Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
Ein folgenschwerer Fehler macht einer Gerichtsvollzieherin schwer zu schaffen und lässt sie nach Antworten suchen, die ihr auch Familie, Freunde und andere nicht geben können. Bissige Sozialsatire von Radu Jude.
Der rumänische Filmemacher Radu Jude ist seit einigen Jahren Stammgast auf der Berlinale. Mit „Kontinental ´25“ erhielt er seine vierte Einladung in den Hauptwettbewerb – 2015 gewann er für „Aferim“ den Silbernen Bären für die Regie, 2021 dann den Goldenen Bären für seine schwarze Komödie „Bad Luck Banging or Loony Porn“. Außerdem lief 2009 „The Happiest Girl in the World“ im „Forum“. Dieses Jahr schickt er sich also wieder an, im Rennen um die Wettbewerbspreise eine wichtige Rolle zu spielen. Oder etwa nicht? Lasst es mich so ausdrücken: Jein.
Zu Beginn des Films begleiten wir den obdachlosen 62jährigen Ion Glanetasu (Gabriel Spahiu) – der, wie wir später erfahren werden, früher mal ein erfolgreicher Leichtathlet war, der durch Alkohol und Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen wurde – wie er pöbelnd und bettelnd durch die Straßen von Cluj, der inoffiziellen Hauptstadt der rumänischen Provinz Transsilvaniens, taumelt. Er hat Zuflucht in einem Kellergewölbe gefunden, von dem er aber schon sehr bald wieder delogiert werden muss, weil das Gebäude abgerissen wird und einem neuen Hotel weichen muss. Die fürs Prozedere zuständige Gerichtsvollzieherin, die ungarisch-stämmige Orsolya Ionescu (Eszter Tompa), agiert ihm gegenüber zwar sehr verständnisvoll, kann aber trotzdem nicht verhindern, dass sich Ion aus Verzweiflung mit einem Draht an einem Heizkörper erhängt. Die Gewissensbisse ob dieser Tragödie und die Hassnachrichten, die in sozialen Medien an sie adressiert werden, nagen schwer an ihr und sie lässt ihren Mann und die Kinder kurzerhand alleine in den Griechenlandurlaub reisen, während sie sich von ihrer Mutter, Freunden, ihrem ehemaligen Studenten Fred (Adonis Tanta), der die meiste Zeit Zen-Weisheiten zum besten gibt und einem Priester erlösende Ratschläge erhofft.
Jude drehte seinen Film innerhalb von nur elf Tagen auf einem iPhone. Der Titel, wie auch die Ästhetik des Films, ist dem italienischen Neorealismus nachempfunden, speziell Roberto Rossellini und sein Film „Europa ´51“, der auch einige thematische Parallelen aufweist. Mehr als noch als nur eine tragikomische Odyssee einer Frau, die ihre Verstrickung in eine durch bürokratische Mühlen herbeigeführte menschliche Tragödie verarbeiten muss, ist „Kontinental ´25“ auch eine bissige Politsatire, die die historisch schwierigen Beziehungen zwischen Ungarn und Rumänien wegen der Staatszugehörigkeit Transsilvaniens und der daraus entstandenen Ressentiments der Rumänen gegen die Ungarn thematisiert. Über weite Strecken verliert sich der Film in minutenlangen Einstellungen regelrecht in hitzige politische und philosophische Diskussionen, die einige Zuschauer überfordern und erschöpfen können. Man kann zwar erahnen, worauf Jude im Kern eigentlich hinauswill, und seine Sozialsatire ist so bissig wie eh und je, aber das Drehbuch hätte durchaus eine grundlegende Straffung gebraucht.
Die Darsteller sind dafür sehr gut und schaffen es, die dialoglastigen Szenen mit gutem komödiantischem Timing am Laufen zu halten, wobei hier natürlich die Hauptdarstellerin Eszter Tompa besonders zu loben ist, bekommt sie doch eine sehr anspruchsvolle Rolle aufgetragen. Sie kann die Verzweiflung ihrer Figur Orsolya sehr gut spielen und man merkt auch nach dem wiederholten Male, wenn sie einem anderen Leinwandpartner ihr Dilemma erklärt, dass es ihr sehr nahe geht.
„Kontinental ´25“ ist, wie die Filme, von denen er inspiriert ist, ein politisch brisantes und brandaktuelles Werk, das die Zustände in der rumänischen Gesellschaft schwarzhumorig illustriert. Nicht leicht zu verdauen, bietet Jude dennoch knapp zwei durchaus erhellende Stunden – wenn man sich ein paar der Zen-Witze merken konnte.