Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
Ein junger Mann, der beruflich und privat in eine emotionale Krise stürzt, findet durch die Begegnungen mit alten Freunden wieder aus seinem Tief heraus. Brisante Charakterstudie über fehlende Ambition und scheiternde Lebensentwürfe.
Man hört es dieser Tage immer wieder: die jungen Menschen wollen einfach nicht arbeiten. Also die Form von Arbeit, bei der man die Ärmel hochkrempelt und sich gelegentlich die Hände schmutzig macht. Möglichst einfach soll der Job sein, aber immer noch genug Geld abwerfen, um sich einen hohen Lebensstil leisten zu können. Millennials und besonders Kohorten der Generation Z wird dies gerne zu Vorwurf gemacht.
Ari (Andranic Manet) könnte man durchaus auch als gemütlichen Zeitgenossen wahrnehmen. Der 27-jährige Franzose arbeitet als Grundschullehrer, ist aber mit dem Unterricht und den ständig quengelnden Kindern dermaßen überfordert, dass er vor versammelter Klasse zusammenbricht. Später kündigt er seinen Job. Sein Vater, der sich sein ganzes Leben abgerackert hat, hauptsächlich für Ari, reagiert verständnislos und setzt den Sohn vor die Tür. In der Folgezeit kommt er bei einigen alten Freunden unter, muss aber schmerzvoll erkennen, dass es auch in ihrer Leben nicht immer rund läuft. Da ist zum Beispiel seine Bekannte Clara, die ob der derzeitigen Situation in der Weltpolitik sehr pessimistisch gestimmt ist und Ari damit noch mehr verunsichert. Sein Jugendfreund Jonas hat dafür Karriere gemacht, die eher dem Nepotismus geschuldet ist, und wirkt auch sonst sehr aufbrausend. Später übernachtet er auch noch bei seinem guten Freund Ryad, der immer noch gut mit Aris Exfreundin Iréne befreundet ist, die Ari einst verließ, als sie schwanger wurde. All diese Begegnungen lassen Ari einen schmerzhaften Reifeprozess durchleben, und die Frage nach dem großen Lebenssinn.
Ich würde den Film weniger als Kritik an der mangelnden oder gar fehlenden Arbeitsmoral jüngerer Generationen verstehen, auch wenn die Diskussionen zwischen Ari und seinem Vater durchaus eine generationelle Kluft erkennen lassen. „Ari“ ist vielmehr der Versuch, eine ehrliche Charakterstudie über einen umherdriftenden und sich seiner Verantwortung ihm selbst und Freunden und Familie gegenüber nicht gänzlich bewusst ist.
Regisseurin und Drehbuchautorin Léonor Serraille inszeniert ihr Drama sehr nahbar, mit vielen Close-Ups, die die Verzweiflung der Hauptfigur fast schon wie unter einem Mikroskop betrachtet. Sie nutzt die verschiedenen Figuren, um durch sie den Pessimismus auf den Beruf, das Leben und die Weltsituation allgemein darzustellen, den besonders jüngere Generationen mittlerweile sehr stark hegen. In Aris Freundeskreis prallen verschiedene Lebensentwürfe aufeinander.
Jungschauspieler Andranic Manet gelingt es, seine Figur glaubhaft und sympathisch zu spielen, er erinnert mich nicht nur optisch an seinen belgischen Schauspielkollegen Matthias Schoenaerts, der bereits in ähnlichen solchen Rollen, wie z.B. an der Seite von Marion Cotillard in „Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012) überzeugen konnte. Manet bringt eine gewisse Sensibilität zu Ari, die in intensiven Momenten nie ins übermäßig Melodramatische abdriftet. Es gelingt ihm, mit nuanciertem Spiel die Unsicherheit und mentale Instabilität der Hauptfigur spürbar werden zu lassen. Man darf auf die weitere Karriere dieses jungen Mannes gespannt sein.
Léonor Serraille legt eine gelungene charakterliche Studie eines von seinem Beruf desillusionierten jungen Mannes vor, deren Entwicklung aber gegen Ende hin nicht ganz schlüssig aufgelöst wird. Nichtsdestotrotz funktioniert das Drama, auch dank des Drehbuchs und Manets Spiel, als Warnschuss und Weckruf für jüngere Generationen, ihre Verantwortung im Beruf und im Leben endlich ernst zu nehmen.