Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
Das ist „Köln 75“ von Ido Fluk. Eine Loblied an Jazz und die Kunst, und an Konzerte und all die, die sie ermöglichen.
Vera Brandes (Mala Emde) geht mit 16 Jahren noch zur Schule. Die Abende verbringt sie in Clubs, Bars und sogar Eisdielen. Egal, Hauptsache da wo gerade Musik gespielt wird. Als ihr eines Tages ein Musiker anbietet für sie eine Tour zu organisieren, wittert sie ihre große Chance mit ihrer Leidenschaft Geld verdienen zu können. Besonders ihr Vater (Ulrich Tukur) hat da aber entschieden was dagegen. Er hätte viel lieber, dass sie was anständiges macht, wie er in seiner Zahnarztpraxis. Davon lässt sie sich nicht einschüchtern und bald schon hat sie einen noch viel größeren Fisch an der Angel: Keith Jarrett (ein magnetischer John Magaro), den legendären Pianisten, der für Miles Davis spielte, und von dem sie ein großer Fan ist. Schnurstracks setzt sie sich in den Kopf, ihn in die Oper zu holen. Das „Köln Concert“, sollte später als die meistverkaufte Solo-Jazzplatte aller Zeiten in die Geschichte eingehen. Doch bis dahin, war es ein steiniger Weg...
In Ordnung, „False Start“ (ein Begriff aus der Musikindustrie, den der Film äußerst humorvoll erklärt). Ohne Musik ist selbstverständlich gelogen, wird der Film doch von einem absolut fantastischen Soundtrack angetrieben. Aber vom titelgebenden Konzert, fehlt im Endprodukt wirklich jede Spur. Keith Jarrett wollte dieses nicht noch weiter promoten und verweigerte seine Erlaubnis, es zu verwenden. Also mussten die Filmemacher improvisieren. Um Improvisation geht es schließlich in Jarretts Musik. Und in der Kunst. Kunst entstehe oft, wenn man vor Problemen steht und sie bewältigen muss, so Fluk. Wie wenn man plötzlich draufkommt, dass das falsche Klavier dasteht. Dieser Film sei sein Klavier.
Mit meiner kleinen Lüge zu Beginn stimme ich übrigens direkt denselben Ton an wie der Film. Über historische Akkuratesse wird oft diskutiert wenn es um Geschichten geht, die auf wahren Begebenheiten basieren. Noch nie war es aber in einem solchen, derart unwichtig was wirklich und was gar nie passiert ist. Nach einer eher längeren Episode mit Keith Jarrett und einem Musikjournalisten (Michael Chernus sehr sympathisch) gesteht dieser einfach beinhart, dass nichts davon je stattgefunden hat. Hätte es trotzdem genauso gut. Um das Konzert ranken sich seit jeher Legenden, und Fluk kreiert einfach seine eigene.
Die Idee hinter dem Film war es schließlich, all die kleinen Puzzleteilchen in den Vordergrund zu rücken, die ineinander greifen mussten, damit dieses legendäre Meisterwerk erst entstehen konnte. Und diese Puzzleteilchen sind Menschen. Wie zwei Klaviertechniker, die in Rekordzeit einen Flügel reparieren müssen. Oder ein Produzent (Alexander Scheer), der die Nacht aus der Schweiz nach Deutschland durchfährt. Oder eine junge Promoterin. Ohne Vera Brandes kein Köln Concert. Mala Emde, die selbst früher in Jazzclubs ihre Zeit verbrachte, hat von ihr gelernt, hat sie interviewt und hat ihr zahlreiche kleine Anekdoten entlockt, die so oder so ähnlich im Film gelandet sind. Ohne Mala Emde eben auch kein „Köln 75“. Und mit Ulrich Tukur hat sie als Veras Vater einen hervorragenden Gegenspieler.
Das regelmäßige Durchbrechen der vierten Wand, der Schnitt, der Soundtrack, das alles verleiht dem Film eine Dynamik, die selbst einem Improvisationskonzert gleicht. Das Fehlen von Struktur ist auch Jazz. Wenn beispielsweise Vera Brandes in der Mitte des Films komplett von der Bildfläche verschwindet und der Fokus plötzlich nur auf Keith Jarrett liegt, dann fühlt sich das zwar erst einmal total falsch an, doch je weiter wir in seine Episode eintauchen, desto klarer wird, auch sie trägt zum großen Ganzen bei.
Am Ende lädt „Köln 75“ zum Träumen ein. Davon, was möglich ist, wenn man nur hart dafür arbeitet. Davon, was man erreichen kann, wenn man mit den richtigen Leuten zusammenarbeitet. Und davon, dass man nie aufgeben sollte, egal wie schlecht es auch stehen mag: Denn niemand, wirklich niemand sollte Zahnharzt werden müssen.