Filmkritik zu Happyend

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Nuanciertes Erwachsenwerden zwischen Regeln und Rebellion

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    „Happyend“ ist der erste Langfilm von Neo Sora, der bisher für Musikvideos, Kurzfilme und Dokumentationen (etwa „Ryuichi Sakamoto: Opus“ über das letzte Konzert seines Vaters) verantwortlich zeichnet. Für sein Spielfilmdebüt hat sich der gebürtige Amerikaner, der in den USA und in Tokio aufgewachsen ist, für die Großstadt in Japan als Schauplatz entschieden. Beim Q&A auf der Viennale hat er mehr über die lange Entstehungsgeschichte verraten: Die Story ist zwar nicht autobiografisch, trotzdem hat er sich von seinen Freundschaften auf der Highschool und im Studium inspirieren lassen. Die ‚Jenga‘-Partien sind, so Regisseur und Drehbuchautor Sora, ein echtes Detail, das in den Film gefunden hat.

    Coming-of-Age in turbulenter Zukunft

    Sora verwendet für „Happyend“ die Folie der Coming-of-Age-Geschichte. Er folgt einer Gruppe von Freund*innen auf ihrem Weg zum Highschool-Abschluss. Das Kernthema macht den Film etwas vorhersehbar, typische Elemente lassen nicht lange auf sich warten. Trotzdem gibt es viel Potenzial für spannende Entwicklungen, denn es ist eine besondere, aufgeladene Zeit: Wer weiß, was nach der Schule wartet. Das Highschool-Setting ist zudem ein Element, das in beiden Kulturen populär ist. „Happyend“ ist allerdings weit weg von den typischen US-Jugend-Komödien und Schul-Musicals, die auch den europäischen Markt überschwemmen („Eine wie keine“, „High School Musical“, „Girls Club - Vorsicht bissig!“, „The Kissing Booth“ …). Weniger kitschig, weniger bunt, weniger schrill, weniger laut, mehr tiefgründiges Drama, aber auch mit leisem Humor.

    Dystopische Vision, unangenehm nahe an der Realität

    Für mehr Tiefgang sorgt vor allem das ernsthaftere Setting. Soras Film ist in der nahen Zukunft angesiedelt. An der Schule gelten strenge Regeln, alles wird bald von Hightech-Software überwacht. Schlechtes Benehmen wie Rauchen, (nicht einmal echtes) Knutschen oder Ähnliches wird mit Minuspunkten bestraft. Etwas unheimlich ist das schon, Gesichtserkennung ist ja keine reine Fantasie mehr.

    Das Erdbeben oder alles für die Sicherheit

    Regisseur Sora hat sich von historischen Erdbeben und Katastrophen wie Fukushima inspirieren lassen, vor allem von der Handhabung durch Behörden. So zieht ein drohendes Erdbeben immer strengere Maßnahmen mit sich. Alles im Namen der Sicherheit. Wieder so eine Erklärung für harte Gesetze, die kaum entfernt von der Gegenwart ist …

    Typischer Highschool-Prank oder schon Terrorismus?

    Just in der Atmosphäre der Unsicherheit vor dem drohenden Erdbeben spielen die besten Freunde Yuta und Kou dem Direktor einen typischen Streich: Sein gelber Luxusschlitten parkt eines Morgens senkrecht. (Wie das genau vonstattengeht, wird leider nicht verraten.) Der harmlose Jux wird als terroristischer Akt gelesen. Die Highschool gleicht bald einer Hochsicherheitszone. Die Schüler*innen müssen kreativ werden, um sich Freiräume zu schaffen. Mit viel Humor zeigt Sora, wie Schlupflöcher gesucht oder die Überwachungs-Waffen gegen das Schulpersonal verwendet werden. Auf der visuellen Ebene bleibt ebenso die Verwendung der so streng geregelten Abschlusszeremonie als Bühne der Auflehnung hängen.

    Resignation oder Rebellion?

    In der aufgeheizten Zeit wird Freiheit knapp. Die Situation spitzt sich zu, die Jugend ist gefordert. Es gibt nur zwei Haltungen: Resignation oder Rebellion. Beide sind richtungsweisend für die Zukunft. Beide haben ihre Konsequenzen. Wenn niemand etwas unternimmt, kann sich nichts ändern. Auflehnen ist aber auch gefährlich. Die gewichtige Entscheidung droht, den Freundeskreis zu spalten.

    Alltagsrassismus gegenüber Nicht-Japaner*innen

    Dringlichkeit und Tiefe gewinnt „Happyend“ in Szenen, in denen Sora den Alltagsrassismus seziert. Wird gegen Regeln verstoßen, schaut der Direktor zuerst bei jenen Jugendlichen, die aus Korea kommen. Herabwürdigungen stehen an der Tagesordnung. Besonders im Gedächtnis bleibt, wie ein Offizier der Selbstverteidigungsstreitkräfte fast die Hälfte der Klasse hinausschickt, weil nur Japaner*innen seinem Vortrag – wohl Werbung – lauschen dürfen. Wieder so ein Element, das unangenehm an den Umgang mit Fremden oder Andersdenkenden in der Gegenwart erinnert.

    Happyend oder nicht?

    Sora konzentriert sich für seine Geschichte trotz aller sozialen und politischen Kritik auf die persönliche Verbindung der besten Freunde Kou und Juta. Die beiden eint eine lange Bekanntschaft und die Leidenschaft für Musik. Die Zuspitzung der Kontrolle an der Highschool zeigt ihnen allerdings langsam, aber unerbittlich, dass sie doch verschieden sind. In diesen leisen Momenten, in denen die Freundschaft zelebriert, später Distanz entsteht und über die (Un-)Möglichkeit dieser Verbindung reflektiert wird, kommen die Emotionen an. Auch wenn man kein Japanisch spricht und im Original auf die Untertitel angewiesen ist.

    Nicht ständig relevant

    Viele Szenen, in denen die Clique miteinander spielt und herumalbert, sind zwar nett anzuschauen, aber wenig abwechslungsreich. Oft scheinen sie wahllos eingestreut. Es tut sich kaum Weltbewegendes beim Herumgammeln, nicht einmal in den Dialogen; mit Ausnahme von den drohenden Abschieden vielleicht. Und das, obwohl zu Beginn eine große Veränderung angekündigt wird, mit feierlicher dramatischer Musik untermalt. Der Fokus auf jene Begebenheiten, die diese Veränderungen einläuten beziehungsweise sie vorstellen, hätte gutgetan.

    Geduld ist gefragt

    „Happyend“ ist kein Film, in dem ständig etwas passiert. Man braucht viel Geduld, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt, die soziopolitischen Aspekte spannend herausgearbeitet werden. Es dauert, bis klar wird, dass sich ebenso die persönlichen Beziehungen zuspitzen. Viele Alltagsszenen von Unternehmungen der Clique sind eh nett, aber nicht mehr. Sie sind austauschbar, werden schnell vergessen. Packend ist Soras Langfilmdebüt nur in den ganz persönlichen Momenten zwischen Kou und Juta und in jenen Situationen, die unangenehm an die Gegenwart erinnern, obwohl sie in der Zukunft spielen. Unterhaltsam, wenn die rebellierenden Schüler*innen kreative Wege zur Auflehnung finden.
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    (Ursula Rathensteiner)
    20.10.2024
    23:17 Uhr
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