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  • Bewertung

    An der Grenze der Menschlichkeit

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2023
    In „Der vermessene Mensch“ arbeitet Lars Kraume ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte auf, das sonst wenig Beachtung bekommt.

    Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) will es seinem Vater nachtun und als Ethnologe für Aufklärung sorgen. An der Universität kämpft er gegen den vorherrschenden Rassismus und das Übermenschendenken, was seine Karriere gefährdet. Als er die Möglichkeit bekommt Afrika direkt zu erforschen wird er nicht nur Zeuge eines furchtbaren Verbrechens, sondern auch an die Grenzen seiner eigenen Moral gedrängt …

    Unzählige menschliche Schädel der Nama und Herero, deren Nachfahren im heutigen Namibia leben, sind immer noch in deutschen Museen ausgestellt und nie zurückgegeben worden. Diesem Missstand will sich der Film annehmen und mit uns in die Zeit zurückreisen, die dafür verantwortlich ist. Damals trug das Land nämlich noch als deutsche Kolonie den Namen „Deutsch-Südwestafrika“.

    Nachdem Hoffmann bei der Völkerschau des Kaisers mit den dazu gezwungenen Stämmen in Kontakt kommt, als er ihre Schädel vermessen soll, lernt er die Intelligenz dieser schätzen. Er will diesen Umstand nutzen um mit den bestehenden Rassentheorien zu brechen, die später den Weg für den Nationalsozialimus ebnen sollten. Ein vermessenes Vorhaben.

    Die Doppeldeutigkeit des Titels ist sicher kein Zufall. Wir lernen den Protagonisten als sehr naiven Weltverbesserer kennen, müssen aber mitansehen, wie er langsam an seinen eigenen Idealen zerbricht. Irgendwann kann er sich selbst wörtlich nicht mehr im Spiegel ansehen. Er wird mit der Frage konfrontiert, wie weit er bereit ist zu gehen im Namen der Wissenschaft und seiner Überzeugung, und auch wenn es mal um sein eigenes Leben geht. Er plündert Gräber, stiehlt Eigentum und findet sich inmitten eines Völkermords wieder. Auch erlebt er hautnah die ersten Konzentrationslager mit.

    Dazwischen lauert jedoch viel Altbekanntes. Die Mutter wünscht, dass er eine reiche Herzogin heiratet um den Wohlstand der Familie zu verbessern, er hat aber nur die Ethnologie im Kopf. In der Kolonie muss er sich als einziger Zivilist gegen die sturen Militaristen durchsetzen, zu Hause gegen alle an der Universität. Dieses Allein-gegen-alle Schema ist mir für eine Geschichte dieser Schwere ein bisschen zu klischeehaft; er wird mir anfangs etwas zu ritterlich dargestellt mit Wertvorstellungen direkt aus dem 21. Jahrhundert, seine Kommilitonen dafür fast schon übertrieben als Nazis im Werden. Im Großen und Ganzen dürfte das schon historisch korrekt sein, doch ein bisschen mehr Ambivalenz der Figuren hätte nicht geschadet. Irgendwann legt sich das dann aber zu Gunsten eines tragischen Charakterzerfalls.

    Religion spielt ebenfalls eine große Rolle. Der Konflikt zwischen dieser und der Wissenschaft ist ein prägendes Thema, beide haben in der Vergangenheit Verbrechen begangen, doch beide leisten auch wichtige Arbeit. Hoffmann glaubt als Mann der Wissenschaft an gar nichts, den Soldaten bleibt im trostlosen Alltag des Krieges aber nichts anderes übrig als auf Gott zu vertrauen. Der Film geht generell sehr nüchtern mit dem Thema um, dadurch aber auch sehr respektvoll, es wird ultimativ keine Seite gewählt.

    Vom technischen Standpunkt zeigt sich ein gut gemachter Historienfilm. Die Kostüme sind toll umgesetzt, die Atmospäre stimmig. Gedreht wurde passenderweise in Namibia und Südafrika, die Naturkulisse herrlich eingefangen. Die wenigen Actionszenen trumpfen mit soliden Spezialeffekten auf.

    Leonard Scheicher als Ethnologe und Girley Charlene Jazama als Herero liefern sehr erinnerungswürdige Darstellungen, dazu Sven Schelker als Lieutnant und Hoffmanns Gegenpol. Peter Simonischek als Mentor und Universitätsdozent ist dazu noch erwähnenswert. Auch ansonsten präsentiert sich das Ensemble solide.

    Am Ende bleibt ein äußerst erschütterndes Erlebnis, dessen Wirkung durch die genannten Klischees leider ein bisschen geschmälert wird.
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    (Markus Toth)
    24.03.2023
    14:39 Uhr