufgrund ihres steten Blickkontakts mit James, sowie der Verspieltheit des Kamerawinkels und des Bildschnitts, die beide suggerieren, dass es sich hierbei um die Entdeckung von etwas Neuem und Aufregendem handelt.

    James und Helen, deren Ehemann bei dem Unglück ums Leben kam, kommen sich nach diesem Erlebnis näher und finden Anschluss an einem Kreis von Menschen, deren Fetisch Autounfälle sind. Dazu gehört nicht nur, an einem Autounfall teilzunehmen, sondern auch Sex mit Menschen zu haben, die durch einen solchen verletzt oder dauerhaft beeinträchtigt wurden, Sex in Autowracks zu haben, erotische Fotos an den Unfallorten zu machen, und so weiter. In der Mitte dieses Kreises befindet sich Vaughan (Elias Koteas). Vaughan könnte als der Philosoph dieses Fetischs beschrieben werden, der das Zusammenspiel von Mechanik und des menschlichen Körpers in einer modernen Gesellschaft propagiert. Er inszeniert Nachstellungen von Autounfällen, bei denen berühmte Personen wie James Dean und Jayne Mansfield ums Leben kamen. Vaughan beschreibt im Film einige Male, was er sich wünscht und wer er ist, aber seine Definition ist stets fließend und entgeht einer präzisen Kategorisierung, was allerdings auch einen Teil seiner Anziehungskraft ausmacht.

    Alle anderen Charaktere haben ihre eigene spezifische Interpretation dessen, was die Beziehung zwischen Autos und Sex für sie bedeutet sowie über ihre Position innerhalb dieser Subkultur. Gabrielle (Rosanna Arquette) verkörpert visuell die Transformation, die der Körper durch diese Unfälle durchmacht, da sie nun gezwungen ist Beinstreben zu tragen und ihr linker Oberschenkel von einer wunderschönen riesigen Narbe geschmückt ist. Ein weiterer Charakter, der regelmäßig auf dem Bildschirm erscheint, ist der Stuntman Colin Seagrave (Peter MacNeill), der Vaughan bei der Ausführung seiner Nachstellungen hilft, aber auch unabhängig davon seiner Faszination nachgeht. James Frau Catherine spielt eine besondere Rolle, weil sie die einzige ist, die diese schöne neue Welt indirekt entdeckt, sie zunächst stellvertretend durch James genießt und eine ewige, fast voyeuristische Beobachterin ist. Die vielleicht interessanteste Szene ist jene, in der sie Sex mit Vaughan hat, der sie mit blauen Flecken auf ihrem ganzen Körper zurücklässt. Dies macht Vaughan zur Metaphor für das Auto, während der Sex die Rolle des Unfalls einnimmt.

    Am Ende des Films können wir uns die Zukunft mancher Charaktere besser vorstellen als jene von anderen. Was wir jedoch über alle wissen, ist, dass sie weiterhin den Nervenkitzel dieses Lebensstils suchen werden, der mit dem Zusammenprall von Körpern und Technologie einhergeht; selbst, wenn sie für diesen Kick mit ihren Leben bezahlen müssen. Ein solches Schicksal wird am Ende nicht als Bestrafung angesehen, sondern als Höhepunkt der Transformation. All dies geschieht vor dem Hintergrund der Stadt Toronto und ihrer regnerischen, trüben und grauen Skyline, die sich jedoch nicht depressiv anfühlt, sondern eher als Vorhang dient, der ihre Geheimnisse vor denen schützt, die diese neue Art der Existenz noch nicht für sich entdeckt haben.

    Wie aus dem Bonusmaterial hervorgeht, war der Casting-Prozess aufgrund der expliziten Darstellung der Sexszenen schwierig. Dies bedeutete, dass viele Schauspieler es ablehnten, an diesem Film mitzuwirken. Dieses Problem trat nicht nur bei der Besetzung der weiblichen, sondern auch der männlichen Schauspieler auf, insbesondere aufgrund einer homosexuellen Sexszene zwischen James und Vaughan. Trotz dieser Probleme ist das endgültige Besetzungsensemble brillant und ohne Schwächen.

