Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
Dem französisch-kambodschanischen Regisseur Davy Chou kam die Idee zu „Return to Seoul“ durch eine Freundin, mit der er gemeinsam nach Südkorea reiste und der eine ähnliche Geschichte passierte wie der Hauptfigur in seinem Film. Durchzogen von Identitätsfragen und Sinnkrisen zeigt Chou in seinem zweiten Langspielfilm nicht nur kulturelle Unterschiede auf, sondern beschreibt auch die schonungslose Selbstsabotage einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst (dargestellt von einer grandiosen Park Ji-min in ihrer ersten Schauspielrolle!).
Die in Frankreich bei Adoptiveltern aufgewachsene Freddie (Park Ji-min) reist zum ersten Mal, einem Impuls nachgebend, nach Südkorea – ihrem Geburtsland, welches ihr abgesehen davon aber völlig fremd ist. In Seoul angekommen, freundet sie sich schnell mit der Rezeptionistin Tena (Guka Han) an, die sie nicht nur bei der sprachlichen Verständigung unterstützt, sondern Freddie auch emotionalen Beistand liefert. Denn während sich die junge Französin zwar nach außen hin gelassen gibt, quälen sie die Fragen nach ihrer Herkunft sehr.
Schon bald begibt sie sich deshalb auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern, die sie mithilfe ihrer alten Adoptionsagentur ausfindig machen will. Den Vater (Oh Gwang-rok) trifft sie bereits kurze Zeit später. Das erste familiäre Aufeinandertreffen ist unbeholfen und stellt den Beginn unzähliger Annährungsversuche des Vaters dar, die von Freddie alle abgeblockt werden. „Ich verstehe ihn nicht, sag ihm das!“, weist sie ihre Tante ungehalten an, nachdem sie von ihm unzählige Textnachrichten auf koreanisch erhalten hat. Wenn Tena, die eigentlich nur als Übersetzerin dienen soll, Freddies Aussagen abschwächt oder so umschreibt, dass sie auf eine nettere Weise getätigt werden als von Freddie bezweckt, stellt das den nächsten emotionalen Schlag in die Magengrube dar.
Freddies freigeistige Art scheint nämlich auch immer von einem Drang nach Provokation getrieben. Zum Beispiel dann, wenn sie gleich zu Beginn des Films mit Tena und einem Bekannten in einer Bar sitzt und diese ihr erklären, dass es als unhöflich aufgefasst wird, wenn man sich in Südkorea Soju selbst einschenkt und Freddie daraufhin genau das tut. Innere Konflikte und Unsicherheiten kommen so an die Oberfläche, was zwar sehr interessant im Hinblick auf Mechanismen der Traumabewältigung ist, aber nicht gerade leicht mitanzusehen. Das inszenatorische Highlight stellt wohl eine Tanzszene dar, in der sich Freddie, ganz alleine auf der Tanzfläche, vollkommen der Musik hingibt, und wo ihre innere Zerrissenheit zum ersten Mal deutlich zum Vorschein kommt.
Eine Identifikation mit Freddie ist also schwierig, was ein grundsätzliches Dilemma darstellt. „Return to Seoul“ scheint es nämlich schon darauf anzulegen, dass man zumindest zu einem bestimmten Grad mit seiner Protagonistin mitfühlt. Dafür ist sie aber viel zu respektlos und vor allem auch unberechenbar, denn selbst wenn man denkt, dass man in dem einen Moment mit ihr sympathisieren kann, kommt im nächsten wie aus dem Nichts eine Aussage, die dies schnell wieder zunichtemacht.
Aber selbst wenn „Return to Seoul“ seine Protagonistin nicht gerade zur Sympathieträgerin auserkoren hat, beweist Davy Chou ein sehr gutes Auge für feinfühlige Charakterstudien. Der Film stellt eine emotionale Achterbahnfahrt dar, der vor allem durch seinen realistischen Charakter überzeugen kann. Über den relativ langen Zeitraum von acht Jahren werden wir Zeuge von Freddies Reisen nach Südkorea und begleiten sie dabei zu Familienzusammenkünften, Tinder-Dates und Untergrund-Partys. Für einen völlig mühelosen Fluss der Handlung werden hier zwar zu viele Zeitsprünge eingebaut, die lange Zeitspanne bietet aber immerhin auch die Möglichkeit, verschiedene Lebensphasen der Hauptfigur abzudecken. Park Ji-min ist dabei beeindruckend.