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  • Bewertung

    Nett, nett, nett

    Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
    Nicole Holofcener, eine Indie-Regisseurin mit breitenwirksamer Erzählweise, legt mit „You Hurt My Feelings“ einen weiteren Langfilm vor, nachdem sie in den letzten Jahren eher im Bereich TV-Serie gearbeitet hat.

    Sie erzählt die Geschichte von Beth (Julia Louis-Dreyfus), einer Literaturprofessorin und Schriftstellerin, die seit geraumer Zeit an ihrem zweiten Roman arbeitet und nicht so recht vorankommt. Von ihrer Lektorin erhält sie eher verhaltene Rückmeldung, ihr Mann Don (Tobias Menzies), ein Psychotherapeut, bestätigt ihr aber immer wieder, wie gelungen ihr Manuskript sei. Bis sie ihn eines Tages zufällig bei einem Gespräch mit seinem Bruder belauscht, in dem er zugibt, dass ihm das Buch gar nicht gefällt. Der Filmtitel verrät im Grunde genommen schon den gesamten Plot.

    Denn: Beth und Don sind nette Menschen, ihr Sohn Elliott ist nett, Beths Schwester und der Schwager sind nett. Beths Mutter Georgia ist zwar nervig, in ihrer störrischen Altersschrulligkeit, die sich in einem Gespräch darüber manifestiert, ob man Kartoffelsalat in Folie verpackt transportieren soll (Meinung Georgia) oder ob dazu lieber ein Plastikbehälter verwendet werden sollte (Meinung Beth). Aber im Grunde genommen ist auch Georgia nett. Beth schreibt in ihrem ersten Buch über die Konflikte mit ihrem verstorbenen Vater, aber selbst diese waren – laut eigener Aussage – zu harmlos, um aufsehenerregend zu sein. Und das ist leider auch die Schwäche dieses Filmes. Es gibt keinen wirklichen dramatischen Konflikt.

    Es heißt ja, die Hauptperson eines Filmes, Buches, Theaterstücks, sollte immer die schlimmstmögliche Katastrophe ihres Lebens erfahren; und wir Zuseher- oder Leser*innen sollen beobachten können, wie sich der Protagonist, die Protagonistin in dieser Situation nun verhält. Wächst die Person über sich hinaus oder bricht sie zusammen? Diesen Konflikt will man im Kino sehen, diese Spannung möchte man spüren und vielleicht etwas für sein eigenes Leben lernen. Wenn es die schlimmste Krise eines über 50-jährigen Lebens ist, dass der Partner die Unwahrheit über ein Textfragment gesagt hat, dann herzliche Gratulation. Und wohlgemerkt nur über diesen einen Text, das erste Buch von Beth fand Don tatsächlich sehr gut, er glaubt auch an das grundsätzliche Talent einer Frau – nur diesen einen Text, im Übrigen auch ein Text, von dem Beth selbst nicht überzeugt ist, wenn sie ehrlich zu sich ist, diesen Text findet er eben nicht gelungen. Und ja, er hat gelogen, aber vor allem um seine Frau nicht zu verletzen.

    Der Film ist dennoch sehenswert, weil die Schauspieler*innen ihre Charakter so nuanciert, auf den Punkt gebracht darstellen, dass es eine Freude ist, ihnen zuzusehen. Die Dialoge sind gut und oft sehr witzig, etwa Beths Gespräche mit ihren Studierenden, die genauso typisch ablaufen, wie man sich das bei jungen Erwachsenen vorstellt, die die von Literaten oft geforderte feinfühlige Achtsamkeit internalisiert haben; oder die Therapiestunden von Don, in der er mit einer Rückforderung von 33.000 Dollar konfrontiert wird, weil er die Ehe eines Paares nicht gerettet hat. Doch es überrascht ganz und gar nicht, dass Holofceners Œuvre vornehmlich in der Serienproduktion liegt. Die Szenen sind fast immer die einer elaborierten Fernsehserie, keines Langfilms.

    „You Hurt My Feelings“ kann man sich aber gut an einem gemütlichen Sonntagnachmittag mit einer Tasse Tee auf dem Sofa anschauen und darüber reflektieren, wieviel Unwahrheit menschliche Beziehungen vertragen und wie gerechtfertigt kleine Lügen sind, wenn sie eigentlich aus Wertschätzung des Gegenübers getätigt werden. Und das ist ja nicht nichts.
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    (Heidi Siller)
    28.01.2023
    18:33 Uhr
    Autorin der monatlichen Kolumne „Heidi@Home“ rund ums Thema „Fernsehserien“.