Filmkritik zu In Ukraine

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Bilder des Krieges

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Es gibt keine Worte, die den Krieg beschreiben könnten. Genauso wenig lassen sich die Ereignisse eines Krieges in eine perfekt strukturierte Erzählung pressen. Daher verzichtet der polnische Dokumentarfilm „In Ukraine“ auf beides. Die Regisseure Piotr Pawlus und Tomasz Wolski geben ihrem Film weder eine Voice-Over-Erzählstimme noch Protagonist*innen, denen wir folgen und anhand derer eine Geschichte erzählt werden könnte. Stattdessen setzen sie auf die Kraft der Bilder, um sich dem Leid zu nähern, dem die ukrainische Bevölkerung im russischen Angriffskrieg seit einem Jahr ausgesetzt ist.

    Es sind statische Bilder, lange Einstellungen, ohne Musik oder viel Bewegung, die uns präsentiert werden. Nur selten wird gesprochen, manchmal dringen einige Gesprächsfetzen zu uns durch. Die Bilder zeigen die Folgen, die der Krieg für die Menschen in der Ukraine hat. Sie offenbaren das Ausmaß der Zerstörung und gleichzeitig die Absurdität, die jeder Krieg darstellt. Diese Dualität wird zum Beispiel im Bild eines Spielplatzes deutlich, in dessen Hintergrund zerbombte Häuserblöcke leerstehen. Oder in den Szenen, in denen eine Gruppe an Kindern verschiedene Kriegssituationen nachspielt. Auf die Spitze getrieben wird das surreale Element des Krieges in den Einstellungen, die Menschen für Handyfotos vor zerstörten Panzern posierend zeigen.

    Bei den eindrucksvollen Bildern, die „In Ukraine“ bietet, stehen vor allem die Menschen (und manchmal die Tiere) im Vordergrund, die ukrainische Bevölkerung, die unter dem Krieg leidet. Der Film verzichtet völlig auf die Inszenierung großer Männer, die den Krieg führen, und fokussiert sich stattdessen auf die Menschen, die von ihm betroffen sind. Die Kriegshandlung selbst sind die meiste Zeit nur zu erahnen. Wir sehen keine Heere, die aufeinandertreffen, nur die Überreste und die Zerstörung, die die Panzer und Bomben hinterlassen haben. Und die Menschen, die die Angriffe überlebt haben und nun mit dem Verbarrikadieren von Fenstern und dem Austeilen von Hilfspaketen beschäftigt sind. Die Bedrohung ist dennoch permanent zu spüren, in der Distanz sind Bombeneinschläge hörbar. Und schließlich bleibt „In Ukraine“ nicht bis zum Ende konsequent in seiner humanistischen Fokussierung auf das menschliche Leid. Eine gewisse räumliche Annäherung an die Kriegshandlungen und ein Fahnenmeer, dem ein leicht nationalistisches Pathos innewohnt, gibt es dann doch noch, aber das sind nur kurz aufblitzenden Momente, die auch gleich wieder zum eigentlichen Fokus zurückkehren. Das letzte Bild gehört dann wieder allein denen, die unter dem Krieg leiden.

    „In Ukraine“ ist eine sehenswerte Dokumentation, die in ihrer zurückgenommenen Klarheit nicht nur etwas über das Leben im Krieg, sondern auch etwas über die Kraft der Bilder aussagt.
    profilbild_6ef5680d5b.jpg
    (Hans Bonhage)
    19.02.2023
    19:55 Uhr