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    Das Überleben der Freundlichkeit

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Das Überleben der Freundlichkeit

    Eine dunkelhäutige Frau wird in einem Käfig mitten in der Wüste ausgesetzt. Es beginnt ein Kampf ums Überleben, der zeigt, was Menschlichkeit bedeutet.

    An sich sehr einfach zusammengefasst, bietet die Geschichte um einiges mehr und geht (wortwörtlich) an Orte, die man anfangs nicht erwartet. Um den weiteren Film zu besprechen, muss dafür eine zentrale Entwicklung verraten werden: Sie schafft es nämlich schon bald sich zu befreien und begibt sich auf die Suche nach Zuflucht. Was folgt ist fast eine Art postapokalyptischer Spätwestern, ein Charakter, der ihm nicht zuletzt durch den spärlichen und gezielten Einsatz von Musik und Soundkulisse verliehen wird.

    Diese Atmosphäre wird dafür anfangs ein wenig zu sehr überstrapaziert. Die Leere der Wüste und Ausweglosigkeit ihrer Situation wird perfekt eingefangen, bis die Geschichte dann endlich Fahrt aufnimmt, dauert es aber ein wenig. Leider bekommt sie keine direkte Motivation, wir erfahren nie wo sie genau hin möchte, was den emotionalen Aspekt ein wenig schmälert, die simple Dramaturgie funktioniert dennoch. Lediglich das Ende erschließt sich mir nicht ganz und kommt auch ein bisschen zu überraschend.

    Entlang ihrer Reise wird die Frau mit jeder Menge Leid konfrontiert. Aufgehängte Leichen und verendende Menschen egal wo sie hinkommt. Im Dreck töten sich sogar die Ameisen gegenseitig, Gewalt scheint schon in der Natur zu liegen. Ethnische Minderheiten jeder Art werden verfolgt. Eine kaum subtile, aber effektive Allegorie auf Holocaust und Völkermord. Die Hauptfigur bleibt überdies namenlos, sie steht nur sinnbildlich dafür, was nicht-weiße Menschen über die Jahrhunderte alles erdulden mussten.

    „The Survival of Kindness“ beginnt mit einer der kreativsten Formen von Exposition, die ich je gesehen habe (Stichwort Kuchen). Von da an ist das Motto „Show, don’t tell“. Was das Drama nämlich so besonders macht, ist dass er vollkommen ohne Sprache auskommt. Ein Wagnis, dass sich meiner Meinung nach gelohnt hat. Meist wird nur gebrabbelt und wild gestikuliert, die Bösewichte, die bewusst durch Gasmasken ihr Gesicht verlieren, versteht man dadurch nicht. Wenn dann mal kommuniziert wird, fehlen Untertitel. Laut Regisseur Rolf de Heer geben aber selbst diese Sequenzen keine echten Sätze wieder, die Schauspieler hatten den Auftrag irgendwas zu erfinden; er zeigt uns wie wir aneinander vorbeireden. Und trotzdem verstehen sich die Charaktere, über ihre Sprachbarriere hinweg.

    Im Kampf ums Überleben ist auch schnell klar: jeder ist sich selbst der Nächste. Was man braucht, holt man sich eben, koste es was es wolle. Im Gegensatz zu ihren Unterdrückern, nimmt sich die Hauptfigur aber nie mehr als sie braucht, und gibt immer etwas dafür zurück. Anfangs nur auf sich fokussiert, beginnt auch sie sich für andere einzusetzen, als ihr selbst Mitgefühl entgegengebracht wird. Menschlichkeit bedeutet eben Zusammenhalt. Mwajemi Hussein, die hier ihr Schauspieldebüt feiert, gibt eine besonders beeindruckende Leistung als „Black Woman“ ab.

    Wo die Geschichte spielt, bleibt ebenfalls offen. Gedreht wurde in Tasmanien und Australien und die Landschaft in überaus ansprechenden Bildern eingefangen. Die Natur kann also auch schön sein. Die Universalität des Schauplatzes verbunden mit dem Verzicht auf Dialoge führt dazu, dass die zutiefst menschliche Geschichte gerade ein diverses Festivalpublikum gut ansprechen sollte. Sogar der Titel wird anfangs in mehreren Sprachen eingeblendet.

    Jury-Präsidentin Kristen Stewart hat betont, dass Ambition und Außergewöhnlichkeit schlussendlich für die Auszeichnung entscheidend sein könnten. Wenn man dem also Glauben schenkt, könnte „The Survival of Kindness“ schon jetzt früh in Führung gehen.
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    (Markus Toth)
    19.02.2023
    13:26 Uhr