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  • Bewertung

    Wenn das Ego Feuer fängt

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    Die Künstlerseele gilt gemeinhin als besonders empfindsam. Kritik jeglicher Form wird oftmals als persönlicher Angriff wahrgenommen und abgeblockt. Es steht die Behauptung im Raum, die Welt sei einfach noch nicht bereit für das missverstandene Genie der eigenen Arbeit. Nicht anders geht es da dem Protagonisten in „Roter Himmel“, dem neuesten Film von Berlinale-Dauergast Christian Petzold.

    Leon (Thomas Schubert) ist ein junger, aufstrebender Autor, der aktuell an seinem neuesten Manuskript tüftelt. Um dieses fertigzustellen, begibt er sich in Begleitung seines besten Freundes, dem angehenden Fotografiestudenten Felix (Langston Uibel), in ein abgelegenes Ferienhaus an der Ostsee. Zur Überraschung der beiden wird das Häuschen zur selben Zeit auch von der Eisverkäuferin Nadja (Paula Beer) belegt. Anfangs sehr zum Missfallen von Leon, der ohnehin daran scheitert, sein Werk zeitgerecht zu finalisieren - der Besuch des Verlegers (Matthias Brandt) naht. Die hyperaktive Präsenz des Bademeisters Devid (Enno Trebbs) ist ihm nur ein weiterer Dorn im Auge. Während die restliche Truppe Sommer, Strand und Zärtlichkeit genießt, fühlt sich der grimmige Möchtegernautor von der Freude seiner Mitmenschen gestört. Warum sollten andere Spaß haben dürfen, wenn er - der große Schriftsteller - gerade eine Schaffenskrise durchlebt? Unterdes verkehren im Hintergrund massenweise Löschfahrzeuge, im nahgelegenen Wald wütet nämlich ein gigantisches Feuer. Leon bleibt aber mit sich selbst beschäftigt.

    Christian Petzold ist seit einiger Weile eine sichere Bank, wenn es um außergewöhnliche Beiträge innerhalb der häufig belächelten, deutschen Filmlandschaft geht. Als prominenter Vertreter der Berliner Schule beschenkte er das gegenwärtige Weltkino bereits mit verträumten, verspielten und verkopften Werken wie „Yella“ (2007), „Phoenix“ (2014) oder „Transit“ (2018). Mit seiner neuesten Arbeit bereichert der 62-Jährige sein ohnehin beeindruckendes Œuvre aber sogar um den eventuell hypnotischten, kurzweiligsten und schlichtweg gelungensten Film seiner Karriere.

    Was als locker-flockiges Hangout-Movie unter jungen Intellektuellen anfängt, entwickelt sich schleichend zum soghaften Porträt eines selbsternannten Künstlers, der nicht über seinen eigenen Schatten springen kann - brennend heiße Allegorien inklusive. Leon ist ein Narzisst wie er im Buche steht: jemand, der meint, ihm würde sowieso alles zustehen und der anderen von oben herab begegnet. Er selbst scheint sich seiner arroganten Erhabenheit aber kaum bewusst. Die Odyssee Leons birgt deshalb reichlich komödiantisches Potenzial, das der österreichische Hauptdarsteller Thomas Schubert („Atmen“, „Das Finstere Tal“) mit überzeugender Grantlermiene trägt.

    Erstaunlicherweise gelingt es Petzold dennoch diesen auf den ersten Blick zutiefst unangenehmen Weggesellen zu humanisieren. Neben der hinreißenden Darbietung Schuberts ist dies den Nuancen des Drehbuchs zu verdanken. Hier und da sammeln sich subtile Momente, in denen Leons Verletzlichkeit und Unsicherheiten zum Vorschein kommen. Das taffe Auftreten ist wenig mehr als ein Schutzpanzer, der diese zu verstecken vermag. Früher oder später zerbricht die Fassade jedoch. Daher lohnt es, das Ego ab und an beiseite zu schieben und den Blick nach außen zu richten. Wer weiß: möglicherweise erwartet einen dann ein Sommernachtstraum so schmerzhaft und wunderschön wie dieser.
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    (Christian Pogatetz)
    27.02.2023
    16:46 Uhr