Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
Wird bei der Ankündigung beim Slash-Filmfestival damit geworben, dass der Regisseur sein Ziel nicht erreicht hat, dann ist das schon bemerkenswert. Miguel Llansó wollte (angeblich) seiner Frau mit „Infinite Summer“ beweisen, dass er nach „Jesus shows you the Way to the Highway“ auch einen normalen Film drehen kann. Vertraut man der Meinung, dass er kläglich gescheitert ist, dann muss man sich wohl auf etwas Irres gefasst machen.
Erwachsenwerden im Haus am See
Llansó schreibt sich am Anfang des Films erst einmal in ein bekanntes Schema ein. Teenagerin Mia muss ihren Weg erst finden, zu einer Frau reifen. Ihre – oberflächlich betrachtet – Freundinnen Grete und Sarah stehen ihr zur Seite. Sie feiern gemeinsam den Sommer in einem Haus am See. Es ist ein bedeutender Sommer, denn Mia muss über ihre Zukunft entscheiden.
Graue Mäuse haben es schwer
Gleich zu Beginn tun sich Gräben zwischen den Freundinnen auf. Llansó arbeitet diese auf allen Ebenen heraus, bringt Zuseher*innen nah an Mias Perspektive. Sie ist die graue Maus in der Runde, mit ihren Stirnfransen weniger attraktiv als die blonde Grete oder als Sarah mit ihren Traumlocken; ein Landei noch dazu. Bei vielen Themen kann Mia mit ihren ‚unschuldigen‘ Leidenschaften nicht mitreden. Eine gewisse Distanz und Konkurrenz-Situation unter den jungen Frauen durchziehen die Geschichte. Der Druck auf Mia, zu den Erwachsenen dazuzugehören, wächst.
Dating- und andere Experimente
Über eine Dating-App, die Matches als Hologramme ins Wohnzimmer holt, lernen die Mädels den Esoterik-Guru Dr. Mindfulness kennen. Er versorgt zuerst Mia, dann auch die anderen, mit einer speziellen Maske, die über eine App eine besonders positive Meditationstechnik bietet. Hightech-Antidepressiva, die für Good Vibes sorgen. Der Rauch, den das Gerät freisetzt, führt schnell auf eine andere Bewusstseinsebene. Die Mädels experimentieren immer weiter. Frei nach dem Motto: Was sich so außergewöhnlich gut anfühlt – ja, das Orgasmusklischee wird nicht ausgespart, kann ja nur gut sein.
Interpol jagt den Rauch als letzter Baustein der dünnen Geschichte
Ein Team von Interpol, zwei etwas seltsame, aber immerhin professionelle Ermittler*innen, ist Möchtegern-Guru Dr. Mindfulness bald auf den Fersen und damit auch den Mädchen; mehr Geschichte gibt es nicht …
Hände aus scheinbar fließendem Rauch
Llansós „Infinite Summer“ setzt stark auf die Kraft der Fantasie-Bilder. Mit einem Hang zum Fetischismus lässt er die Halluzinationen von Händen und Säulen aus Rauch einfangen, die die Verwendung der Maske produziert. Weniger spektakulär, dafür erzählerisch pointiert sind die Gesprächs- und Partyszenen mit den jungen Leuten ins Bild gesetzt.
Karikatur oder Ernst
Recht unterhaltsam sind die Beziehungsdynamik und Mias Schwierigkeiten, so ‚erwachsen‘ und cool wie die anderen zu sein, inszeniert. Über so manche Eskapaden oder Gesprächsthemen der Jugendlichen kann man – als Erwachsene*r – schmunzeln. Genial ist das Gesamtporträt von Dr. Mindfulness: ein Typ mit langen Haaren, nicht sonderlich attraktiv und gekleidet mit einem unmodischen, aber auffälligen Hemd, wie man es sich bei einem Esoterikheini wahrscheinlich vorstellt. Als Karikatur gelesen funktioniert das Gesamtkunstwerk wunderbar; wenn da nicht das Ende wäre, das die Interpretation als reine Persiflage ankratzt. Und: Warum man als Mädchen/Frau diesen durch und durch schrägen Vogel in einer Dating-App matcht, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Erklärungen gibt der Regisseur aber ohnehin kaum. Ob man seinen Film versteht, etwas mitnehmen kann, scheint ihm egal zu sein.
Abgleiten par excellence
Llansó beginnt seine Coming-of-Age-Geschichte mit nuancierter Beobachtung. Ab dem Auftritt von Dr. Mindfulness und seiner Maske, nimmt er den Fokus von den Figuren. Sie verschwinden mit Fortdauer der Experimente immer mehr als individuelle Personen; hinter dem Rauch. Alles gleitet Richtung Esoterik und Transzendenz ab. Pseudophilosophische Spielereien, die sich zunehmend wiederholen.
Dank der Vorwarnung ist die Enttäuschung, dass der Regisseur für „Infinite Summer“ den Titel weniger emotional-metaphorisch interpretiert und den Fokus auf abgehobene Transzendenzfantasien statt auf die komplexen Themen des Erwachsenwerdens legt, nicht allzu groß. Man muss sich auf solche Spielereien einlassen können, ohne sie zu viel zu hinterfragen, um den Film so richtig genießen zu können. Sonst ist man froh, dass er nicht unendlich lang ist.