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    Lust auf Leistung?

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Benjamin Raich, Gregor Schlierenzauer, Martin Koch, Stefan Eberharter, Stefan Kraft, Mario und Michael Matt, Katharina Liensberger, Tina Weirather, Manuel Feller. Diese Liste an erfolgreichen Wintersportler*innen ließe sich fast beliebig lange fortführen. All diese Olympia-, WM-, und Weltcup-Medaillengewinner*innen verbindet eins: Sie waren Schüler*innen des Ski-Internats Stams. Grund genug für Bernhard Braunstein, in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm einen Blick hinter die Kulissen des Internats zu werfen und den Schulalltag einiger Sportler*innen zu verfolgen, die in einigen Jahren vielleicht auch in einer solchen Auflistung ihren Platz finden werden.

    Ein Schuljahr lang folgen wir dem Schul- und Trainingsalltag der jungen Athlet*innen, die sich auf Wettkämpfe oder Prüfungen vorbereiten, sich von Verletzungen erholen, in ihrer Freizeit „Germanys Next Top Model“ schauen oder Beachvolleyball spielen. Sie setzen sich Ziele, die nicht hoch genug sein können. Ihre Körper und deren Leistungsfähigkeit werden von Menschen und Maschinen genauestens gemessen. Obwohl der eiserne Wille gepredigt wird, bleibt da immer ein Zweifel, das Wissen, dass es am Ende eben doch nicht reichen könnte.

    Öffnet man die Website des Skigymnasiums Stams, liest man als erstes: „Lust auf Leistung“. Gemäß diesem Motto predigt auch der Pfarrer im Gottesdienst, der den Film und das Schuljahr eröffnet. Zwar seien alle Menschen in ihrer Würde gleich, keinesfalls aber in ihren Talenten. Und weil die vor ihm sitzenden (und mäßig interessiert dreinblickenden) Schüler*innen nun mal so übermäßig talentiert seien, dass sie in Stams aufgenommen wurden, sollen sie doch bitte jetzt auch wirklich alles geben.

    Es ist die große Stärke des Films, dass er dieses Leistungsideal mit seinen präzise beobachtenden Bildern permanent anzweifelt. Ruhig betrachtet Serafin Spitzers Kamera die Schüler*innen, während sie Vorträgen über Doping und Sportverletzungen lauschen und sich in ihren Gesichtern schon abzeichnet, was an anderer Stelle etwas überdeutlich ausbuchstabiert wird: Klar, so viele Weltcuprennen gewinnen wie Mikaela Shiffrin, von der den Jugendlichen im Unterricht ein Videoclip zur Motivation eingespielt wird, das wär’s. Genauso gut könnte am Ende der Karriere jedoch kein einziger Weltcupsieg stehen, wie zwei der jungen Skiläuferinnen im Gespräch anmerken. Dann vielleicht doch lieber als Unternehmerin reich werden.

    Während ein Trainer Werte und Zeiten aus den hochmodernen Analysetools vergleicht, mit denen die Sportler*innen vermessen werden, verschiebt sich der Fokus der Kamera einfühlsam von einer zur anderen Athletin und stellt so den Konkurrenzkampf aus, den es trotz aller Freundschaft im Internat geben muss. Es macht sich das Gefühl breit, dass der Pfarrer vielleicht doch unrecht hatte. Vielleicht entscheidet am Ende gar nicht, wer sich am meisten bemüht, sondern auch, wer am meisten Glück und am wenigsten Pech gehabt hat.

    Am Ende des Schuljahrs schließlich geht alles von vorn los. Neue Schüler*innen treten zum Aufnahmetest an, ihre Eltern hören sich Vorträge über Erfolgsaussichten und Versicherungsoptionen an, die uns bekannt vorkommen. Die Athlet*innenmaschine mit dem Namen Stams läuft unbeirrt weiter und wartet darauf, den nächsten großen Skistar zu produzieren. Aber ein Zweifel bleibt.

    „Stams“ ist kein Film, der das Internat und das System Leistungssport radikal ablehnt. Aber er hinterfragt und zweifelt an dem mit S.T.S.-Songs untermalten Bergidyll und eröffnet vor allem in der Genauigkeit und Ruhe seiner Beobachtungen eine Perspektive, die Beachtung verdient.
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    (Hans Bonhage)
    23.02.2023
    16:37 Uhr