Filmkritik zu Slumming

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  • Bewertung

    Brachial - Kompromisslos - Grenzgenial - Made in: Austria !!!

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2006
    Der österreichische Film lebt! Und zwar wirklich und ohne Zweifel und er kann sich selbst auf einem internationalen Festival wie hier in Berlin mit seinen Mitbewerbern durchaus messen! Angesichts jüngster Erfahrungen hatte ich ja schon meine Zweifel gehabt, aber seit heute Nachmittag bin ich wieder versöhnt: in seinem neuesten Spielfilm nach "Nacktschnecken" liefert uns der gebürtige Grazer Michael Glawogger ein weiteres, schonungsloses Bild Österreichs, wie es uns wohl nicht jeden Tag bewußt ist. Aber diesmal geht er weit über die Grenzen der Grazer Studentenszene hinaus: Wien, Znaim und Asien sind die Schauplätze der Handlung. Sebastian, ein Berliner aus reichem Hause wohnt in Wien bei seinem Freund Alex und vertreibt sich den Tag damit, sich über Internet mit Frauen zu verabreden, die er unbeobachtet unter den Rock fotografiert und deren Psyche zu Tode analysiert. Immer wieder kommen Alex und Sebastian auf die verrücktesten Ideen, stets auf Kosten anderer Leute. Dazu gehört es auch, sich in den heruntergekommensten Beiseln über die gestrandeten Existenzen lustig zu machen ("Slumming").

    Eines Abends finden sie am Wiener Westbahnhof einen betrunkenen Sandler und beschließen, ihn in einer Nacht- und Nebelaktion nach Tschechien am Bahnhof von Znaim abzusetzen. Für Sebastian ist das Ganze nichts als ein großer Spaß, Alex hat jedoch immer stärkere Gewissensbisse. Als schließlich Pia, eine der Online-Kontakte Sebastians, in die er sich jedoch unsterblich verliebt hat, davon erfährt, beschließt diese, den Obdachlosen zu suchen und droht damit, die Polizei einzuschalten. Das Leben, wie es die beiden bisher gekannt hatten, ist schlagartig zu Ende ...

    Es ist die, wie Michael Glawogger im Interview sagt, "neue europäische Realität", bei der Landes- und Kulturgrenzen verschwimmen, die eine solche Konstellation wie in seinem Film überhaupt erst möglich macht: wir können uns überall niederlassen, unser Zuhause ständig neu definieren und sind aber schlagartig wieder fremd, in unserer eigenen Stadt, wenn wir über ihre glänzenden Fassaden hinaus blicken. Und wie verloren sind wir erst, wenn wir gegen unseren eigenen Willen in einer wildfremden Stadt ausgesetzt werden ...

    Für den österreichischen Film hat Glawogger mit seinem neuen Film ein ganz starkes Lebenszeichen gesetzt, das zweifellos nicht nur auf der Berlinale für Aufsehen sorgt, sondern auch das Potential hat, in Österreich ein großes Publikum zu begeistern und den Beweis liefert, dass es in Österreich ein großes Potential an kreativen Filmschaffenden gibt, die nicht nach Frankreich auswandern müssen, um von sich hören zu machen: das Drehbuch ist ohne Übertreibung einfach genial, die Dialoge sind trotz ihrer Deftigkeit und Grobschlächtigkeit wahr(haftig). Und zu Guter letzt erleben wir eine Besetzung in Höchstform : Paulus Manker als tragischer Alkoholiker am Rande der Gesellschaft, August Diehl als "Gstopfter" Sebastian ohne jegliche Moral, Michael Ostrowski als Alex, der viel zu viel Spaß hat, um die Grenzen rechtzeitig zu erkennen und Pia Hierzegger in der Rolle der nur scheinbar langweiligen Volksschullehrerin.

    Uneingeschränkt sehenswert und ein heißer Tipp für einen der goldenen Bären hier in Berlin!
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    (Markus Löhnert )
    10.02.2006
    23:43 Uhr
    http://worteverbinden.at
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