    Der Film stieß bereits vor seiner Veröffentlichung auf großen Widerstand, da er aufgrund seiner intimen und expliziten Sexszenen bei Politikern und „moralischen“ Instanzen für viel Kritik sorgte. In Großbritannien etwa wurde der Film einem Psychologen vorgelegt. Erst nach seiner Prüfung durfte er dort, mit Ausnahme einiger Gebiete wie dem Londoner Stadtteil Westminster, veröffentlicht werden. Die Sexszenen selbst sind intensiv, aber nicht pornografisch. Generell kann der ganze Film als eine angenehme und intensive Erfahrung beschrieben werden.

    Dieses Mediabook ist nicht nur für jene gedacht, die gerne restaurierte Versionen ihrer Lieblingsfilme ansehen und ihre Regale mit diesen schmücken, sondern auch ein Fest für alle die gerne tiefer in die Materie Film eintauchen. Dafür bietet das Bonusmaterial eine Fülle von Interviews und zusätzlichen Informationen über die Entstehung dieses Films. Die Gespräche drehen sich gelegentlich auch um weitere Cronenberg-Kreationen wie etwa „Naked Lunch“ (1991). Das längste Extra ist das Filmmaterial, das bei einer Vorführung von „Crash“ auf dem Toronto International Festival (2019) aufgenommen wurde, und ein Gespräch mit Viggo Mortensen und David Cronenberg enthält. Die anderen Interviews sind sowohl mit den Schauspielern als auch mit Mitgliedern des Teams, einschließlich des Kameramanns Pater Suschitzky, des Produzenten Jeremy Thomas, des Musikkomponisten Howard Shore und des Casting-Direktors Deirdre Bowen. Es war interessant die sich leicht voneinander unterscheidenden Ansichten von James Spader und Deborah Kara Unger über die Beziehung zwischen James und Catherine anzuhören. Laut Spader bringt der Unfall das Paar auf eine neue intime Weise zusammen, die nicht so egoistisch ist wie ihre Beziehung vor dem Unfall war, die er als „masturbatorisch“ bezeichnet. Unger scheint ihre Beziehung vor dem Unfall positiver zu interpretieren und weist darauf hin, dass James und Catherine, so wie alle Paare, ihre eigene Routine hatten, wenn auch weniger traditionell.

    Abgesehen von den Interviews war es ein Genuss hinter die Kulissen der Unfälle zu blicken. So sieht man etwa wie ein Assistent Blut auf die Fahrzeuge aufträgt. Ich bin ein großer Fan von derlei Bonusmaterial, da gezeigt wird, wie viel Arbeit bereits in einem Film steckt, bevor die eigentlichen Dreharbeiten beginnen. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie viele Professionen an einem Filmset arbeiten.

    Zusätzlich beinhaltet dieses Mediabook auch folgende Kurzfilme Cronenbergs: The Nest, Camera, und At the Suicide of the Last Jew in the World in the Last Cinema in the World. Während sich „The Nest“ Cronenberg-typisch mit „Body Horror“ befasst und eine Frau zeigt, die sich ihre Brüste entfernen lassen möchte, weil sie glaubt, dass Insekten darin nisten, dreht sich „Camera“ um die Definition eines von der Kamera festgehaltenen Moments, der Funktion der Kamera an sich, den Wert des Moments und wie dieser erlebt wurde. Der letzte Kurzfilm befasst sich mit der Frage der jüdischen Identität sowie des jüdischen Kinos, und zeigt einen Selbstmord, der wie ein Live-Event im Sport von einem Kommentatoren-Duo begleitet wird.

    Das Booklet enthält einen Aufsatz von Stefan Jung, der die Ähnlichkeiten zwischen der Philosophie in „Crash“ und jener des französischen Philosophen Paul Virilio beschreibt. Die wichtigsten gemeinsamen Funktionen sind Geschwindigkeit und Kybernetik. Der Text ist gut recherchiert und bietet einen tiefen Einblick in die Philosophie, die in „Crash“ entdeckt werden kann, wie etwa die Bedeutung der Verwischung der Grenzen zwischen menschlichen und maschinellen Teilen und die Rolle von Prothesen. Christoph N. Kellerbach macht den Leser mit der Geschichte des Films vertraut, einschließlich der Herausforderungen ihn auf die große Leinwand zu bringen. Wir erfahren in diesem Text aber auch mehr über die Schöpfer von „Crash“ (Film und Roman), David Cronenberg und J.G. Ballard. Zusammen ergeben die beiden Texte ein umfassendes Bild von „Crash“, dass das Filmerlebnis durchaus bereichert. Es ist eine wahrhafte Sammleredition.