Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
Wenn man im Zusammenhang mit J-Horror von einer Videokassette hört, denkt man wahrscheinlich sofort an Hideo Nakatas Klassiker „The Ring“ und an ein verfluchtes Videotape, das Tod und Grauen mit sich bringt. In Ryota Kondos Spielfilmdebüt „Missing Child Videotape“ – basierend auf seinem gleichnamigen Kurzfilm aus dem Jahr 2022 - sind Videokassetten ebenfalls zentral, erfüllen jedoch eine ganz andere Funktion: Sie sind kein böses Medium, sondern zeigen familiäre Szenen bis hin zu dem Moment, bevor ein Kind für immer spurlos verschwindet. Dadurch werden sie viel eher zu einer unheimlichen Zeitkapsel, die die Umstände rund um das Verschwinden noch mysteriöser macht.
Vor Jahren verschwand Keitas (Rairu Sugita) jüngerer Bruder Hinata, nachdem die beiden in einem verlassenen Gebäude Verstecken gespielt haben. Als Keitas Mutter ihm eine Videokassette von jenem Tag schickt, sieht er sie zusammen mit seinem Mitbewohner, dem Medium Tsukasa (Amon Hirai), an. Gemeinsam beginnen sie daraufhin, das rätselhafte Verschwinden Hinatas erneut aufzurollen. Parallel dazu beginnt die Journalistin Mikoto (Kokoro Morita) mit ihrer Recherche über den Fall.
Auf den ersten Blick wirkt die Prämisse vertraut: ein verschwundenes Kind; eine Familie, die keine Ruhe findet; Spuren aus der Vergangenheit. Trotz dieser klassischen Ausgangslage war die Erwartungshaltung an „Missing Child Videotape“ hoch, fungierte doch kein Geringerer als Takashi Shimizu („Ju-on: The Grudge“) als Executive Producer. Hinzu kommt, dass Kondo selbst bereits Erfahrung bei genau diesem Franchise gesammelt hat, nämlich als Assistent bei Sho Miyakes Netflix-Serie „Ju-On: Origins“. Dass Kondo als neue J-Horror-Hoffnung gehandelt wird, scheint also fast schon prädestiniert.
Der Film lässt dieses Potential deutlich erkennen, wenngleich es auch nicht vollends ausgeschöpft wird. Während die Atmosphäre durchaus überzeugt, wird die Handlung häufig unnötig in die Länge gezogen, was zu Stockungen und langatmigen Passagen führt. Manche Elemente hätte man sogar komplett streichen können; so etwa die Anrufe des toten Vaters, die der Handlung nichts Wesentliches hinzufügen und eher wie ein billiges Stilmittel wirken.
Die Videokassetten spielen für die Handlung eine zentrale Rolle, aber auch diese werden manchmal etwas zu sehr ausgedehnt. Teilweise funktioniert das zwar ganz gut, weil so das Publikum in die Archivaufnahmen regelrecht hineingesogen werden. Doch sobald die Handlung wieder in die Gegenwart springt, wird deutlich, wie sehr das Erzähltempo des Films darunter leidet und die erzählerische Dynamik unterbrochen wird.
Auch das Ende erscheint recht unbefriedigend; vieles wird bis zum Schluss nicht erklärt, obwohl der Film lange den Eindruck erweckt, genau darauf hinzuarbeiten. Auf atmosphärischer Ebene überzeugt Kondos Debüt jedoch, gerade durch seine düstere Bildsprache, die von Nachtaufnahmen, dunklen Wäldern und finsteren Innenräumen geprägt ist. Getragen wird dies außerdem durch einen stimmigen Cast. Hauptdarsteller Rairu Sugita bleibt mit seiner Mimik stellenweise zwar etwas schwer lesbar, dafür sticht Amon Hirai durch seine nuancierte Darstellung hervor.
Alles in allem erweist sich „Missing Child Videotape“ als passables Spielfilmdebüt, das neugierig macht, was man noch in Zukunft von Kondo erwarten kann. Viele Elemente sind noch ausbaufähig, doch sein Gespür für atmosphärische Dichte ist unverkennbar.